Lyrik im Lockdown: Große Nachfrage nach Gedichten von Matthias Kröner

Die Idee klang verwegen: Täglich ein Gedicht per Email zu verschicken, 100 Tage lang. Als kostenlose lyrische Grundversorgung sozusagen. Zehn Tage sind inzwischen vorbei. „Ich kann nur sagen: Die Reaktionen und Rückmeldungen, die ich auf die Gedichte bekomme, sind überwältigend! Ich bin jetzt seit knapp einem Vierteljahrhundert in diesem Schriftsteller-Game, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt der Ratzeburger Lyriker und Reiseschriftsteller Matthias Kröner. Inzwischen sind es knapp 400 Abonnenten. Finanziell gefördert wird die Aktion von der Possehl-Stiftung im Rahmen der Aktion „Kulturfunke“. Zu jedem Gedicht bis zu 40 Kommentare: Zu fast jedem Gedicht, das er verschickt und auf seiner Facebookseite veröffentlicht, gebe es bis zu 40 Antworten, Meinungen, Kommentare. „Eine Lübecker Podcasterin hat mich in ihre Sendung ,Punk & Poetry’ eingeladen, das Klassik Altstadt Hotel möchte eine Online-Lesung mit mir machen, die Leiterin des Buddenbrookhauses möchte sich mit mir treffen. Oft werden die Gedichte auf Facebook geteilt, weshalb es jetzt auch Fans in England, Frankreich und Österreich gibt.“ Dir gehört ja nichts, gar nichts. Dir gehört nicht das Haus, für das du dich bei einer Bank verschuldet hast. Dir gehören auch nicht die Schulden, dir gehört nicht der Grund, nicht die Erde, die kompostiert auf die Aussaat wartet, nicht der Rasen, der nur von dir geschoren wird, am wenigsten gehört dir die Frau, die du liebst. Die Politiker, die du wählst, meinen, dass du ihnen gehörst. Dir gehört kein Regal, keine Kiste, kein Lebensentwurf, kein Erfolg. Dir gehört nicht das Zimmer, in dem du wohnst. Keine einzige Zeile, kein Wort. Niemand kann daran etwas ändern. Nicht einmal der Ausblick aus deinem Fenster gehört dir. Doch das mit Abstand Schönste seien für ihn die ehrlichen und teils berührenden Rückmeldungen. Zu dem Gedicht „Dir gehört ja nichts“ etwa hat eine Krankenschwester geschrieben: „Nach einem langen, arbeitsintensiven Tag in der Klinik trifft das heutige Gedicht genau meine Stimmung. Im ersten Moment hat es mich nachdenklich, fast schon etwas melancholisch gestimmt, im zweiten Moment dachte ich dann aber: wenn uns nichts gehört, dann gehören uns auch nicht die Sorgen, die Ängste, die Zweifel und die Verzweiflung – dann dürfen wir loslassen, dann sind wir frei! Ein so schöner tröstlicher und versöhnlicher Gedanke, der mich jetzt in friedvoller Stimmung den Abend beschließen lässt. Danke für dieses (für mich) so besondere Gedicht!“ Lesen Sie auch Poesie in der Pandemie: Hier können Sie 100 Gedichte an 100 Tagen bestellen Wacken-Chef im Interview: Kann das Festival stattfinden? Harter Sparkurs für die Kirchenmusik in Lübeck: Weniger Stellen für Musiker und Pastoren Matthias Kröner ist von dieser Wirkung selbst überrascht. „Wahnsinn, was Literatur, ja sogar Lyrik vermag! Und das ist nur eines von vielen Beispielen, wie sehr die Menschen Kultur vermissen.“ Für ihn sind Gedichte „Gebrauchskunst im bestmöglichen Sinne des Wortes. Sie gehören für mich zum Alltag und ich freue mich, wenn ich diese Einstellung ein wenig in die Welt trage.“ Ein Gedicht-Abo kann man per Email unter lyrischepost@fairgefischt.de bestellen, die Gedichte auf Facebook nachlesen Von Petra Haase