Im "Freipass" Nummer 5: Günter Grass und Paul Celan

Paul Celan wäre Ende November hundert Jahre alt geworden. Er war fast fünfzig, als er sich 1970 das Leben nahm. Die fünfte Ausgabe von „Freipass“, der Schriftenreihe der Günter-und-Ute-Grass-Stiftung, widmet dem Lyriker einen Schwerpunkt. Zwei Autoren in Paris: Unter anderem mit einem Interview, das Günter Grass 1995 mit dem Autor und Literaturkritiker Helmut Böttiger über Celan geführt hat. Grass hat ab Mitte der Fünfzigerjahre in Paris gelebt, wo Celan schon einige Zeit zu Hause war. Sie freundeten sich an, zwei Autoren deutscher Sprache, der eine arbeitete mit der „Blechtrommel“ an einem Welterfolg, der andere hatte mit der „Todesfuge“ das wohl zentrale Gedicht über den Holocaust geschrieben. Volker Neuhaus, Per Øhrgaard, Jörg-Philipp Thomsa (Hg.) „Freipass“, Schriften der Günter und Ute Grass Stiftung, Band 5, Ch. Links Verlag, 272 Seiten, 20 Euro Paul Celan hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen. 1967, als er bei einer denkwürdigen Reise Martin Heidegger im Schwarzwald besuchte, war er gerade wieder aus einer Klinik gekommen. Er hatte versucht, sich mit einem Messer das Leben zu nehmen, so wie er zwei Jahre zuvor versucht hatte, mit einem Messer seine Frau zu töten. Er wurde verfolgt von seinen Dämonen und seiner Vergangenheit, von der Ermordung seiner Eltern durch die Nazis. Manchmal schickte er Karten wie: „Mein Sohn Eric, ich grüße Dich. Ich grüße Euch, Menschen.“ Lesen Sie auch Das Bordell als Labor: Emma Beckers Hurenroman „La Maison“ In einem anderen Gespräch sagte Grass, mit ihm und Celan seien sich zwei begegnet, die „unterschiedlicher nicht sein“ konnten. Dennoch hätten sie eine gemeinsame Ebene gefunden. Und er, der junge Mann Ende zwanzig, habe in Paris viel von Celan gelernt. Aber es war „die schwierigste Freundschaft, die ich je erlebt habe“. Kurz vor Celans Tod habe er ihn in Berlin noch einmal gesehen. Aber da war er schon sehr weit fort. „Er war ganz steif und hatte ein gefrorenes Lächeln. Da war nicht mehr ranzukommen.“ Andere „Freipass“-Texte befassen sich mit Celans Lyrik, seiner Reise nach Israel im Jahr vor seinem Tod, einem Celan-Denkmal in Paris, das sein Sohn Eric völlig missraten fand. Der Autor Arnold Stadler erinnert sich an seine erste Begegnung mit der „Todesfuge“ und daran, dass Celan von einigen verlacht wurde, als er sie bei einem Treffen der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee vortrug. Und wer tiefer in diese verstörende Begegnung mit Heidegger 1967 eindringen will, dem sei Hans-Peter Kunischs Buch „Todtnauberg“ empfohlen. Zwei wunderbare Gedichte: Neben Beiträgen über W. G. Sebald oder die Bearbeitung einer alten ostpreußischen Sage durch Günter Grass in seinem Roman „Hundejahre“ gibt es im 30. Jahr der Deutschen Einheit auch dazu einen Schwerpunkt. Robert Menasse erinnert sich in einem schönen Text an sein Briefmarkenalbum aus Kindertagen und sein Staunen über die Wiedervereinigung, wo die BRD und die DDR doch nie zuvor vereinigt gewesen seien. Von Judith Hermann ist eine kurze Geschichte zu lesen, in der die Personen natürlich Amke heißen oder Alix. Und Katja Lange-Müller gibt Gelegenheit, zwei wunderbare Gedichte von Andreas Koziol zu entdecken. Lesen Sie auch Paul Celan, der ferne Patenonkel Die dritte Schuld – Wie Auschwitz immer noch das Land spaltet Ein letztes Gespräch mit Günter Grass Von Peter Intelmann

Im "Freipass" Nummer 5: Günter Grass und Paul Celan – eine schwierige Freundschaft