Herr Pastorin feiert Weihnachten: Rainer Kolbe über Kinder, Küche, Kirche und Corona

„Und, was machen Sie so?“, ist wahrscheinlich die Frage, die Rainer Kolbe als Vater, Hausmann und Ehegatte einer Pastorin im norddeutschen Tiefland am häufigsten zu hören bekam. Der Freiberufler hat die Rollen getauscht und sich um Tochter Lina (heute 18) und Sohn Jannes (heute 12) gekümmert, während seine Frau auf der Kanzel stand. Das war gewöhnungsbedürftig – vor allem für die Dorfbewohner. Inzwischen lebt die Pastorenfamilie wieder in Hamburg. Und was machen Sie so unter der Pandemie, Herr Kolbe, jetzt, wo beide Kinder fast groß sind? Als Freiberufler ist mein Alltag praktisch frei von Corona – ich arbeite im Homeoffice als freiberuflicher Lektor. Das war auch fast immer so. Als wir geheiratet haben 2002, war ich sehr viel flexibler als meine Frau, die als angehende Vikarin in der Landeskirche nach Angeln in Schleswig-Holstein entsandt worden ist. Damals hat es Sie unversehens aus der Stadt aufs Land verschlagen und ehe Sie blinzeln konnten, waren Sie „Herr Pastorin“, wie kamen Sie zu diesem Ehrentitel? Es war klar: Wenn ich diese Frau wollte, dann musste ich ihren Weg mitgehen. Und ich wollte sie. Ganz früher – und da lacht die ganze Familie auch heute noch drüber – habe ich immer gesagt, ich will gar nicht heiraten, ich will auch keine Kinder und aufs Land sowieso nicht. Ich bin überzeugter Städter und Hamburger. Immer gewesen. Der Herr Pastorin entstand erst, als meine Frau nach dem Vikariat in Tating in Eiderstedt Pastorin wurde und sie als Hauptverantwortliche für ihre Gemeinde auch ganz anders als zuvor in das kirchliche Leben eingebunden war. Sein Leben als „Herr Pastorin“ hat Rainer Kolbe in mehr als 400 Kolumnen des schleswig-holsteinischen Kirchenblattes „Nordelbische“ (heute die „Evangelische Zeitung“) geschildert – jetzt sind die Geschichten und Anekdoten unter dem Titel „Meine Tage als Herr Pastorin. Das Kind, das Dorf und der Hund“ im KJM Verlag erschienen (16 Euro). Der Hamburger Germanist, Historiker und freiberufliche Lektor berichtet unterhaltsam aus dem Alltag einer Pastorenfamilie im hohem Norden unter vertauschten Rollen. Auf dem Land im dörflichen Schleswig-Holstein sorgte die familiäre Konstellation im Pastorat vor gut 15 Jahren für Aufmerksamkeit und blieb nicht unkommentiert – von der Frage „Wer passt denn jetzt auf Ihr Kind auf, wenn Ihre Frau arbeitet?“ bis zum ironischen Gruß „Na, Männer?!“ als Rainer Kolbe einmal neben einem anderen Vater, die Kinderkarren nach Hause schiebend, durchs Dorf zog. „Herr Pastorin“ nahm’s gelassen und berichtet nonchalant von seiner „verkehrten Welt“ im „Dorf hinter dem Deich“. Die Fortsetzung erscheint im März 2021: „Noch mehr Tage als Herr Pastorin. Das Kind, das neue Dorf und der Hund“. „Vater-und-Kind“-Parkplätze in Husum: Und damit auch Sie! Ja. Meine Frau war die erste Pastorin in der Gemeinde. Es gab im ganzen Dorf nur einen anderen hauptberuflichen Vater, und wir waren als Pastorenfamilie natürlich ein bisschen exponiert. Jahrhundertelang hatte man die Ehefrau des Geistlichen als „Frau Pastor“ angesprochen, weil es keine weiblichen Pastoren gab, aber umgekehrt ging das nicht – daraus ist dann dieses „Herr Pastorin“ entstanden, das auch zum Titel meines Buches führte. Für wen war dieser Rollentausch schwieriger, für Sie oder für das Dorf? Ich bin da reingewachsen, aber dann kamen wir nach Tating und waren die Neuen. Meine Frau ist immer wieder, nicht nur in der Anfangszeit, gefragt worden: „Sie jetzt hier als Pastorin – und was ist mit Ihrem Kind?“ „Das ist bei meinem Mann.“ „Ach sooo . . .“ Da schwang immer mit: Geht das? (lacht) Das ist aber alles auch schon eine zeitlang her. Wir haben später dann in Ostenfeld bei Husum gewohnt, da war es schon anders – in Husum waren in einem Parkhaus tatsächlich „Vater-und-Kind-Parkplätze“ ausgewiesen. Das hat mich sehr gefreut! Die Entwicklung ist spürbar weiter gegangen. Kein schwerer Tausch: Wären Sie manchmal lieber der Herr Pastor gewesen? Nein, mal abgesehen davon, dass ich ja gar nicht Theologie studiert habe. Es ist schon schön, gestalten zu können, Verantwortung zu haben und Glauben weiterzugeben, aber es ist natürlich auch anstrengend, weil jeder mit allem immer zum Pastor kommt – oder zur Pastorin. So richtig schwer gefallen ist mir dieser Rollentausch nicht, ich fand es eher ganz oft belustigend. Man sitzt mit den Kindern im Wartezimmer beim Kinderarzt und irgendjemand sagt: „Frau Kolbe bitte!“ (lacht) Eingebunden ins Gemeindeleben: Ihre Kinder sind inzwischen größer, 18 und 12 Jahre alt, Sie sind zurück in Hamburg . . .. . . da hat sich viel geändert. Allein hier bei uns hier in der Gemeinde sind vier Pastorinnen und Pastoren, zwei Frauen und zwei Männer. Da kräht kein Hahn nach, ob das nun ein Mann ist oder eine Frau. Und die jungen Väter in der Stadt tragen ihre Babys ebenso selbstverständlich vor dem Bauch herum wie die Mütter. Und Sie sind auch nicht mehr Herr Pastorin? Viele Aufgaben, die der Herr Pastorin auf dem Dorf hatte, machen hier in der größeren Gemeinde in der Stadt sowieso andere Leute. Dass jemand kommt und sagt, „kannst du mir mal helfen, den Grabstein auf dem Friedhof zu bewegen?“, das wird hier nicht vorkommen. Gleichwohl bin ich natürlich trotzdem eingebunden in den Alltag der Pastorin und der Gemeinde, als dass ich ehrenamtlich zum Beispiel den Gemeindebrief mache und die Internetseite betreue. Abstand halten aus Nächstenliebe: Wie erleben Sie in der Kirchengemeinde die Pandemie? Unsere Gemeinde hat etwa 7500 Mitglieder, da ist die ganze Bandbreite an menschlichen Sorgen dabei. Zeitweise konnten die Gottesdienste nur als Videoformate stattfinden, dann war es wieder möglich, aber gleichzeitig durfte nicht gesungen werden, es gab kein Abendmahl, das schmerzt schon. Insofern sind wir voller Hoffnung, dass es im nächsten Jahr besser wird. Sie erleben jetzt erstmals eine Weihnachtszeit unter Coronabedingungen. Rückt man da innerlich trotz des äußerlich vorgegebenen näher Abstand zusammen? Die Nähe zum anderen ist ja Teil unseres Glaubens. Aber es ist natürlich ein intellektueller Vorgang, sich jedes Mal zu sagen – um sich selbst und den anderen zu schützen – ja, wir halten Abstand, und das wiederum tun wir aus Nähe und aus Nächstenliebe. Der Wunsch, die Leute, die man schätzt und mag auch endlich wieder einmal in den Arm zu nehmen, ist ja da – das ist schon sehr schwierig. Und dass es ein besinnlicher Advent war unter den Corona-Einschränkungen kann ich eher nicht feststellen. Im Gegenteil, der ganze zusätzliche organisatorische Aufwand in einer Kirchengemeinde führt bei uns eher zu weniger Muße. Weihnachten am Feuerchen: Wie werden Sie das Weihnachtsfest gestalten? Wir haben die letzten Sonntage schon ein bisschen geübt: Zum Pastorat gehört ein Garten mit einer kleinen Feuerstelle. Wir haben also ein Feuerchen gemacht und uns mit heißen Getränken und Kuchen versorgt – man kann tatsächlich auch im Winter gut eine bis zwei Stunden draußen verbringen. So wird auch Weihnachten bei uns sein, da Mutter und Schwiegermutter, die mit uns feiern, schon zur Risikogruppe gehören. Der Weihnachtsbaum steht erstmals im Topf und ist auch nicht so groß, so dass man ihn mit nach draußen nehmen kann. LN-Vorlesen im Advent: Sehen Sie hier alle Geschichten und Videos! So können Sie Kulturprojekte in Lübeck unterstützen Lübecker Wunschkonzert: So kommt Beethoven zu Ihnen nach Hause Was ist an Weihnachten für Sie unverzichtbar? Es gehört unbedingt Nähe dazu, also das, was wir nicht haben können und werden unter den Coronabedingungen. Aber Nähe bedeutet ja in erster Linie einmal, überhaupt beieinander zu sein. Was wünschen Sie sich für 2021? In erster Linie Gesundheit. Und ich wünsche mir die Möglichkeit, mit der Familie wieder nach Schweden zu fahren. Und dass 2021 der Zeitpunkt kommt, wo wir sagen können: Ja, jetzt können wir wieder planen, jetzt können wir uns wieder umarmen! Das wünsche ich mir. Von Regine Ley