Von Bob Dylan bis Shakira: Warum verkaufen jetzt so viele Rockstars ihre Songrechte?

Bob Dylan hat es getan, kurz danach Neil Young, jetzt auch Shakira und Mick Fleetwood. Viele andere, die eher zur zweiten Pop-Promi-Reihe gehören, werfen Bedenken ebenfalls über Bord. Gier- und Verratsvorwürfe: Immer mehr Musiker trennen sich von ihren Songrechten – weil Tonträgerverkäufe und in Corona-Zeiten nun auch Konzerteinnahmen wegbrechen, während Erlöse aus dem Audiostreaming- und TV-Serien-Boom für die Branche umso wertvoller werden. „Viele Musiker haben wohl gar keine Ahnung, wie reich sie eigentlich sind“, sagt Hartwig Masuch vom Major-Label BMG laut „Financial Times“. Gleichwohl: Längst streichen selbst gut betuchte Pop- und Rockstars das leicht verdiente Geld ein, trotz möglicher Gier- und Verratsvorwürfe der Fans. Der Name des Hipgnosis Songs Fund geht zurück auf die Designfirma Hipgnosis aus dem Dunstkreis der frühen Pink Floyd. Storm Thorgerson und Aubrey Powell schufen für die Band legendäre Plattencover, allen voran das Prisma von „Dark Side Of The Moon“ und die Kuh von „Atom Heart Mother“. Zahllose andere Bands profitierten von ihren überragenden Einfällen: von Genesis bis Led Zeppelin, von Elton John bis The Who, darunter auch deutsche Gruppen wie Novalis, Birth Control und Ashra. Selbst der Geiger Helmut Zacharias ließ sich ein Cover von Hipgnosis gestalten. 1985 musste die Firma Insolvenz anmelden, die langjährige Freundschaft zwischen den Gründern endete in heftigen Auseinandersetzungen ums Geld. Beim US-Songpoeten und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan (79) etwa war im Dezember von rund 300 Millionen Dollar (knapp 250 Millionen Euro) die Rede, die er vom weltweit führenden Label Universal für sein Gesamtwerk mit 600 Aufnahmen erhalte (darunter Klassiker wie „Blowin’ In The Wind“ und „Knockin’ On Heaven’s Door“). Der Folk-Pionier hatte zuvor die Musikverlagsrechte selbst kontrolliert, soll aber schon seit längerem über einen Verkauf verhandelt haben. Den Nachlass ordnen: Dass die Rechte-Abgabe an einen seriösen Käufer im fortgeschrittenen Musiker-Alter eine Erleichterung ist, geben Dylan und seine Altersgenossen nicht offen zu. Es darf aber angenommen werden. Und: Auch Rock-Veteranen wollen den eigenen Nachlass gut geordnet wissen und ihre Musik für künftige Hörergenerationen an den Start bringen. So verkaufte Mick Fleetwood (73), Schlagzeuger und Gründer von Fleetwood Mac, seine Anteile am Katalog der 70er-Jahre-Megaband gerade an BMG – „drei Monate nachdem der Fleetwood-Mac-Klassiker „Dreams“ TikTok und damit Millionen neuer Fans weltweit eroberte“, wie das Unternehmen erklärte. Eine Kaufsumme wurde auch hier nicht genannt. Der kanadische Rocker Neil Young (75) veräußerte 50 Prozent der Rechte für 1180 Songs an die britische Firma Hipgnosis Songs Fund. Die britische BBC sprach von 150 Millionen Dollar als Kaufpreis. Hipgnosis-Chef Merck Mercuriadis versprach aber, dass es „nie einen „Burger Of Gold“ geben“ werde, und spielte damit auf Youngs Welthit „Heart Of Gold“ an. Man arbeite zusammen, „um sicherzustellen, dass jeder sie (die Songs) zu Neils Bedingungen zu hören bekommt“. Es gehe um „gemeinsame Integrität, Ethik und Leidenschaft, geboren aus dem Glauben an die Musik“, schrieb der Fonds-Manager nicht ohne Pathos. Mercuriadis (57) kennt sich aus im Rock- und Popgeschäft. Er ist seit ungefähr vier Jahrzehnten in ihm tätig. Der in Quebec aufgewachsene Kanadier griechischer Abstammung besitzt eine gewaltige Plattensammlung mit angeblich 100 000 Alben, hat unter anderem in London für Richard Bransons Virgin Records gearbeitet und war Manager von erfolgreichen Bands und Künstlern wie Elton John, Guns N’ Roses, Beyoncé, Iron Maiden und Morrissey. Im Beirat des Hipgnosis Songs Fonds sitzt mit Nile Rogers von Chic einer der großen Musiker und Produzenten unserer Zeit. „Besser als Öl“: Mercuriadis hat das Unternehmen Mitte 2018 an die Börse gebracht und seinerzeit gesagt, sie wollten 20 Prozent des weltweiten Marktes. Musikrechte seien so gut oder gar besser als Öl, zitierte ihn der britische „Guardian“. Zu den besten Momenten im Leben eines Menschen gehöre Musik. Und während sich Gold nur wenige leisten könnten, sei ein Abo bei Streamingdiensten wie Spotify oder Apple für wenige Euro im Monat zu haben. Er selbst könne nicht Gitarre spielen, nicht singen oder Songs schreiben, aber er nehme sein Geschäft ernst und könne Menschen von dem überzeugen, woran er selbst glaube. Also ist er auf Einkaufstour gegangen und hat jede Menge Musikrechte erworben, vor allem die von älteren Songs. Zu den Verkäufern zählen der frühere Fleetwood-Mac-Gitarrist Lindsey Buckingham und Debbie Harry und Chris Stein von Blondie, Ritchie Blackmores Rainbow, 10cc, Journey, RZA, Nikki Sixx, Barry Manilow, Timbaland und Chrissie Hynde von den Pretenders. Der Fonds habe nach seiner rasanten Einkaufstour 2020 einen Milliardenwert erreicht, schrieb im Dezember die Webseite „Music Business Worldwide“. Mehr als 57 000 Songs soll Hipgnosis inzwischen im Portfolio haben. Seinen jüngsten Coup zelebrierte Mercuriadis mit einem Twitter-Gruß: „Willkommen in der Hipgnosis-Familie, Shakira.“ Die kolumbianische Künstlerin, von der seine Firma laut Mitteilung vom Donnerstag dieser Woche den gesamten bisherigen Katalog mit 145 Songs und Welthits wie „Hips Don’t Lie“ erwarb, sei „eine der ernsthaftesten und erfolgreichsten Songwriterinnen der letzten 25 Jahre“. Paul McCartney will Beatles-Songrechte zurückholen Michael Jackson ist „toter Topverdiener“ „Blowin‘ in the Wind“ bis „Knockin‘ On Heaven’s Door“: Bob Dylan verkauft Songrechte Die Investitionen dürften sich lohnen: Zeitlose Pop-Hits sind in der Spotify/Apple/Deezer-Ära mit massiv wachsendem Audiostreaming so etwas wie ein Stabilitätsanker. Hinzu kommen Werbung sowie TV- und Streamingserien, die auf authentische Musikuntermalung setzen und deren Macher Geld für Songrechte hinblättern. Und der turbulente Musikmarkt in der Corona-Krise tut sein Übriges. Bowie, Beatles, Jackson: In den Neunzigerjahren hatte David Bowie sich in ähnliche Bereiche vorgewagt. Man konnte in Bowie-Fonds investieren und teilhaben an den Einnahmen aus den Songrechten des 2016 verstorbenen Popvisionärs. Da hatte Michael Jackson 1985 schon für 47,5 Millionen Dollar Rechte an 250 Beatles-Songs gekauft, die dann in einen gemeinsamen Verlag mit dem japanischen Konzern Sony wanderten. Nach Jacksons Tod 2009 kaufte Sony dessen Hälfte des Verlages von den Erben – für 750 Millionen Dollar. Es gibt aber auch Künstler, die mit dem Geschäftsmodell hadern. So wurde der Songkatalog von Taylor Swift, einem der zurzeit größten Popstars der Welt, laut Medienberichten für mehr als 300 Millionen Dollar veräußert. „Dies war das zweite Mal, dass meine Musik ohne mein Wissen verkauft wurde“, klagte die US-Sängerin kürzlich in einem Protest-Statement. Nun nehme sie ihre älteren Lieder eben neu auf – das sei „aufregend und kreativ erfüllend“. Von Werner Herpell und Peter Intelmann