Unglaublich: Neues Buch erzählt die Geschichte des Lübecker Wunderkindes

Das Kind auf dem Kupferstich sieht aus wie ein Mädchen – es ist der dreijährige Christian Henrich Heineken aus Lübeck im Outfit des gehobenen Bürgertums im frühen 18. Jahrhundert. Während Kleinkinder für gewöhnlich mit Teddy oder Schaukelpferd abgebildet werden, stützt sich der Knabe auf den Rahmen eines großen Globus. Zu seiner Linken sieht man ein aufgeschlagenes Buch mit dem Psalmvers „Aus dem Munde der jungen Kinder u. Saeuglingen hastu eine Macht zugericht“, ein Skelett, ein Bild mit einem Dreimaster und zwei aufgeschlagene Bücher: Historia und Genealogia. Zufällig in einem Antiquitätenladen entdeckt: Es war dieses ungewöhnliche Motiv und die hervorragende Qualität des Kupferstichblatts, die Joachim Konietzny in einem kleinen Antiquitätengeschäft in Lübeck auffielen. Das war vor neun Jahren, heute steht das Blatt auf der Staffelei im Wohnzimmer von Angelika und Joachim Konietzny in Pansdorf. Seit vielen Jahrzehnten sammeln sie Kunst, an den Wänden hängen Gemälde und Zeichnungen, in den Vitrinen und Schränken stehen Skulpturen und Kunstkeramik. Man merkt: Ihr Herz schlägt für die Kunst. Nun hat sie dieser Kupferstich von Johann Balthasar Probst dazu inspiriert, ein Buch über das Lübecker Wunderkind Christian Henrich Heineken und die Geschichte des Bildes zu veröffentlichen. Joachim Konietzny (79) hat 35 Jahre lang im gehobenen Dienst in der Zollverwaltung gearbeitet. Er war nebenbei als Maler, Grafiker, Bildhauer erfolgreich in einer Hamburger Galerie und Ausstellungen vertreten. S Seit vielen Jahrzehnten sammeln Angelika und Joachim Konietzny Kunst und haben Bücher herausgegeben, unter anderem „Cesar Klein. Figurinen zu Orpheus und Eurydike“ und vier Bücher zur Kieler Kunstkeramik. Ihr neues Buch „Das Lübecker Wunderkind Christian Henrich Heineken und der Preußische Hofmaler Johann Harper“ ist in der Lübecker Rathausbuchhandlung und unter kontakt@j-a-konietzny.de erhältlich „Damals im Antiquitätenladen wusste ich noch gar nichts von diesem Jungen“, sagt Konietzny. „Da ich Latein kann, konnte ich die Legende lesen: Geboren am 6. Februar 1721 in Lübeck, die Zeilen waren eine Hymne auf den Jungen.“ Konietznys Interesse war geweckt, für einen moderaten Preis nahm er das 317 mal 206 Millimeter große Blatt mit nach Hause. Vor zwei Jahren begann des Buchprojekt: Mit ihrem Buchprojekt begannen Angelika und Joachim Konietzny Anfang 2018 und trugen in aufwendigen Recherchen nicht nur die unglaubliche und kurze Lebensgeschichte des Jungen, zusammen, sondern auch den familiären Hintergrund sowie die Geschichte seines Malers und des Kupferstichs. Kind berühmter Lübecker Kunstmaler: Christian Henrich Heineken kam am 6. Februar 1721 als viertes Kind des damals berühmten Lübecker Kunstmalers Paul Heineken und seiner Ehefrau Catharina Elisabeth zur Welt, der Tochter des Lübecker Malers Franz Oesterreich. Sein älterer Bruder ist Carl Heinrich von Heineken, der als Kunstexperte und Vertrauter des Grafen Heinrich von Brühl am kurfürstlichen Hof in Dresden eine steile Karriere gemacht hat. Mit 14 Monaten kannte er biblische Geschichten: Bereits mit zehn Monaten soll Christian Henrich gesprochen und Dinge korrekt benannt haben, worauf er intensiven Unterricht erhielt. Mit 14 Monaten hatte er die Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament im Gedächtnis, im Alter von zwei Jahren wurde er in Weltgeschichte unterrichtet. Mit drei Jahren konnte er die Geschichte Dänemarks aufsagen, er sprach Latein und lernte das Lehrbuch des Römischen Rechts, den „Corpus iuris civilis“, auswendig. Christian Henrich wurde der Lübecker Gelehrtengesellschaft vorgeführt und 1724 dem dänischen König Friedrich IV. – zwei Stunden lang brillierte der Junge in dänischer Geschichte, Geografie und Religion vor der Majestät. Kupferstich als Geschenk für den dänischen König: Als Geschenk brachte er dem König den besagten Kupferstich und ein Miniaturporträt vom preußischen Hofmaler Johann Harper mit. Dieser hatte einige Zeit in Lübeck bei der Künstlerfamilie Heineken gelebt und gelernt und blieb ein Freund der Familie. Und nach diesem Porträt schuf Johann Balthasar Probst den Kupferstich. Geschenke für den König sind verschwunden: Wo die Geschenke an den König abgeblieben sind, konnten Konietznys nicht herausfinden – sie haben beim dänischen Königshaus und mehreren Museen angefragt. Von dem Kupferstich gibt es noch einige weitere Exemplare. Außerdem verweisen die Autoren darauf, dass noch ein weiterer, leicht abweichender Kupferstich entstanden ist. Wunderkind starb mit vier Jahren: Bei ihren Ausführungen über das Leben des Wunderknaben haben sich Konietznys vor allem auf die Aufzeichnungen von Christian von Schöneich gestützt, dem Privatlehrer von Christian Henrich. Er hat 1726 seine Erinnerungen veröffentlicht und beschreibt darin auch die Entkräftung und zunehmende Schwäche des Kindes, nachdem die Amme ihn abgestillt hatte. Am 27. Juni 1725 ist Christian Henrich gestorben. Unerkannte Glutenunverträglichkeit: „Man geht heute davon aus, dass der Junge an einer damals nicht bekannten Glutenunverträglichkeit gelitten hat“, sagt Joachim Konietzny. An Spekulationen will er sich aber nicht beteiligen. Akribisch sind in dem Buch alle Zitate, Quellen, Personen benannt, ergänzt um Fotos, Illustrationen und einen Stammbaum. Damit beleuchten die Autoren ein spannendes Kapitel Lübecker Geschichte – und ein tragisches Kinderschicksal. Von Petra Haase