Niederdeutsche Bühne Lübeck: Doktor Faust op Nedderdütsch in Lübeck

An niederdeutschen Theatern werden dem Publikum in der Regel Lustspiele und Komödien geboten. Lachen ist Trumpf. In ihrer Jubiläumsspielzeit wagt sich die Niederdeutsche Bühne Lübeck an etwas ganz Großes. Regisseur Karsten Bartels setzt sich mit dem Faust-Stoff auseinander. „Dat Speel vun Dokter Faust“ heißt das „nedderdütsche Speel“ nach Johann Wolfgang von Goethe. Wenn, wie angekündigt, von einer Fassung aus Goethes Studentenjahren die Rede ist, denkt man automatisch an den „Ur-Faust“, der Jahrzehnte früher entstand als „der Tragödie erster oder zweiter Teil“. Ein strikter „Ur-Faust“ ist es nicht, was Friedrich Hans Schaefer ins Niederdeutsche übertrug und was Regisseur Karsten Bartels auf die Bühne der Kammerspiele brachte. Wohldurchdachte Inszenierung: Vielmehr erlebt das Publikum eine bemerkenswerte eigene Fassung. Das ist legitim. Auch anderswo werden Stücke aus „Faust I“ in den älteren Text eingepasst. Auf jeden Fall erlebt das Lübecker Publikum eine wohldurchdachte Inszenierung mit beachtlichen schauspielerischen Leistungen. Kleine Einschränkung: Den „Prolog im Himmel“ als Sprechchor aufzusagen, scheint keine gute Idee. Erstens haben selbst Vollprofis damit ihre Mühe und zweitens wird das Publikum sofort mit einem Plattdeutsch konfrontiert, das nicht unbedingt die lübsche Variante ist. Dabei schreibt Friedrich Hans Schaefer ein sehr gepflegtes, gutes norddeutsches Platt. Das Spiel als Jahrmarktsunterhaltung: Passend zum Konzept, das Spiel als Jahrmarktsunterhaltung zu entwickeln, haben Moritz Schmidt und Eva Knüppel die Bühne hergerichtet. Im Guckkasten ist eine Theaterbühne aufgeschlagen, dem berühmten Thespiskarren ähnlich. Den roten Vorhang, der die kurzen Szenen trennt, bewegen die Darsteller selbst. Hier versammeln sich am Beginn die geflügelten Wesen vor dem Thron des Herrn, Mephisto eingeschlossen. Hier begegnen sich Doktor Faust und Mephisto, macht der angehende Student seinen Antrittsbesuch. Erst nach der Pause lernen Greten und Faust sich kennen, und dann geht es Schlag auf Schlag: Versuchung, Verführung, kurzes Glück, lang anhaltende Verzweiflung bis zum Mord an Valentin und dem Elend im Kerker. Mephisto: ein elegant-agiler Bösewicht: Die Darsteller leisten Erstaunliches. Immerhin ist es nicht ihre Alltagssprache, und sie sind es nicht gewohnt, in Knittelversen zu reden. Hans-Gerd Willemsen in der Titelrolle ist äußerst überzeugend, Schon sein niederdeutscher Osterspaziergang ist hörenswert. Den Mephisto gestaltet Hendrik Müller als eleganten und sehr agilen Bösewicht. Johanna Martini als Greten (Gretchen) ist rührend in ihrer Naivität, groß in der Verzweiflung im Gefängniskäfig. Anneli von Piotrowski darf als Marthe durchaus draufgängerisch sein. Dieter Koglin gibt den „trockenen Schleicher“ Wagner, wissbegierig noch im Nachthemd. Immer wieder Szenenapplaus: Dem Schüler und tapferen Valentin verleiht Henrik von Piotrowski jugendlich frische Züge. Lena Baer spielt ein schadenfrohes Lieschen. Hinzu kommt das Ensemble als Volk, Saufkumpanen oder Engel. Sehr unterschiedliche Musik verdichtet die Stimmungen, von Orgeltönen zu Jahrmarktsgedudel, Tanzmusik, Klassik bis zum vollen Glockengeläut am Ostermorgen. Das Publikum spendete immer wieder Szenenapplaus und zeigte sich am Schluss begeistert, selbst wenn nicht jeder jeden Satz verstanden hatte. Weitere Vorstellungen in den Kammerspielen: 8. Januar, 4. und 6. Februar 2020. Lesen Sie auch: Die Niederdeutsche Bühne Lübeck feiert ihren 100. Geburtstag. 100 Jahre Platt auf Lübecker Bühnen Kultur in Lübeck: Alle Adressen auf einen Blick Von Konrad Dittrich

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