Ist Donald Trump ein Faschist?

Professor Dr. Magnus Brechtken ist stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus sowie der internationale Diskurs zur Verarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft seit 1945. „Trump war und ist der gewählte Präsident“: In der jüngsten Debatte nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington wurde Donald Trump von Kritikern wie der US-Philosophin Susan Neiman als Faschist bezeichnet – zu Recht? Der Faschismus ist eine Erscheinung einer spezifischen Zeit vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Als Historiker ist man deshalb vorsichtig, ihn einfach zu übertragen. Donald Trump war und ist bis zum 20. Januar der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten. Das muss man erst mal ernst nehmen. Was er mit seiner politischen Macht anstellt, welche Ambitionen er hat und wie man das bewertet, ist eine andere Frage. Ich würde ihn aus historischer Perspektive nicht als Faschisten bezeichnen. „Er verweigert die Realität“: Sondern? Er ist ein Hyper-Egozentriker mit autoritären Ambitionen, der bewusst die Realität verweigert und sich nicht an elementare Regeln politischer Kultur hält, etwa die Anerkennung der Niederlage nach einer demokratischen Wahl. Das hängt mit seiner Persönlichkeit zusammen. Die ist das eigentliche Problem. Zu rationaler politischer Führung ist er offensichtlich unfähig. Er lebt in einer geschlossenen Weltsicht und will bestimmte Fakten nicht wahrnehmen. Wie viel er dabei nicht will oder nicht kann, ist eine andere Frage. Seine Nichte Mary hat das ja in ihrem Buch „Zu viel und nie genug“ psychologisch überzeugend beschrieben. Auch andere wie sein früherer Sicherheitsberater John Bolton haben geschildert, wie Trump ab einer gewissen Argumentationsstufe nicht mehr für rationale Argumente zugänglich ist. Es ist also ein psychologisches Problem und eines der politischen Willensbildung. Das mit dem historischen Faschismus gleichzusetzen hilft wenig zum Verständnis. Also ist der Begriff tatsächlich an eine bestimmte Epoche gebunden? Ich finde das überzeugender. Aber es gibt natürlich Phänomene des Faschismus, die wir auch in der Gegenwart finden. Vieles erinnert an faschistische Regime: Da erfüllt Donald Trump mit der Verachtung von Liberalismus, Demokratie, Parlamentarismus und Rechtsstaat allerdings einige. Sicher erinnert seine Geisteshaltung an vieles, was in faschistischen Regimen wirkte. Aber zugleich zeigt sich die Widerstandskraft der US-Demokratie. Trump hat viel Chaos angerichtet, war aggressiv und destruktiv. Aber am Ende ist er weder in seinen Handlungen noch in seiner Wirkung so durchgedrungen, dass die USA von ihm wie im Faschismus regiert werden konnten. Im Gegenteil, die Institutionen von Kongress und Senat haben trotz dieser Herausforderungen im Kern gehalten. Die Gegner haben mobilisiert, und die Mehrheit der Bevölkerung hat diese Art von Politik abgewählt. Könnte man ihn dann als Autokraten, Demagogen oder Volksverhetzer bezeichnen? Ein Demagoge ist er sicher, weil er für jeden sichtbar Menschen belügt, in die Irre führt und sich der Realität verweigert, die für jeden rational nachprüfbar ist. Erklärungsbedürftig ist, dass mehr als 70 Millionen Amerikaner dergleichen freiwillig wählen. Das ist ein Phänomen, das man nicht auf Donald Trump reduzieren kann. Es gibt offenbar in großen Teilen der Bevölkerung einen Mangel an Geschichtsbewusstsein und politischem Willen, sich an Regeln zu halten. Das ist eine Herausforderung, die bleiben wird. Die Mehrheit spürt aber, dass das eine Gefahr ist, gegen die man die Demokratie stärken muss. In Deutschland sind sich die Gerichte nicht einig, ob man den AfD-Politiker Björn Höcke einen Faschisten nennen darf. Was ist er in Ihren Augen? Ich habe sein Buch „Nicht zweimal in denselben Fluss“ gelesen, und es ist ganz eindeutig, dass sich Björn Höcke in der Tradition völkischen Gedankengutes und nationalsozialistischer Weltbilder bewegt. Wir haben ja hier am Institut für das Bundesverfassungsgericht ein Gutachten über die historische Wesensverwandtschaft der heutigen NPD mit dem Nationalsozialismus erstellt. Diese Verwandtschaft kann man eindeutig sehen, in vielen Punkten gibt es bei den Argumentationsmustern sogar eine Wesensgleichheit. Und viele dieser Muster kommen auch bei Björn Höcke vor. Ein völkisches Weltbild in nationalsozialistischen Denktraditionen. Weltweite Empörung über Unruhen in Washington Madeleine Albright: “Was in Amerika passiert, ist die Hölle” Amerikas neuer Albtraum mit F Ist die AfD eine faschistische Partei? Wie gesagt, ich habe Probleme mit dieser Terminologie. Im Kalten Krieg wurde der Begriff Faschismus vor allem von Seiten der marxistischen Geschichtsinterpretation benutzt, um alles Nichtsozialistische oder -kommunistische in einen Topf zu werfen. Aus dieser Sicht ist alles, was den Weg zum Sozialismus und Kommunismus blockiert, prinzipiell faschistisch, nicht zuletzt die bürgerliche Gesellschaft. Der Nationalsozialismus war in diesem Weltbild der deutsche Faschismus. Aber auch die politischen Institutionen der Bundesrepublik waren nach dieser Lesart Fortsetzungen faschistischer Herrschaft. Faschismus war also ein Kampfbegriff und ist es heute immer noch? Genau. Bis 1945 haben sich Faschisten in Italien, Frankreich, Großbritannien und in vielen anderen Ländern Europas bewusst so bezeichnet. Danach war der Faschismus als politische Bewegung diskreditiert. Wir müssen also fragen: Hat der Begriff einen analytischen Nutzen oder zielt er vor allem auf Diffamierung. Inflationäre Gebrauch lässt alles verschwimmen: Und der inflationäre Gebrauch macht es heute nicht besser? Überhaupt nicht, er lässt eben alles verschwimmen. Wenn man daher über Donald Trump oder Björn Höcke spricht, sollte man die präzisen analytischen Begriffe nutzen, die dafür verfügbar sind. „Den kann man als Nazi bezeichnen“: Gilt das auch für den Begriff Nazi? Ein Nationalsozialist ist jemand, der das Programm der NSDAP, des nationalsozialistischen Denkens und der Ideologie vertritt. Wenn es die Partei nicht mehr gibt, so gibt es aber immer noch die Ideologie und das Denken. Wer sich beides zu eigen macht, den kann man als Nazi bezeichnen, auch nach 1945. Die Präzision der Begriffe ist der Anfang, um zu verstehen. Das kann jeder nachvollziehen. Der Begriff Faschismus hatte vor 1945 enorme Bedeutung. Danach dient er vor allem als ideologischer Kampfbegriff. Für die Analyse heute ist das wenig hilfreich. Von Peter Intelmann