Lesen und lesen lassen

Vor zwei Jahren haben sie begonnen, Texte zu sammeln, sagte Theaterdirektor Christian Schwandt, auf den die Idee zurückgeht. Ein Jahr hat dann die Vorbereitung gedauert, wobei Heide Klingelhöfer viele Fäden in der Hand hielt. Jetzt ist Ende Juni Premiere. Ähnlich wie bei der Museums- oder der Theaternacht wandern die Besucher dabei zwischen den Veranstaltungsorten, wo es Lesungen, Poetry Slams und Gelegenheit zum Essen und Trinken gibt. Für fünf Euro ist im Theater Lübeck sowie im Günter-Grass- und im Buddenbrookhaus ein umfangreiches Programmheft erhältlich. Eine Kollision mit dem Fußball ist ausgeschlossen: Am 29. Juni ist bei der Weltmeisterschaft in Russland spielfrei. Es sind viele bekannte Namen darunter. Miroslav Nemec zum Beispiel, der sonst im Münchner „Tatort“ als Ivo Batic ermittelt, liest im Theater aus den „Buddenbrooks“ und führt literarisch durch das Buddenbrookhaus. Meret Becker trägt aus Heinrich Manns „Professor Unrat“ vor und aus Texten von Lübecker Autorinnen wie Ida Boy-Ed, Alina Herbing und Dagrun Hintze. Titel der Lesung: „Ich wollte ja weg“. Katharina Thalbach ist dabei, die in Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung den kleinen Oskar zu umsorgen hatte und dessen Vater auch. Sie liest ihre Lieblingsstelle aus dem Roman, aber ebenso aus Günter Grass’ „Die Rättin“. Grass’ Tochter Helene ist auch vertreten. „Horror in Lübeck“ ist ihr Beitrag in den Kammerspielen überschrieben, es geht um schaurige Figuren der Lübecker Sagenwelt. Im Buddenbrookhaus gibt sie zudem Einblicke in Erinnerungen an Travemünde, wo Thomas Mann ja einige seiner glücklichsten Momente erlebte. Der frühere SPD-Vorsitzende Björn Engholm liest Texte von und über Willy Brandt, die junge, in Lübeck aufgewachsene Autorin Maria Odoevskaya aus ihrem ersten Roman „Was dann?“. Ole Kröhnert und Peter Anders, Landgerichtsdirektor der eine und Leitender Oberstaatsanwalt der andere, prüfen Lübeck-Krimis. Rachel Behringer und Jan Byl kümmern sich in einem Live-Hörspiel um die schaurigsten Leichen dieser Romane, Andreas Hutzel gibt Günter Grass und liest mit Marlies Fritz Texte von Erich Mühsam. Peter Grünig, ebenfalls bekannt vom Theater, trägt unter anderem Texte aus dem Exil vor, Svealena Kutschke aus ihrem Roman „Stadt aus Rauch“. Der Schauspieler Max von Pufendorf bringt wenig Schmeichelhaftes über Lübeck ins Spiel, Texte von Menschen also, denen es hier nicht gefallen hat. Richard Wagner etwa beklagte sich, dass er auf dem Weg nach in Travemünde „in einer elenden Schiffskneipe“ Station machen musste. Robert Gernhardt gar meinte über die Lübecker: „Wie schafft man es nur, sie nicht zu hassen!“ Musik gibt es auch: Der Bariton Ulf Bästlein und der Pianist Sascha El Mouissi nehmen sich Lieder Emanuel Geibels vor. Gelesen wird in vier Durchgängen ab 19 Uhr in drei Sälen des Theaters sowie im Grass- und im Buddenbrookhaus. Es stehen gleichzeitig etwa 1500 Plätze zur Verfügung. Den Abschluss bildet ab 23.15 Uhr ein Poetry Slam mit Musik von Bento im Großen Haus. Karten gibt es für 22 Euro (ermäßigt 11 Euro) an der Kasse im Theater Lübeck, online unter theaterluebeck.de oder bei den CTS-Vorverkaufsstellen. Wer früh bucht, ist dabei im Vorteil: Man braucht zusätzlich zum Festivalticket noch – kostenlose – Platzkarten, und wer sich zeitig kümmert, kann zwei Platzkarten schon gleich reservieren. Sonst muss man sie sich während der Langen Nacht vor Ort und je nach Verfügbarkeit besorgen. Im Vorverkauf sind Platzkarten nur an der Theaterkasse oder telefonisch (0451/399600) buchbar. Der Poetry Slam hat gesonderte Eintrittspreise. Die etwas umständliche Kartenvergabe sei der Resonanz geschuldet, sagte Hans Wißkirchen, der Chef der Lübecker Museen. Die sei enorm, das Interesse reiche bis nach Süddeutschland. „Lübeck ist literarisch und intellektuell eine Metropole“, sagte Schwandt. Das werde mit einer solchen Nacht unterstrichen. Deshalb ist auch an eine Wiederholung gedacht. Ein Termin wurde aber noch nicht bekannt gegeben. Peter Intelmann

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