Journalist durch und durch: 200. Geburtstag von Thedor Fontane

Er starb mit einer Zeitschrift in der Hand. Kurz bevor Theodor Fontane am 20. September 1898 gegen 21 Uhr für immer die Augen schloss, blätterte er in der „Deutschen Rundschau“, für die er fast zwei Jahrzehnte Artikel und Romane geschrieben hatte. Das war stilvoll und sehr passend. Denn Deutschlands wichtigster Romancier des 19. Jahrhunderts war in erster Linie Journalist: zeitungssüchtig, bis ins hohe Alter neugierig auf der Suche nach interessanten Meinungen und Meldungen, die damals noch ausschließlich die gedruckte Presse lieferte. Und nichts konnte ihn so empören, schreibt er in einem Gedicht, „als auf Zeitungsschreiber schimpfen zu hören“. Theodor Fontane wird am 30. Dezember 1819 als Sohn eines Apothekers geboren. Die Jugend verbringt er in Neuruppin und Swinemünde; muss häufig die Schule wechseln, da der Vater das Vermögen beim Spiel durchbringt. Nach der in Berlin, Dresden und Leipzig absolvierten Lehrzeit legt er 1847 ein Staatsexamen ab und erhält die Approbation zum „Apotheker erster Klasse“. „Man ließ mich Apotheker werden“, schreibt er verbittert, „weil man das Geld verprassen wollte, was zur Ausbildung der Kinder hätte verwendet werden müssen, und jetzt, so sich Reue darüber leise im Herzen regt, ist es zu spät.“ Alle Bemühungen, eine eigene Apotheke zu erwerben, scheitern am Finanziellen. Er ist gezwungen von seinem Hobby – dem Journalismus – zu leben. Wie mein Auge nach dir späht Morgens früh und abends spät Die besten Plätze sind alle leer, Was noch lebt gefällt mir nicht mehr Aber wie sie mogeln und sich betören, Davon mag ich noch gerne hören. Wie sich sich zanken und sich verhetzen, Ist mir gar nicht zu ersetzen. (…) Will mir, wenn sie ganz arg es treiben, Vor Vergnügen die Hände reiben, Und will aus dem Leitartikel erfahren Die Gedanken des Sultans oder des Zaren. (…) Und nichts kann mich so tief empören, Als auf Zeitungsschreiber schimpfen zu hören. Da stehn sie mit hochgetragnen Nasen: „Aus deiner Zeitung – das sind ja Blasen, Die Kerle, die’s schreiben, halb Füchse, halb Hasen. Und was sie schreiben, sind elende Phrasen.“ Aber nehmt uns die Phrasen auch nur auf drei Wochen, So wird der reine Unsinn gesprochen, Und du – du suchst wohl krampfhaft zu lachen – Du würdest keine Ausnahme machen. Auszug aus Theodor Fontanes Gedicht „Zeitung“ aus dem Jahr 1895 Von 1850 bis 1898 hat er sich als Reporter und Auslandskorrespondent, Kriegsberichterstatter und Reiseschriftsteller, Redakteur, Ghostwriter und Kritiker mit fast allem beschäftigt, womit sich beim Schreiben Geld verdienen lässt. Auch wenn er als Dichter, Erzähler und Romancier in Erinnerung geblieben ist, so war er doch in erster Linie Journalist. Von seiner unpathetischen, aber wirkungskräftigen Sprache kann man noch heute lernen. Zu den Vorteilen wie den Gefährdungen des journalistischen Berufes hat er Grundlegendes gesagt. Harte Jahre: Von dreißig bis fünfzig tut er sich leicht und schwer zugleich. Preußisch-patriotische Balladen verhelfen ihm zu einem gewissen Bekanntheitsgrad. Gemeinhin aber sieht er sich mit der zu früh, aber fest versprochenen Ehe mit Emilie Rouanet-Kummer belastet. Als er 1850 nach langer Verlobung heiratet, folgt die finanziell härteste Zeit. Es treffen nur karge Honorare für Artikel in der „Erfurter Zeitung“ oder dem „Danziger Dampfboot“ ein. Der „Tintensklave“, bemerkt er, arbeite für die Freiheit, und komme eben dadurch in Unfreiheit. Er schreibt an einen Freund, dass er zuweilen gehungert habe. Dennoch stellt er fest: „Im Ganzen aber verbesserte sich meine Stellung um ein nicht Unbeträchtliches, weil die Menschen (…) vor jedem, der zu Zeitungen irgendwelche Bindungen unterhält, eine gewisse Furcht haben. Furcht, die nun mal für Übelwollende der beste Zügel ist.“ Die Rezension von drei neuen Fontane-Biografien lesen Sie hier: Im Gegensatz zum späteren Erzähler und Romanautor kennt der Journalist Fontane wenig Skrupel. Der ehemalige Barrikadenkämpfer von 1848 wird Regierungsjournalist unter dem ultrakonservativen Preußischen Ministerpräsidenten von Manteuffel und hilft der öffentlichen Meinung nach – auch mit äußerst unjournalistischen Mitteln. 1857 berichtet er seiner Frau aus London, er habe die bisher preußenfeindliche Zeitung „Morning Chronicle“ zu einer loyalen Haltung bewegen können. Den Meinungsumschwung erzielt er mit 2000 Talern pro Jahr für eine regelmäßige Veröffentlichung der vom preußischen Gesandten gewünschten Artikel. Die Arbeit ist „ledern“ und „dürr“: Ab 1856 schreibt Fontane zuerst als freier Londoner Korrespondent, dann als Redakteur des „Englischen Artikels“ für die „Kreuz – Zeitung“, ein Blatt auf der äußersten Rechten. Da sich die Zeitung keine eigenen Mitarbeiter in London leisten kann, fertigt Fontane in Berlin aus Originalbeiträgen englischer Blätter sogenannte „Unechte Korrespondenzen“: „Es ist damit wie mit den friderizianischen Anekdoten: die unechten sind genauso gut wie die echten und mitunter noch ein bisschen besser.“ Auch wenn die Arbeit zumeist „ledern“ und „dürr“ ist, lässt sie ihm doch genug Zeit für historische Arbeiten und Reisejournalistik über die Mark Brandenburg. 1870 kündigt Fontane bei der „Kreuz-Zeitung“ und schließt einen Vertrag mit der „Vossischen Zeitung“, der liberalen Qualitätszeitung in Preußen, für Theaterkritik. Mit Beginn der Spielzeit 1870/71 nimmt er zum ersten Mal jenen herausgehobenen Eckplatz im Parkett des Berliner Schauspielhauses ein, der in seiner langjährigen Kritikerzeit Berühmtheit erlangen soll. Seine Erinnerungen sind zwiespältig: „Man bilde sich nur nicht ein, dass ein Theaterkritiker ein Richter ist, viel öfter ist er ein Angeklagter. ,Da sitzt das Scheusal wieder’ habe ich oft auf den Gesichtern gelesen.“ Preußisches Understatement, Berliner Witz: Der Journalismus hat seinen Romanen und Novellen nicht geschadet. Das Vorbild für seine Literatur liegt in der Reportage, die man damals noch schlicht „Bericht“ nennt. Sein Wort „Der Bericht ist beinahe alles“ fasst das, was Fontane unter Literatur versteht, wie in einer Formel zusammen. Beim Schreiben von „Berichten“ entwickelt er jenen eigenen Tonfall, den der Publizist Sebastian Haffner hoch gelobt hat, wegen einer „gar nicht überschwenglichen, eigentümlich spröden“ Art „mit ihrem preußischen Understatement und Berliner Witz“. Mit 59 macht Fontane seinen „kleinen Romanschriftsteller-Laden“ auf und schreibt in den verbleibenden zwanzig Jahren noch 17 Romane und Erzählungen. Immer wieder verdanken sich seine Stoffe Zeitungsartikeln aus dem Ressort „Vermischtes“: so zum Beispiel „Irrungen, Wirrungen“, die Liebesgeschichte zwischen einem adligen Offizier und einem Mädchen, „das von ihrer Hände Arbeit lebt“. Das Buch gibt in seiner Raffinesse einen Vorgeschmack auf die Literatur des 20. Jahrhunderts. „Effi Briest“ ist der klassische deutsche Ehebruchsroman geworden, der den Vergleich mit „Madame Bovary“ und „Anna Karenina“ nicht zu scheuen braucht. Das Alter liebevoll verherrlicht: „Der Stechlin“ schließlich entwickelt sich zur immerwährenden Lieblingslektüre der gebildeten deutschen Stände über 60. Nirgends in der Literatur hat jemand das Alter so intelligent und liebevoll verherrlicht wie Fontane in Gestalt des Grafen Barby und des alten Stechlin. Zu entdecken sind für viele noch „Die Poggenpuhls“ und „Mathilde Möhring“, die wunderbare Geschichte von der ehrgeizigen, aber „reizlosen“ Buchhaltertochter, die ihre Gesellschaft herausfordert und sich mit instinktsicherem Blick durchsetzt. Theodor Fontane hat mit seinem sehr umfangreichen Werk das Ansehen von “Tintensklaven“, von Journalisten und freien Schriftstellern, in Deutschland grundsätzlich verbessert. Das schönste Beispiel dafür liefert Thomas Mann in seinem Aufsatz „Der alte Fontane“. In einem Münchner Hotel habe sich ein Hochstapler als „Schriftsteller“ eingetragen. Thomas Mann fügt ironisch hinzu: „Wir können nicht mehr verlangen.“ Von Christian Schwandt

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