Interview mit dem BAP-Frontmann: Wie ist es, wenn man 70 wird, Wolfgang Niedecken?

Am 30. März wird Wolfgang Niedecken 70 Jahre alt. Statt der großen Geburtstagssause in der Kölnarena gibt es eine kleine Feier im Familienkreis. Doch unterkriegen lässt sich der Kölner Rockmusiker nicht. Wir sprachen mit ihm am Telefon. Herr Niedecken, Ihr Kollege Henning May, Sänger von AnnenMayKantereit, hat Ihnen eine „Leuchtturm-Qualität“ für die Gesellschaft bescheinigt. Wie denken Sie über dieses Kompliment? Ich finde es schön, wenn Henning das so sieht, und fühle mich geehrt. Gerade wenn so junge Leute etwas mit einem anfangen können, dann bestärkt einen das. Ich hatte ja selbst in dem Alter meine Vorbilder, vor allem zu Heinrich Böll habe ich aufgeschaut. Ich mache mir meine Gedanken, und ich spüre die Verantwortung. Ich habe vier Kinder in die Welt gesetzt, es kommen Enkel, ich kann nicht einfach sagen „Macht euren Mist mal alleine“. Ich werde nicht ungebeten agitieren, aber wenn mich jemand etwas zu einem Thema fragt, zu dem ich eine Meinung habe, dann werde ich auch etwas dazu sagen. Enttäuscht? Sie wollten ihren 70. Geburtstag mit einem großen Konzert in der Kölnarena zelebrieren. Wie groß ist die Enttäuschung, dass daraus nichts wird? Wat willste maache?! Das ist Kölsch für „Ich kann‘s nicht ändern“. Genau. Ich lasse mich nicht runterziehen. Wir planen jetzt eine Tournee für 2022 und würden gerne meinen Geburtstag genau um ein Jahr verschieben und mit diesem besonderen Konzert anfangen. Dann bin ich jetzt quasi zwei Jahre lang 69 und somit in den Jungbrunnen gefallen (lacht). Den ersten Auftritt hatte BAP 1977 bei einer Protestveranstaltung gegen den Bau der Kölner Stadtautobahn. Wolfgang Niedecken hat da noch Kunst studiert und nebenher Musik gemacht. Heute, nach 20 Studioalben, Hits wie „Kristallnaach“ und vielen Umbesetzungen, firmiert die Band als Niedeckens BAP. Zum 70. Geburtstag erscheint am 26. März das Album „Alles fließt“ noch einmal in einer Sonderedition, vier Raritäten aus der Vorzeit inklusive. Das sind Sie ja ohnehin. Wann war Ihnen klar, dass Sie umplanen müssen? Anfang November. Das Virus ist clever, es sucht sich seinen Weg. Immer wieder passieren rund um die Pandemie Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat, auch wenn zum Beispiel solche Mutationen anscheinend das Normalste der Welt sind. Was nach wie vor fehlt, ist die Planungssicherheit. Ich kündige keine Shows an, wenn nicht mindestens zu 80 Prozent die Wahrscheinlichkeit besteht, dass wir sie auch spielen können. Ich weiß auch noch nicht, wie weit wir im Sommer sind. Wir dachten sogar über Strandkorbkonzerte nach, um überhaupt mal wieder ein Lebenszeichen zu senden und als Band zusammenzukommen. 2022 dürfte ein großes Konzertjahr werden. Ja, 2022 werden voraussichtlich alle unterwegs sein. Die ganz großen internationalen Acts haben bestimmt schon die Stadien gebucht, kündigen die Tourneen aber noch nicht offiziell an. Ich hoffe vor allen Dingen, dass wir nächstes Jahr überhaupt noch eine Bühnencrew zusammenbekommen. Einige Techniker und Roadies haben den Beruf bereits ganz verlassen, weil sie keine Perspektive mehr sehen. Auch muss man sich fragen, ob die Leute überhaupt wieder in Konzerte gehen möchten. Viele sind verschreckt, was man ja auch verstehen kann. Zwei Voraussetzungen: Denken Sie, Menschen, die gegen Corona geimpft sind, sollten wieder in Restaurants und in Konzerte gehen dürfen, so wie in Israel? Das geht nur unter zwei Voraussetzungen: Wenn klar ist, dass man nach einer Impfung nicht mehr ansteckend ist. Und wenn alle die Möglichkeit bekommen haben, sich impfen zu lassen. Nur dann ist es fair. Ich denke, es wird sich in den kommenden Monaten so oder so in diese Richtung entwickeln. Haben Sie schon Ihr Impfangebot bekommen? Nö, aber ich denke, sobald die vorne die „7“ steht, werde ich in der nächsten Rutsche mit drin sein. Besser, wir sagen den Leuten nicht, dass ich jetzt noch ein weiteres Jahr 69 bleibe (lacht). Und wie feiern Sie Ihren Geburtstag nun stattdessen? Im kleinen Kreis. Meine Frau Tina, unsere Töchter, deren Freunde und der kleine einjährige Enkel. Die kommen aus Berlin, wir testen uns alle, und dann gibt es eine schöne Runde. Der Enkel hat den Groove: Ist Ihr Enkel Noah, der Sohn Ihrer Tochter Isis-Maria, schon eins? Ja, am 6. März haben wir den Geburtstag des Kleinen gefeiert, allerdings auch nur per Skype. Der Junge ist ein echtes Sonnenscheinchen. Und unglaublich musikalisch – er hat wirklich den Groove und bewegt sich schon richtig zur Musik. Du gibst dem Kleinen zwei Knüppel in die Hand und ein paar Plastiktöpfe, da haut er dir im Takt drauf rum. Freuen Sie sich eigentlich über diese „7“ da vorne? Ach, das ist mir sowas von egal. In meinem normalen Alltag denke ich nicht ständig darüber nach, wie alt ich bin. Aber jetzt werde ich halt ständig dazu befragt. Aus der Innensicht spüre ich irgendwas mit 50. Mein Körper sagt mir, dass ich keine 25 mehr bin, die Zipperlein werden mehr, und meine Gelbe Karte habe ich vor zehn Jahren gekriegt, als ich meinen Schlaganfall hatte. Ich versuche mich fit zu halten, mich gut zu ernähren, Sport zu treiben und mindestens eine Stunde am Tag mit dem Hund an der frischen Luft zu sein. Wie sieht Ihr Sportprogramm aus? Ich setze mich jeden Morgen nach dem Aufstehen eine Stunde auf dem Heimtrainer und schwitze ordentlich, während ich meine 28 bis 30 Kilometer fahre. Zwischen 50 und 60 habe ich das auf einem real existierenden Rad gemacht, bin bei Wind und Wetter am Rhein entlanggefahren. Doch die Knochen werden brüchiger, und ich habe Angst, mich aufs Maul zu legen. Jetzt mache ich mir meinen Tee, gucke dabei Serien oder höre Musik und bringe mich in Schwung. „Leev Frau Hermanns“: Sie haben das aktuelle BAP-Album „Alles fließt“ in einer Geburtstagsedition um vier Lieder erweitert. Eines davon heißt „Leev Frau Hermanns“ und ist das erste Stück, für das Sie einen Kölschen Text geschrieben haben. Bisher war man davon ausgegangen, dass 1977 „Helfe kann dir keiner“ mein erstes Lied auf Kölsch war, doch die BAP-Geschichte muss neu geschrieben werden: „Leev Frau Hermanns“ entstand schon ein Jahr zuvor, als ich meinen Zivildienst in einer Altentagesstätte in der Kölner Südstadt machte. Wer war die Frau? Eine Schaustellerin. Ich kannte sie schon als kleines Kind. Sie kam oft zu meinen Eltern in den Laden. Während meines Zivildiensts waren wir ein Herz und eine Seele. Ich schrieb das Lied zu ihrem 93. Geburtstag und trug es ihr auch vor. Anschließend wanderte es in die Schublade. BAP war ja damals noch eine Coverband, wir spielten vor allem die Stones, die Kinks und Dylan nach. Umso schöner, dass ich es jetzt wiederentdeckt und im Alleingang aufgenommen habe. Die Arbeit machte mir so viel Spaß, dass ich gleich noch drei weitere Raritäten eingespielt habe, darunter zwei Dylan-Songs auf Kölsch. „Wo dä Nordwind weht“, im Original „Girl From The North Country“, war der erste Dylan-Text, den ich je ins Deutsche übersetzt habe. Als ich mein neues Dylan-Buch schrieb, dachte ich, es wird Zeit, dass ich den endlich mal aufnehme. „Leev Frau Hermanns“ ist zwar nicht von Bob Dylan, erinnert aber auch an ihn. Man nannte mich ja nicht umsonst den Südstadt-Dylan (lacht). Lesen Sie auch Niedecken kann über katholische Kirche nur den Kopf schütteln BAP-Sänger Niedecken über Xavier Naidoo: “Seine letzten Aktionen waren ernüchternd” „Wolfgang Niedecken über Bob Dylan“ heißt das Buch. Genau. Der rote Faden ist eine Reise, die wir für arte 2017 durch die USA unternommen haben, nach Washington, New York, Woodstock, Minnesota, wo er geboren ist, New Orleans und drei Städte in Kalifornien. Anhand der einzelnen Stationen erzähle ich ein bisschen, was mir alles mit Dylan passiert ist, wie ich ihn wahrgenommen habe und wie stark er mich geprägt hat. Keine Lust auf Bierbauch: Dylan wird 80, über die 93-jährige Frau Hermanns singen Sie, dass sie nie den Mut verloren hat. Ist sie ein Vorbild? In der Tat. So viel Kraft und Lebensfreude würde ich auch gern haben, wenn ich mal richtig alt bin. Man darf beim Älterwerden nicht anfangen, sich zu vernachlässigen, denn dann wieder die Kurve zu kriegen, das ist echt schwer. Ich habe mit 50 in den Spiegel geguckt und gedacht „Alter, wenn du jetzt nicht langsam mal was tust, dann wirst du mit 60 keinen Spaß mehr haben auf der Bühne.“ Ich bin Gott sei Dank sehr diszipliniert. Es macht keinen Sinn, wenn ich mir jeden Abend die Kante gebe, mich schlecht ernähre und einen Bierbauch kriege. Zwischen meiner Frau Tina und mir herrscht das stille, gegenseitige Einverständnis, dass wir uns nicht gehenlassen. Kochen Sie zusammen? Ich koche gar nicht. In dem Alter, in dem andere Männer kochen lernen, mit Anfang 20, habe ich Malerei studiert. Immer, wenn ich versucht habe, was zu kochen, ist mir dabei die Farbe trocken geworden. In der Zeit habe ich mich hauptsächlich von Hering in Tomatensauce ernährt, in der einen Hand hatte ich Dose und Gabel, in der anderen den Pinsel. Später hatte ich immer Freundinnen, die besser kochen konnten als ich. Schwein gehabt. „Ein langweiliges Leben geht echt anders“: Der 70. Geburtstag ist ein Anlass, um das bisherige Leben Revue passieren zu lassen. Was denken Sie, wenn Sie zurückblicken? Wie dankbar ich bin für dieses Leben. Ich habe unglaublich viel erlebt. Ein langweiliges Leben geht echt anders. Was wir für exotische Tourneen gemacht haben! China, Nicaragua, Russland, Mosambik. Das war schon irre, dass der kleine Junge, der mit Fernweh einst auf der Kölner Südbrücke stand, auf diese Weise die Welt gesehen hat. Wie stark ist Ihr Fernweh im Moment? Mich juckt es jetzt nicht so, dass ich unbedingt bald nach Australien müsste oder so. Aber wenn es geht, dann würden wir im Sommer gern mit dem Auto nach Kreta runterfahren, wo wir oft sind und auch einige Leute kennen. Flugzeug geht schneller. Wir wollen unbedingt den Hund mitnehmen. Außerdem: Ich bin zum ersten Mal 1973 mit einem kaputten VW Bus bis mitten in die Türkei gefahren. Ich war so oft in der Ecke, meist mit schrottreifen Karren. Die Strecke fahr‘ ich locker auf einer Arschbacke. Erster Familienversuch gescheitert: Gibt es Entscheidungen, die Sie bereuen? Dinge, die Sie gern anders gemacht hätten? Natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein. Ich bin überhaupt nicht stolz darauf, wie mein erster Familienversuch gescheitert ist. Das hängt mir nach. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht denke „Verdammt, das hast du in den Sand gesetzt“. Ich tröste mich damit, dass ich nicht der einzige bin, dem so etwas passiert ist. Und die Beziehung zu meinen Söhnen ist zum Glück in Ordnung. Sie haben seit Jahrzehnten eine klare Haltung gegen Fremdenhass. Jetzt hat die AfD bei den Landtagswahlen deutlich schwächer abgeschnitten als vor fünf Jahren, und insgesamt wird es um die Rechtsradikalen merklich ruhiger gerade. Oder täuscht das? Das täuscht, fürchte ich. Diese Leute, die einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen, um sie zu spalten, die sind weiterhin auf dem Sprung. Nur drängt Corona gerade alle anderen Krisenherde an den Rand. Ohne Corona wäre doch wahrscheinlich sogar der Trump noch mal gewählt worden. Habeck der neue Kanzler: In Deutschland könnte ab Herbst ein Rheinländer der nächste Kanzler werden. Eine angenehme Vorstellung? Ich dachte, Robert Habeck kommt aus Norddeutschland (lacht). Ach, den Laschet meinen Sie. Als Mensch ist er mir sympathisch… Und der Bundestrainerposten wird auch noch vakant. (lacht): Ich kann wirklich nicht alles machen! Von Steffen Rüth