Theater kritisieren Daniel Günther: Kultur darf nicht an letzter Stelle bei Öffnungen stehen

Kultureinrichtungen waren die ersten, die im November beim Lockdown-Light schließen mussten, und sollen nach dem kürzlich von der Landesregierung veröffentlichen Stufenplan fast die letzten sein, die ihre Türen wieder für Besucher öffnen dürfen. Dafür haben viele Künstler kein Verständnis – deshalb hat sich der „Landesverband freie darstellende Künste in Schleswig-Holstein“ mit einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Daniel Günther gewandt. „Wir empfinden die Öffnung der Theater und Konzerthäuser an letzter Stelle, hinter Fitnessstudios, Gastronomie und körpernahen Dienstleistungen nicht als gerecht. Das wird dem Stellenwert der Kultur als Motor des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft in keiner Weise gerecht und steht in eklatantem Widerspruch zu den Beteuerungen ihrer besonderen Bedeutung“, heißt es darin. Theater Combinale mit neuer Lüftungsanlage: „Generell finden wir eine inzidenzbasierte Vorgehensweise gut als Schritt für eine langfristige Strategie“, sagt die Lübecker Schauspielerin und Leiterin des Theaters Combinale, Sigrid Dettlof, die auch im Vorstand des Landesverbandes ist. „Diese Perspektive haben wir lange gefordert. Aber es kann nicht sein, dass ohne konkrete Prüfung der Hygienekonzepte generell die Kultur an letzter Stelle kommt.“ Im Theater Combinale etwa wurde mit Mitteln des Bundes für 50 000 Euro eine neue Lüftungsanlage eingebaut. Bei einer stufenweise Öffnung müsse man die Bedingungen der einzelnen Häuser genau betrachten und Hygienemaßnahmen abhängig von den Inzidenzen festlegen. Sie spüre eine gewisse Müdigkeit und Lähmung in der Bevölkerung und findet es daher lebenswichtig, dass Kultur wieder stattfindet. Derzeit schreiben Mitglieder des Theaters Combinale an neuen Stücken und prüfen, was im Freien an kulturellen Aktionen möglich ist. Figurentheater schiebt Premiere des neuen Stücks in den Herbst: Auch der Leiter des Lübecker Figurentheaters, Stephan Schlafke, hat den offenen Brief als Vorstandsmitglied unterschrieben. Die Spielstätte Am Kolk wird zurzeit umgebaut, doch das Figurentheater hatte im Europäischen Hansemuseum eine temporäre Bühne gefunden. Museum und Spielstätte sind nun bis auf Weiteres geschlossen, und die Premiere des neuen Stückes „Cherry-Picking Shakespeare“ ist auf den Herbst verschoben. Immerhin kann man auf der Homepage kleine Stücke als Videos finden. Virtuelle räume ersetzen Präsenz nicht: Das Ausweichen in virtuelle Räume ersetzt jedoch die öffentliche Präsenz nicht. „Wir Kulturschaffenden wollen ein Angebot an unsere diversen Publika, aber auch an die Politik machen, um die Verluste, Ängste, Verletzungen, Spaltungen, die die Pandemie mit sich gebracht hat, zu bearbeiten und neue Gemeinsamkeiten zu entwickeln“, heißt es in dem offenen Brief. „Das können wir aber nur in offenen Kulturhäusern oder an anderen Orten im öffentlichen Raum.“ Lesen Sie auch: Lübecker Kunsthalle St. Annen bereitet Armin Mueller-Stahl-Ausstellung vor Lübeck war Sekretärin, nicht Königin der Hanse, sagt der Historiker Hiram Kümper Poesie in der Pandemie: Hier können Sie 100 Gedichte an 100 Tagen bestellen Zumindest die finanzielle Situation ist am städtischen Theater Lübeck besser, doch auch Theaterdirektor Caspar Sawade findet die Situation „unendlich bitter“. Er betont, dass Kultur von der Politik nicht als Freizeitbeschäftigung bewertet werden dürfe und hebt die Relevanz von kulturellen Angeboten für die Gesellschaft hervor. Auch er spricht sich für eine differenzierte Betrachtung der Häuser aus. Das Theater habe beispielsweise Schnelltests und FFP2 Masken für seine Mitarbeiter geordert, um noch mehr Sicherheit zu bieten. Möge Thalia uns hold sein“: Uli Sandau vom privaten Lübecker Theater Partout versteht die Position. Bei kleinen Theatern mit ihren guten Hygienekonzepten seien keine Infektionsketten bekannt geworden, sagt er. Da sei es „schwer nachvollziehbar“, dass sie im Öffnungsstufenplan erst weit hinten auftauchten. Ende Oktober habe es in ihrem Theater die letzte Vorstellung gegeben, jetzt stellten sie sich auf April als den frühesten Öffnungstermin ein – „eine lange Durststrecke, finanziell und emotional“. Es sei vor allem die Ungewissheit, die zermürbe. Zumal ihr Theater Ende Juni nach 25 Jahren den Spielbetrieb einstellt. Viele Zuschauer schrieben und hofften, noch einmal ins Partout gehen zu können. „Möge Thalia uns hold sein“, sagt Uli Sandau. Von Peter Intelmann und Petra Haase