Interview mit NDR-Moderator Michel Abdollahi: Was bedeutet Rassismus?

Der Journalist und Autor Michel Abdollahi kam 1981 in Teheran zur Welt und lebt seit 1986 in Hamburg – er ist einer der kritischen Stimmen, die sich laut zu der viel diskutierten WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ zu Wort gemeldet haben. Die Talkgäste Micky Beisenherz, Janine Kunze und zuletzt auch Thomas Gottschalk haben sich inzwischen für Ihre Äußerungen entschuldigt. Abdollahi aber geht es vor allem um den Auftrag, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen wahrnehmen sollte. Ein Gespräch dazu. Herr Abdollahi, Sie haben kürzlich ein gut 14-minütiges Statement zu der viel kritisierten WDR-Show „Die letzte Instanz“ herausgegeben und vor allem den Sender zu mehr Verantwortung ermahnt. Was hat Sie dazu bewegt? Man schaut sich die Sendung an und stellt sich viele, viele Fragen. Man liest sich die Diskussionen dazu bei Social Media durch und verfolgt auch die Reaktionen auf den eigenen Beitrag. Ich hab mich ja mit einem deutlichen Statement dazu geäußert – und auch dazu gab es sehr viel Hass. Privat schwankt man zwischen Wut, Verwunderung und Trauer. Privat und beruflich enttäuscht: Und beruflich? Da meldet sich der Journalist und Künstler in mir. Und da herrscht Verzweiflung – eine, die privat nicht vorherrscht, weil ich ein tolles soziales Umfeld habe. Aber auf der beruflichen Ebene bewegt mich das sehr: Da setzt man sich seit vielen Jahren ganz aktiv gegen Ausgrenzung und Rassismus ein und sucht den Diskurs, vor allem auf sachlicher Ebene, um dann festzustellen, dass selbst der Westdeutsche Rundfunk, also ein öffentlich-rechtlicher Sender und somit auch irgendwo meine Arbeitswelt, das Thema immer noch nicht kapiert hat. Da bin ich doch sehr froh. beim NDR zu sein, wo so etwas kein Thema ist. In meinen Sendungen wird die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet, weil diese Vielfalt selbstverständlich ist. Wie meinen Sie das? Ich erinnere da nur an den Aufschrei vor einem Jahr, als der WDR-Kinderchor das Lied ,Meine Oma ist ne alte Umweltsau’ gesungen und eine mediale Krise ausgelöst hat – und sich vom Rundfunkrat bis zur Landesregierung Nordrhein-Westfalens sämtliche Instanzen zu Wort gemeldet hatten, bis sich WDR-Intendant Tom Buhrow persönlich dafür entschuldigte. Das habe ich in diesem Fall nicht erlebt, weil Migranten in dem Sinne keine Lobby haben, sondern immer wieder selbst auf Vorurteile und Rassismus aufmerksam machen müssen. Rassismus im System verankert: Nach dem Motto ,Habt Euch mal nicht so’ ? Ist das mangelnde Aufklärung oder echter Rassismus? Das ist im System verankert, Ablehnung gegenüber bestimmten Menschen gibt es überall auf der Welt. Das ist echter Rassismus, der entsteht, wenn Feindbilder im Kopf geschaffen werden und deren Aufrechterhaltung aktiv betrieben wird. Persönlich schade finde ich das aber gerade in Deutschland, weil wir hier eine sehr gebildete politische Elite und sehr viele vernünftige Menschen haben, die es eigentlich besser wissen müssten. Wieso fällt es einigen immer noch so schwer, auf bestimmte Bezeichnungen wie das Z-Wort zu verzichten, wenn Betroffene sagen, dass es sie verletzt? Schwer zu beantworten, wenn selbst der Google-Translator bei Übersetzungen auf diffamierende Begriffe aufmerksam macht. Uns fehlt es in diesem Land an einer moralischen Instanz, die in solchen Fällen eingreift und eint, statt zu spalten. Sie setzen sich seit Jahren sehr aktiv gegen Rassismus ein, ist dieser Kampf nicht auch ermüdend? Doch, ist er – vor allem, weil es bei vielen Menschen nicht an der Intelligenz, sondern an der Beratungsresistenz scheitert. Sie wollen ihre Meinung so wie sie ist, ganz egal, mit wie vielen Fakten man ihnen kommt. Lesen Sie auch Das tut Lübeck gegen Rassismus Rassismus in Lübeck: Kamerunerin erzählt von ihren Erfahrungen Rassismus in Lübeck: Türkin wegen Kopftuch immer wieder angegriffen Rassismus ist ein präsentes Problem: Was war das schlimmste rassistische Erlebnis, das Sie selbst erlebt haben? Das lässt sich schwer sagen. Es ist eher ein permanenter Zustand meines Lebens. Als was fühlen Sie sich? Als Iraner? Deutscher? Deutsch-Iraner? Oder ganz anders? Als beides. Ich fühle mich sehr deutsch, aber auch sehr iranisch. Aber eigentlich interessiert mich das auch gar nicht, weil ich bin, wie ich bin – und stehe voll und ganz hinter dem System und dem Land, in dem ich lebe. Auflehnen lohnt sich: Was ist typisch iranisch an Ihnen? Das können andere besser beurteilen, ich bin generell nicht dafür, Stereotype zu bedienen. Für mich gibt es nichts Typisches aus einem bestimmten Land. Für mich sind alle Menschen gleich. Was bedeutet Heimat für Sie? Heimat ist da, wo mein Bett steht. Was genau bedeutet für Sie Rassismus? Die systematische Ausgrenzung von Menschen, das ist der Unterschied zur Diskriminierung. Systematisches Ausgrenzen bedeutet, dass eine Mehrheit sich gegen andere verschließt und ihnen keine Chance gibt. Was kann die Gesellschaft dagegen tun? An einer Instanz arbeiten, die über allgemeinen wissenschaftlichen Konsens nicht mehr diskutiert und die den Rassismus weder zulässt noch duldet. Ausgegrenzte brauchen eine offizielle Stimme, die sich für sie einsetzt. Und was kann jeder Einzelne dagegen tun? Viel. Immer wieder aufstehen, gegenhalten, sachlich diskutieren, freundlich aufklären und als Vorbild voran gehen. Damit kann der Einzelne schon mal damit aufhören, Dinge zu reproduzieren. Von Schabnam Tafazoli