Mächtig aus den Fugen

Dann ruft sie Ariel und Caliban herbei, Prosperos willig-widerwillige Helfer, und man ist gebannt von dieser Dreifaltigkeit und dem, was sie wohl anstellen mögen auf der leeren Bühne mit der Welt, die Shakespeare in „Der Sturm“ seinem Prospero zur Gestaltung freigibt. Nur dass es nichts Gutes sein wird, ahnt man, als Nüsse Leonard Cohens letztes Album von 2016 zitiert: „You want it darker . Die nächsten Termine: 2., 5. und 13. März. sowie 12. April. Kartentelefon: 040 / 32814444 Info: www.thalia-theater.de. .“. Einen starken Einstieg gönnt Regisseurin Jette Steckel am Thalia Theater Shakespeares letztem Drama um Prospero, der mit Tochter Miranda über eine nahezu unbewohnte Insel herrscht. Bis er Bruder Antonio, der ihm in Mailand einst die Macht raubte, mitsamt Gefolge dort stranden lässt. Ganz konzentriert auf Shakespeares Text (in der Übersetzung von Frank-Patrick Steckel, dem Vater der Regisseurin) geht das los. Und Barbara Nüsse, die vor wenigen Wochen ihren 75. Geburtstag feierte, lässt Prospero in einem wunderbar Beckett’schen Nihilismus leuchten. Kind und Greis zugleich, ein so verspielter wie tyrannischer Weltenschöpfer, den seine Geister am Ende still zu Grabe tragen. Alptraum als Performance: Aber so weit ist es noch nicht. Erst mal sieht man Prospero die Geister zur Raison rufen, dann, wie er mit der schlafenden Miranda Marionette spielt, ihr die Prophezeiung einimpft vom Sturm und den Fremden. Und Maja Schöne übersetzt den Alptraum in eine wilde, bebende Performance, verwischt schwarzen Sand auf weißem Boden zum unauflöslichen Amalgam. Jetzt können sie kommen, die Fremdlinge. Was sie auch tun – in einer groß dimensionierten, düsteren Show, die Jette Steckel im Untertitel „A Lullaby for Suffering“ nennt und für die sie die ganze Effektmaschinerie anwirft. Bühnenbildner Florian Lösche hat eine Mischung aus Setzkasten, Wohnlandschaft und Gummizelle gebaut, in der sich auf drei Etagen die Welt entlarvt. Und Prosperos Inselwelt verfließt darin mit einem verlorenen Europa und Amerika aus den Texten der angesagten britischen Rapperin Kate Tempest und mit den letzten Liedern von Leonard Cohen. Weshalb fortan hauptsächlich Englisch gesprochen wird. Ein irres Weltuntergangsmusical geht da nun ab, laut und wütig. Angetrieben wird das von Laurenz Wannenmacher und seiner brillanten Band, die die Düsternis in brechende Sounds übersetzt. Mirco Kreibich gibt einen vernunftbegabten Luftgeist Ariel, der vor allem seine akrobatischen Fähigkeiten ausspielen darf und spektakulär Wände hinaufläuft. André Szymanskis irrlichternder Caliban ist von vornherein mit klotzigem Pferdefuß auf das von der Zivilisation verdorbene Böse abonniert. Zwischen diesen Polen wieselt das um Figuren aus Tempests Universum aufgestockte Sturm-Personal in der Endlosschleife seiner Traumata. Eine Frau (Marie Löcker), die mit dem aufreibenden Arbeitsalltag hadert. Antonio (Mathias Leja) und Kumpel Sebastian (Tilo Werner) als fies hedonistische Geldgeier. Jan Plewka ein Ferdinand mit schöner Popstimme. Und Gonzalo (in der Premiere an Stelle der erkrankten Karin Neuhäuser von Sebastian Rudolph gespielt), der Prospero einst das Überleben auf der Insel sicherte, ein Rinnsteinphilosoph, den keiner mehr hört. Jette Steckel entwirft ein apokalyptisches Wimmelbild, in dem die Welt mächtig aus den Fugen ist. Was Prospero Miranda zeigt, ist längst zum Abbild seiner Ohnmacht geworden. So weit, so deutlich. Dass dieses seltsame Requiem trotzdem so wenig trifft, liegt an einem Zuviel, das auch zu wenig ist. Weil Tempests Figuren im Sturm-Personal wie Fremdkörper wirken. Außerdem steht der Hang zur Verdeutlichung den diffusen Realitäten und flirrenden Haltungen in Shakespeares Universum fundamental entgegen. Und in der auf Parolen heruntergebrochenen Gegenwartskritik dampft die Welt zur eindimensionalen Düsternis zusammen. Da blieben auch im deutlich in Buh-Rufer und Begeisterte geteilten Premierenpublikum kaum Fragen offen. Ruth Bender

Hamburg - Mächtig aus den Fugen