Nordische Filmtage blicken auf die Zeit vor dem Mauerfall

Mitten durch den Schaalsee verlief knapp drei Jahrzehnte lang die Grenze zwischen BRD und DDR. Wenn nach einem Sturm eine Boje der Grenzlinie verschoben war, trafen sich Männer der Grenz- und Messtruppen von Ost und West und versuchen akribisch, die Ordnung wiederherzustellen. Über diese absurd anmutende Aktion hat Joana Vogdt den Kurzfilm „Fließende Grenze“ gemacht. Lübecker Marzipan ist tabu für den DDR-Bürger: Er spielt in den 1980er Jahren. Man sieht, wie Landvermesser aus Ost und West ihre Arbeit am Ufer des Sees verrichten. Der Ostler stolpert ins Wasser, seine Uhr wird nass. Der Westler fühlt sich schuldig und bietet ihm Geld an, das der DDR-Bürger ablehnt. Auch das Lübecker Marzipan darf er aus Staatsräson nicht annehmen. Aber dann finden beide doch einen Weg, zumindest die persönlichen Grenzen für einen kleinen Moment zu überwinden. Filmemacherin Joana Vogdt wohnte am Schaalesee: 17 Minuten lang erlebt der Zuschauer diese fast surreale Begegnung, die ohne viele Worte auskommt. In den 1980 Jahren war Joana Vogdt noch ein Kind, wuchs in Westdeutschland auf und zog mit den Eltern 1997 nach Zarrentin an den Schaalsee. „Dort habe ich viele Geschichten von damals gehört und dann auch bewusst gesammelt.“ Aus unterschiedlichen Geschichten habe sie das Drehbuch geschrieben. Insgesamt habe das Projekt bis zur Realisierung zehn Jahre gedauert, die Finanzierung und das Besorgen von Original-Booten und deren Transport seien schwieriger gewesen als gedacht. Die Mühe hat sich gelohnt – der Kurzfilm war bereits auf zehn Festivals zu sehen und ist bis Sonntag bei den Nordischen Filmtagen abrufbar. Kunsthalle der DDR als Pendant zur Kieler Kunsthalle: Auch der Film „Hohe Kunst aufs platte Land“ im Filmforum wirft ein Schlaglicht auf deutsche Geschichte vor dem Mauerfall, konkret: den Bau der Rostocker Kunsthalle, des einzigen Museumsneubaus in der DDR. Kunst als Klassenkampf: Sie war als sozialistisches Gegengewicht zur Kieler Kunsthalle geplant und wurde 1969 als Ausstellungspavillon für die Biennale der Ostseeländer, Norwegens und Islands eröffnet, die zur Rostocker Ostseewoche ausgerichtet wurde. Gründungsdirektor Horst Zimmermann erinnert sich an die Anfangsjahre zwischen Parteivorgaben und eigenen Konzeptionen. Denn er begann, eine Sammlung von DDR-Kunst sowie skandinavischen Künstlern anzulegen. Nordische Filmtage 2020: So schauen Sie einen Film online Das sind die Spielfilm-Favoriten der LN-Redakteure Alle aktuellen Berichte zu den Nordischen Filmtagen Lübeck lesen Sie hier Zwischen DDR-Prestigeobjekt und Ort zeitgenössischer Kunst: 110 Minuten lang erzählt Jörg Hermann die spannende Geschichte des Hauses zwischen DDR-Prestigeprojekt und systemkritischen Aktionen über die Wendezeit, die fast das Aus bedeutet hätte, bis zum neuen Aufblühen der Halle 2009 mit der Übernahme durch einen privaten Trägerverein unter Leitung des Rostocker Zahnarztes Dr. Jörg-Uwe Neumann. Mit Ausstellungen von Arno Rink, Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Norbert Bisky fand die Kunsthalle überregionale Beachtung. Der Film macht Lust auf einen Besuch in Rostock – doch die Kunsthalle wird zwei Jahre lang grundsaniert. Aber dann. „Der Sprung“ vom Osten in den Westen: Es ist nur ein kleiner Sprung für Simas Kudirka, aber ein großer für den Radartechniker eines sowjetischen Schiffes, der nicht nur an Bord der amerikanischen Küstenwache landete, sondern auch mitten in den Medien und der Weltpolitik. Aus dem Arbeitslager in der Sowjetunion in die USA: Es hat etwas vom braven Soldaten Schwejk, wenn Kudirka in der Doku Film „Der Sprung“ seine Geschichte erzählt. Im November 1970 war das, als wegen des Streits um Fischereirechte ein US-Schiff und eines aus der Sowjetunion so dicht nebeneinander lagen, dass er Anlauf nahm, vom Osten in den Westen sprang und dort um Asyl bat. Sie holten ihn zurück und verurteilten ihn zu Arbeitslager, aber sein Fall fand in die Öffentlichkeit. Es gab Demonstrationen in den USA, Präsident Nixon äußerte sich, Gerald Ford sprach mit Leonid Breschnew. Schließlich wurde Simas Kudirka freigelassen, ging in die USA und wurde dort als Held gefeiert. Später jedoch kehrte er mit seiner Frau zurück nach Litauen. „Es ist alles schön, aber nicht für uns“, sagte er auf dem in allen Farben blinkenden Times Square in New York. Großartig. Die Filme: „Fließende Grenze“ von Joana Vogdt, 2020, 17 Minuten im Kurzfilmprogramm „Ich und die anderen“ des Filmforums „Hohe Kunst aufs platte Land – die Kunsthalle Rostock“ von Jörg Herrmann, 2020, 110 Minuten im Filmforum „Der Sprung “ von Giedre Zickyte, 85 Minuten, 2020 Im Dokumentarfilm-Programm Von P. Haase und P. Intelmann