Jung und tiefgründig

Er hatte einen anregenden Abend in Berlin. „Wir waren essen“, amüsiert er sich im Berliner Büro seiner Plattenfirma. Natürlich gab es das deutsche Gedeck aus Schnitzel, „nein, es waren sogar zwei Schnitzel, es war himmlisch“, und es gab Bier, viel Bier. Entsprechend abgefüttert trollte er sich hernach in sein Hotelzimmer, aber dort schlief IAMJJ nicht etwa den Schlaf der Gerechten, sondern nahm seine Gitarre zur Hand, um das Grundgerüst eines neuen Liedes zu schreiben. Worum es darin geht? „Um dieses eine Mädchen, das gerade in fast allen meiner neuen Lieder auftaucht. Ich kann sie nicht vergessen. Ich habe ihr Herz gebrochen, sie mir meins auch, aber so richtig kommen wir nicht voneinander los. Sehr inspirierend und sehr anstrengend.“ Ein spannender Typ, dieser 24-jährige dänische Frauennichtversteher, der als Neunjähriger AC/DCs „Thunderstruck“ hörte und „wegen der Härchen, die sich auf meinen Armen aufstellten“ entschied, bald Musiker zu werden. IAMJJ denkt und redet aber auch wie ein handelsüblicher Vertreter seiner Generation. Unschlüssig, songinhaltlich kreist bei ihm vieles um die scheinbar endlosen Optionen, die man so hat als junger Mensch in der wohlhabenden, westlichen Welt. Und um die Probleme, die das Alles-offen-halten-können mit sich bringt. „Wir haben alle Möglichkeiten in der Hand, doch wir sind andauernd gestresst, überreizt und verwirrt“, so IAMJJ, der auch als Maler tätig ist, seine Bilder aber bislang nur Freunden zeigt. „Gleichzeitig sehen und zeigen wir im Internet nur die tollen Seiten unser aller Leben, was den Druck auf uns selbst noch weiter erhöht. Wenn du dann mal auf ,Stop’ drückst und siehst, wer du wirklich bist, kann das ganz schön frustrierend sein.“ Im Titelsong von „Bloody Future“ gehe es eben um den Zwiespalt auf Zukunftsgier und Zukunftsangst, in „Homer“, der aktuellen Single, die von IAMJJs Lieblingsrapper Eminem inspiriert sei, um die Zerrissenheit zwischen dem Überdruss an menschlicher Gesellschaft und zugleich der Angst vor einer Überdosis Einsamkeit. Musikalisch kleidet IAMJJ seine Lieder über die Widersprüchlichkeit in prächtige, wenngleich dunkle Gewänder. Der Junge, der mit 13 das Gitarre spielen begann, und mit 15 sein erstes Lied – für seine Schwester – schrieb („Ich hasste die Schule aus tiefstem Herzen, und endlich hatte ich mit der Musik etwas gefunden, worin ich gut war“), hat eine wundervoll tiefe Stimme. Die nutzt er in seinen überwiegend melancholietrunkenen Kompositionen weidlich aus und erinnert so in heiteren Momenten an The xx, meist jedoch an einen Leonard Cohen oder einen Nick Cave, was ausdrücklich auch seine Absicht sei. „Ich liebe diese Giganten. Sie haben tolle Stimmen, tolle Texte und superzeitlose Songs. Auch ich möchte später unbedingt einer dieser Künstler sein, von denen es heißt: Er ist zwar wahnsinnig und besessen, aber er hat wirklich was zu erzählen.“ Steffen Rüth LN

Kopenhagen - Jung und tiefgründig