Die „Anbetung“ des Digitalen

Haben Sie etwas Zeit? Sagen wir: 15 Tage? Dann könnten Sie sich hinsetzen und die Datenschutzregeln der Dienste auf Ihrem Smartphone studieren. So lange braucht man im Schnitt dafür, sagt die Juraprofessorin Karen Young vom Londoner Kings College. Jedenfalls wenn man 16 Stunden am Tag liest. Und im nächsten Jahr kommen dann schon wieder neue. Marie-Luise Wolff: „Die Anbetung. Über eine Superideologie namens Digitalisierung“, Westend Verlag, 272 Seiten, 22 Euro Man kriegt eine Ahnung davon, dass umkommen kann, wer sich in die Digitalisierung begibt. Also in das, was Marie-Luise Wolff eine „Superideologie“ nennt. Sie ist weit davon entfernt, die Digitalisierung zu verteufeln. Aber sie will warnen, wohin sie führen kann. Und sie beklagt, wohin sie längst schon geführt hat. Kein Markt, wenig Regeln: Marie-Luise Wolff ist eine Frau aus der Praxis. Sie hat für Unternehmen von Sony bis Eon gearbeitet und ist jetzt Vorstandsvorsitzende des Versorgungsunternehmens Entega. Ihr ist an einem freien Markt mit festen Regeln gelegen, aber der sei für Google, Apple, Facebook und Amazon längst ausgehebelt, sagt sie. Binnen weniger Jahre seien „Weltmonopole“ entstanden, die nach eigenen Gesetzen funktionieren und denen Milliarden Menschen in ihrem Alltag nicht entkommen können oder entkommen wollen. Geheimes Großprojekt bei Grevesmühlen: Das plant Amazon in MV Studie: Industrieller Mittelstand in Deutschland ist kaum vor Cyberangriffen geschützt Vorwurf Monopolbildung: US-Behörde zieht gegen Facebook vor Gericht Sie beleuchtet die offenen und verdeckten Machenschaften dieser Tech-Riesen. Sie erzählt von der Datensucht der Konzerne oder den unglaublichen Patenten, die jetzt schon in deren Schubladen liegen – Drohnen etwa, die auf Straßenlaternen landen können, um sich aufzuladen, oder ein Warenhaus im Himmel, untergebracht in einem Zeppelin. Sie erzählt von unserer nicht minder unglaublichen Manipulierbarkeit und davon, dass wir dem Sozialpunktesystem Chinas näher sind, als wir glauben. Schon 2011 hat eine Studie der Universität Berkeley festgestellt, dass die Daten der am meisten genutzten Webseiten sofort an 600 verschiedene Server weitergeleitet werden, wenn man am Rechner wegen der Cookies sein Okay gegeben hat. Das ist nicht alles neu, aber in der Gesamtschau beängstigend. Das Buch hilft, dass man hinterher nicht sagen kann, man habe von nichts gewusst. Auch listet Marie-Luise Wolff Möglichkeiten auf, die Macht der mächtigen Konzerne zu brechen. Und sie ist ja nicht allein. Die Europäische Kommission hat dieser Tage erklärt, wie sie die übermächtig gewordenen Plattformen zähmen will. Da kann man nur allseits gutes Gelingen wünschen. Von Peter Intelmann

Im Bann des Digitalen - Marie-Luise Wolff: Die Anbetung. Übner eine Superideologie namens Digitalisierung