Rammstein-Sänger Till Lindemann: Wie ihn sein Vater sah

Es war Karneval im Dorf, und Till Lindemann ging hin. Was er anziehen wollte? „Weiß ich noch nicht“, sagte er. „Auf jeden Fall mal anders sein, als man ist.“ Das ist ja eben die Frage. Wer Till Lindemann ist, das weiß man nicht genau. Auf der Bühne steht ein Schmerzensmann, ein dunkler Fürst aus Bereichen, die man allein lieber nicht betreten wollte. Da singt einer satanische Verse, und hinter ihm spielt mit Rammstein eine Band, die von satanischen Klängen eine Menge versteht. Es ist eine gewaltige Veranstaltung. Rammstein ist eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands. 1994 gegründet, veröffentlichte sie im Jahr darauf mit „Herzeleid“ ihr erstes Album. Als die Band im vergangenen Jahr auf ihre erste Stadiontour ging – die erste Tour überhaupt seit zehn Jahren –, waren binnen weniger Stunden 800 000 Karten für ihre Konzerte in 24 Städten in 17 Ländern verkauft. Beim Konzert 2010 im New Yorker Madison Square Garden waren die 18 000 Tickets nach 30 Minuten weg. In einem Buch aber lernt man einen anderen Till Lindemann kennen, zumindest einen jüngeren. Sein Vater Werner Lindemann hat es geschrieben. Es ist 1988 erschienen und jetzt mit einem Interview des Sohnes noch mal neu auf den Markt gekommen. „Mike Oldfield im Schaukelstuhl“ heißt es, ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Till Lindemann war 19 damals. Er lebte bei seinem Vater auf dem Dorf nahe Schwerin. Er hatte sich oben in dessen altem Bauernhaus ein Zimmer eingerichtet und machte in der Nähe eine Stellmacherlehre. Er heißt Timm in dem Buch, und er war nicht begeistert, als es erschien. Sein Vater hatte ihn nicht gefragt. Inzwischen aber hat er halbwegs seinen Frieden damit gemacht. Werner Lindemann war ein gefeierter Dichter und Kinder- und Jugendbuchautor in der DDR. Er war privilegiert und hatte nichts gegen den Staat, jedenfalls nicht grundsätzlich. Seine Frau Brigitte wohnte mit der Tochter in Rostock und kam öfter am Wochenende aufs Land. Till lebte zwei Jahre bei ihm. Er hätte studieren sollen, wenn es nach den Eltern gegangen wäre, Literatur oder Kunst. Aber er war „unfassbar schlecht“ in der Schule, sagt er in dem Nachwort, das tatsächlich ein langes Interview mit dem Verleger Helge Malchow ist. „An Abitur war gar nicht zu denken.“ Also musste eine Lehre her. Und er ging zu einem alten Meister, der im Wesentlichen seine Ruhe haben wollte, Till wegen dessen langer Haare Mozart nannte und mittags den ersten Korn probierte – „es war herrlich“. „Der kann alles“: Till war handwerklich begabt. „Der kann alles“, sagte ein Kumpel, als er mit seinem kaputten Moped bei Tills Vater auf den Hof geschoben kam. Eines Tages hat er sich auch einen Schaukelstuhl gebaut, ein gewaltiges Ding, „die Lehne stößt beinahe an die Zimmerdecke“. Und darin hat er Mike Oldfield gehört, daher der Titel. Er hat noch anderes gehört damals. Tangerine Dream und Jean-Michel Jarre, Alan Parsons Project, aber auch die Ramones. „Entweder dieses ganz weiche Zeug oder richtig zackig hart“, so hat er das genannt. Und als er malte, tat er das zu Orgelmusik von Bach. Man wird in dem Buch Zeuge eines schwierigen Verhältnisses. Da begegnen sich zwei, die zueinander gehören und sich doch fremd sind. Der Vater hat ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht genug gekümmert hat, als Till kleiner war. „Ich muss mehr mit dem Jungen reden“, sagt er. „Bloß wie?“ Und der Sohn geistert durch eine späte Pubertät. Man begleitet ihn, wie er einen geliehenen Trabant zu Schrott fährt, wie er sich in der Dorfkneipe prügelt, bei der Angst, seine Freundin könnte schwanger sein. Aber Till ist auch der, zu dem die Kinder gehen, wenn sie zu Besuch kommen. Der einen kleinen Hund vor dem Tod rettet, ihn seinem Vater zu Weihachten schenkt und ihn todtraurig erschlägt, als er von einem tollwütigen Fuchs gebissen wird. Der mit seinem Vater Birken pflanzt und Pilze sucht, der ein gefundenes Vogelnest ins Regal legt und überhaupt die Natur mag, das Land, den Wald, die Ruhe. Und der seine Sachen packt, als es mit seinem Vater zu einer Prügelei kommt. Das Buch sei in der DDR ein „Kultbuch“ gewesen, schreibt der Verlag, was immer das auch sein mag. Es geht einem manchmal auf die Nerven mit seinem Willen zur Originalität („in schreiender Stille dämmert der Neujahrsmorgen“) und seinen Spruchweisheiten. Aber es wirft einen Blick auf einen Mann, dessen Band zu einem der größten deutschen Kulturexporte geworden ist, der sich aber weitgehend verbirgt und bei dem das Rätselhafte zur Geschäftsidee gehört. Der Vater allerdings hat vom Erfolg des Sohnes nichts mehr mitbekommen. Er ist 1993 gestorben, ein Jahr bevor Rammstein gegründet wurde. Lesen Sie auch: Rammstein kündigen für 2020 weitere Konzerte an Erfolgreichstes Album 2019 kommt von Rammstein Till Lindemann: Songideen unter der Dusche Von Peter Intelmann

Buch über den Rockstar - Rammstein-Sänger Till Lindemann: Wie ihn sein Vater sah