Verein kümmert sich um Strafverfolgung von Hass-Nachrichten: „Die Zeit des Duldens ist vorbei“

Das Portal „Hassmelden“ sieht sich als zentrale Meldestelle für Hass-Nachrichten im Netz, die Beobachtern und Opfern digitaler Gewalt eine einfache, sichere und anonyme Möglichkeit gibt, Anzeige gegen die Verfasser zu erstatten. Gründer Leonhardt Träumer (25) möchte damit vor allem dafür sorgen, die Präsenz des Rechtsstaats im digitalen Raum zu stärken. Ein Gespräch. Herr Träumer, was war der schlimmste Post, den Sie bei Hassmelden je gemeldet bekommen haben? Es fällt mir schwer, einen besonderen Post hervorzuheben. Das Grundrauschen an menschenverachtenden Beiträgen, die wir gemeldet bekommen, ist dafür zu hoch. Wie viele Meldungen haben Sie in diesem Jahr schon bekommen? Seit es uns gibt, seit Ende März 2018, sind es gut 100 000 Meldungen – davon gut 60 000 in diesem Jahr. Wie viele davon bringen Sie tatsächlich zur Anzeige? Ungefähr 25 Prozent, also jede vierte Meldung. Tendenz steigend. Sie arbeiten ehrenamtlich, wie viele Helfer haben Sie? Wir sind zu zehnt ungefähr, verteilt im ganzen Land. Gab es eine Art Schlüsselmoment, in dem Sie entschieden haben, sich aktiv gegen Hassrede im Netz zu engagieren? Geboren wurde die Idee für Hassmelden aus meiner Arbeit bei „Reconquista Internet“, einer Bewegung, die 2018 initiiert von Jan Böhmermann wurde, um die organisierte Hetze eines rechtsextremen Netzwerks aufzudecken. In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass es bessere und schnellere Lösungen gegen Hassrede im Netz geben muss. Dafür wollte ich mich einsetzen. Wie viel Zeit nimmt das Projekt neben Ihrer eigentlichen Arbeit in Anspruch? Sehr viel mehr als ein, zwei Stunden täglich, was anfangs angedacht war. Wir sind ja alle ehrenamtlich im Einsatz und tagsüber in anderen Jobs oder Beschäftigungen eingebunden. Im Moment sind die Meldungen, die bei uns eingehen, im Schnitt ein bis zwei Tage nach ihrem Eingang bearbeitet. „Hassmelden“ wurde 2019 von der gemeinnützigen Bürgerrechtsbewegung Reconquista Internet ins Leben gerufen und kooperiert mit dem Justizministerium Hessen und der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, die die gemeldeten Inhalte prüfen und – sofern relevant – verfolgen und auch für eine Anzeige an die Ermittlungsbehörden weiterleiten. Nutzer können beleidigende, diffamierende oder diskriminierende Posts einfach per Link bei „Hassmelden“ einreichen, und das sogar anonym. Die Inhalte der gemeldeten Links werden dann überprüft – und im Fall des Falles – juristisch verfolgt. Nur wenn Nutzer auch ihre Kontaktdaten zur Verfügung stellen, werden sie über den weiteren Verfahrensverlauf informiert. Die Organisation arbeitet ehrenamtlich, setzt sich einerseits gegen digitalen Hass an und versteht sich gleichzeitig als aufklärende Instanz. Man kann sie mit Spenden unterstützen. Bis bis Oktober 2020 hat das Forum mehr als 90 000 Meldungen erhalten und stellt damit die erfolgreichste Meldestelle im deutschsprachigen Raum für Hassrede im Internet dar. Zu finden ist die Plattform über ihre Internetadresse www.hassmelden.de sowie auch als kostenlose App für IOS und jetzt auch Android. Was sind die aktuell die Themen, bei denen am meisten im Netz gepestet wird? Hauptsächlich sind es die klassischen Themen rund um Geflüchtete, die AfD und aktuell auch die Corona-Krise. Die bedenklichen Kommentare kommen von allen Seiten, wobei die rechten Verfasser eine größere Präsenz haben. Aber auch tagesaktuelle Themen rund um Donald Trump zum Beispiel treiben Hass-Posts nach oben. Beeindruckend ist dabei, wie schnell diffamierende Inhalte inzwischen bei uns gemeldet werden. Der schreckliche Anschlag in Hanau zum Beispiel, bei dem zehn Menschen von einem Rassisten ermordet wurden, hat sich abends zugetragen. Bereits in der Nacht wurden erste Posts gemeldet, die wir auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft und angezeigt haben. In diesen Fällen kann die Generalstaatsanwaltschaft dann auch zügig die Verfasser ermitteln. Wie geht man im Falle einer Meldung genau vor auf Ihrer Seite? Wir stellen stellvertretend für die Melder und Melderinnen Strafanzeige, wenn die Relevanz einer Meldung das hergibt. Dauert es nicht zu lange, bis es von einem Post tatsächlich zu einer Anzeige kommt, für die die Verfassen dann belangt werden? Ich halte das nicht für problematisch, dass es auch mal länger dauern kann. Die Leute, die dann mal vorgeladen werden von der Polizei oder sich nach einer Anklage vor Gericht verantworten müssen, die gucken auch mal ziemlich dumm aus der Wäsche, wenn sie merken, dass das, was sie vor Monaten im Netz angestellt haben, sie nun eingeholt hat. Hat die Corona-Krise Hass-Postings verschlimmert? Das lässt sich schwer sagen. Ich kann nur sagen, dass seitdem viel mehr Fake News kursieren, was für uns zwar nicht juristisch relevant aber gesellschaftlich natürlich trotzdem höchst signifikant ist. Warum darf Attila Hildmann so hetzen? Ist Telegram ein Problem? Wir bekommen natürlich auch viele Meldungen über Postings von Telegram und auch aus der Gruppe von Herrn Hildmann – und auch das leiten wir bei strafrechtlicher Relevanz entsprechend weiter. Allerdings weiß man ja von Telegram, dass auf Seiten des Betreibers so gar keine Kooperationsbereitschaft vorhanden ist, Nutzer zu identifizieren oder Hass-Nachrichten zu löschen. Entwickelt 2013 von zwei russischen Brüdern unterscheidet sich dieser Messenger-Dienst von zum Beispiel WhattsApp darin, dass man hier bis zu 200 000 Mitglieder in einer Gruppe unterhalten kann (bei WhattsApp liegt die Obergrenze bei 256 Mitgliedern). Zudem kann man seine Telefonnummer ausblenden und auch die Kommentarfunktion ausschalten. Das heißt: Der Gründer einer Gruppe kann seine Mitglieder Nachrichten schicken, ohne dass daraus eine Unterhaltung entsteht, weil die anderen nicht antworten können. So entsteht der Charakter eines Informationskanals, auf dem die Inhaber unzensiert ihre Nachrichten verfassen können. Nutzer können außerdem ihre Telefonnummer ausblenden und stattdessen einen beliebigen Namen anzeigen lassen. Das ist praktisch, wenn User in Gruppen anonym bleiben wollen. Der Messenger hat weltweit mittlerweile 200 Millionen Nutzer und wirbt damit, dass die Nachrichten verschlüsselt, sicher und anonym sind. Doch verschlüsselt heißt auch, dass es keine Kontrolle gibt. Daher war der Kanal schon vor einigen Jahren ein beliebter Chat-Dienst für IS-Anhänger –und jetzt auch für Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker. Viele Menschen, die in Ländern mit Zensur leben, wie dem Iran zum Beispiel, nutzen Telegram jedoch auch, um mit der Aussenwelt zu kommunizieren – ohne Angst vor einer Rückverfolgung haben zu müssen. Aus welchen Netzwerken gibt es die meisten Meldungen? Die meisten Meldungen, die wir bekommen, betreffen Twitter, Facebook und Telegram. Was glauben Sie ist der Grund, dass im Netz so schlimme Dinge gesagt werden? Was motiviert die Verfasser? Ich denke, ausschlaggebend sind zwei Gründe: Zum einen ist die Hemmschwelle im Netz herabgesetzt, Menschen machen und sagen Dinge, die sie sich nicht in der Realität aber im Internet trauen. Und zum anderen aus dem Mangel an Unrechtbewusstsein – weil man meint, im Netz Dinge tun zu dürfen, die man sonst nicht tun darf. Generell – aber das ist nur ein Gefühl – kann ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die glauben, nicht genügend an öffentlichen Diskursen teilnehmen zu dürfen und gesellschaftlich abgehängt zu sein und dann im Netz den Moment ihrer Wahrnehmung sehen. Bekommen Sie Feedback von Opfern, denen Sie helfen konnten? Ja, wir bekommen sehr viel positive Rückmeldung. Das Schönste, was wir mal bekommen haben, war ein Feedback von einem Nutzer, der uns schrieb, dass wir ein Leuchtturm für Anstand und Solidarität seien. Wir würden Mut geben und Leben retten. Das hat mein Team und mich sehr berührt. Warum hat man das Gefühl, der Staat greift nicht gut genug durch im Netz? Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der Staat nicht genug durchgreift. Aber es fehlt vielleicht das Gefühl, dass der Staat virtuell Streife fährt im Internet. In den Fällen aber, in denen wir Dinge an den Staat und die Strafverfolgungsbehörden herantragen, wird das mit großer Ernsthaftigkeit und großem Ehrgeiz verfolgt. Haben Sie es mit Bots und Trollen schwerer, Verfasser von Hass-Nachrichten zu identifizieren? Bots lassen sich in der Regel erkennen und aussortieren. Trolle sind schwerer greifbar, weil dahinter echte Menschen stecken, die zahlreiche Profile haben. Was, denken Sie, kann gegen Hassrede helfen? Wichtig ist, dass die Internetnutzer verstehen, dass die Zeit des Duldens vorbei ist, in der man – nachdem man Rassismus, Hass oder Hetze im Netz gesehen hat – einfach den Laptop zuklappen kann. Wichtig ist, dass couragierte Bürger weiterhin aufmerksam bleiben irgendwas zu machen. Und dieses Irgendwas ist so facettenreich, dass es von Meldungen an den Betreiber über direktes Kommentieren und Ansprechen der Verfasser bis hin zu Anzeigen bei der Polizei oder Meldungen bei Plattformen wie uns geht. Hauptsache, die besonnenen und vernünftigen Menschen behalten das Bewusstsein, dass man dagegen etwas machen muss und so etwas sehendes Auges nicht einfach geschehen lässt. Das ist eine Haltung, die wir uns nicht mehr erlauben können. Von Schabnam Tafazoli