Paula Irmschler: "Superbusen"

Chemnitz, wie es brüllt. Das ist der Eindruck von Fernsehzuschauern, die auf dem Bildschirm sahen, wie sich pöbelnde Horden durch die breiten Straßen wälzten und am Denkmal von Karl Marx mit Antifa und anderen Nazigegnern in der Gegendemonstration aufeinanderprallten und sich prügelten. Das spielt in dem Popbuch von Paula Irmschler, Redakteurin des Magazins „Titanic“, eine Rolle. Aber es beschreibt nicht das wahre Leben von jungen Leuten in der Stadt. Paula Irmschler: „Superbusen“, Claassen, Berlin, 316 Seiten, 20 Euro Gisela, geboren 1989 in Dresden, hat die Nase voll von der Bürgerlichkeit der sächsischen Hauptstadt, die rückwärtsgewandt ist. Ihre Familie und die Nachbarn huldigen der fürstlichen Epoche mit ihrem Barock und dem starken August, der angeblich Hufeisen verdrehen konnte und mit vielen Mätressen mehr als 300 Kinder gezeugt haben soll. Gisela hat kein Geld, weil die Familie keines hat, und die Perspektiven sind eher mau. Über all dem Gram hat sie sich eine stattliche Körperfülle angelegt, von der sie einfach nicht wegkommt und für die ihr viel Gespött sicher ist. Sie will raus aus ihrer Depression und kommt auf die Idee: Chemnitz. Ihre Mutter schlägt die Hände zusammen, ihre beste Freundin lacht sie aus, und das ganze Umfeld kann es nicht fassen. „Als Dresdnerin nach Chemnitz zu wollen ist quasi Hochverrat, weil alle Dresden lieben müssen“, heißt es. „Genau deswegen hasste ich es.“ Dort, wohin angeblich niemand ziehen will, zieht sie zum Studium der Politikwissenschaft und findet schnell Freunde. Sie trinken gern, kiffen, haben durcheinander Sex und die Gemeinsamkeit ist der Kampf gegen die Nazis. Deshalb tragen sie schwarze Kleidung. Schlecht angebunden: Diese Mischung kommt humorvoll rüber. „Chemnitz ist die am zweitschlechtesten angebundene Stadt Deutschlands, danach kommt nur Trier, stand mal auf so einer Liste im Internet. Dass nach Chemnitz kein IC oder ICE fährt, ist wichtig für die Identität der Stadt, die viel mit einem ironischen (Linke) bis ernst gemeinten (Rechte und auch Linke) Underdoggehabe zu tun hat.“ Gisela und die Freunde gründen die titelgebende Band „Superbusen“, die als eine Art Aufbruchselement das ehemalige „Korl-Morx-Stodt“ aufrollen soll. Zugleich ist es der Versuch, dem drögen Studentenalltag etwas Reiz abzugewinnen. Und Gisela lebt auf, reduziert ihren Fast Food-Verbrauch und freut sich über ihre Entscheidung. „Das verheißungsvolle Wort ‚Chemnitz‘ – ich würde jede Wette annehmen, dass niemals jemand zuvor so über diese Stadt gedacht hat“, sinniert Gisela. „Es war so verheißungsvoll, weil es das erste Mal Alleinsein bedeutete, das erste Mal war, dass ich selbst etwas entschieden hatte und mir nun mein Umfeld ganz neu zusammensuchen konnte.“ „Da gomm gleich nochn paar von Ihn“: Beschrieben wird der Tag nach dem 26. August 2018, als bei einer Auseinandersetzung während eines Stadtfestes ein Mann durch Messerstiche zweier mutmaßlicher Flüchtlinge zu Tode kam, was rechtsextreme Gruppen zum Aufmarsch brachte. Die Antifa ging zum Gegenprotest über, die Polizei hielt sich seltsam bedeckt, warnte nur die jungen Leute. „Mir wollten Sie nur vorwarn, da gomm gleich nochn paar von Ihn.“ Die Jungen fragen nach: „Wer sind wir denn?“ Der Polizist antwortet: „Na, Sie wissen schon. Linge hald.“ „Superbusen“ ist ein Bildungsroman vor einem dunklen Hintergrund. Flott geschrieben, Farbe in die Trostlosigkeit bringend, mit guter Musik und Humor konternd. Es ist die Aufarbeitung eines Vorgangs, der ganz Deutschland erschreckt hat. Er ist souverän geschrieben, wenngleich im Jugendjargon. Nichts wird verharmlost, auch nicht die grotesken Begegnungen mit den „Typen“. Das Buch ist amüsant zu lesen, jugendliches Denken, Leben und Kämpfen wird realistisch geschildert. Und es wird einiges richtiggestellt. Lesen Sie auch: Lange Haftstrafe für Neonazis Verdächtige im Mordfall Lübcke waren bei Chemnitz-Demo Markus Lanz weist Hans-Georg Maaßen in die Schranken Von Roland Mischke

Literatur - Superbusen in Chemnitz – das Buch zum Osten