Warum ist das Lübecker Literaturtreffen wichtig, Norbert Niemann?

Norbert Niemann (58) hat in Chieming am Chiemsee gelebt, wohnt jetzt aber vor allem in München. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, Bücher herausgegeben, arbeitet für Rundfunk und Zeitungen und hat diverse Stipendien und Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Bachmannpreis. Sie sind regelmäßig Gast des Literaturtreffens in Lübeck. Warum? Ich war häufig da, das erste Mal 2008, das vorletzte Treffen habe ich selbst organisiert. Ich komme, weil ich den Austausch mit anderen Autoren sehr schätze, dass man sich vorliest und darüber spricht. Das mache ich hier auch im privaten Kreis mit Münchner Autoren. Es geht darum zu schauen, wie sich Literatur zur gesellschaftlichen Gegenwart verhält. Das war mir immer wichtig und etwas, wo ich mich mit Günter Grass sehr gut verstanden habe. Aber Schreiben passiert doch einsam am Schreibtisch, ohne dass einem jemand reinredet. Unbenommen. Trotzdem braucht es eine distanzierte Sicht. Man hat zwar seinen Lektor im Verlag, aber der ist Teil des Verlagssystems, das immer ökonomischer ausgerichtet ist und die Literatur als Kunstform nicht so in Augenschein nehmen kann wie Kolleginnen und Kollegen. Deren Feedback bewegt im Kopf das eigene Schreiben weiter. Hinterher sitzt man dann allerdings wieder allein am Schreibtisch. Das 15. Lübecker Literaturtreffen findet am kommenden Wochenende statt. Teilnehmer sind Eva Menasse, Feridun Zaimoglu, Katja Lange-Müller, Norbert Niemann, Tilman Spengler, Dana von Suffrin, Dagmar Leupold, Jonas Lüscher und Monika Rinck. Zum Abschluss lesen sie am 1. Februar ab 19.30 Uhr in den Kammerspielen des Theaters Lübeck. Karten (15/10 Euro) gibt es an der Theaterkasse oder unter Telefon 0451 – 39 96 00. Sie ändern also Texte nach einer Kritik? Ja, auch wenn das natürlich keine direkten Anweisungen sind. Wir sprechen bei den Treffen ja vor allem über grundlegende Dinge. Also darüber, auf welches Echo der Geist stößt, der sich da formal ausdrückt. Vom Autor als einsamem Genie, das schreibt und nichts mehr zu ändern braucht, halten Sie wenig? Mit dem Geniebegriff hat ja schon die Gruppe 47 aufgeräumt, sehr zu Recht übrigens. Man ist als Schriftsteller natürlich Teil eines großen Ganzen und setzt sich und seine Sprache dazu in Beziehung. Aber es macht einen Unterschied, ob es beim Reden über Literatur um Verkaufszahlen und ökonomischen Erfolg geht oder um literarische, künstlerische Qualität. Allein darüber ließe sich ja schon reden: Was ist literarische Qualität? Zumal sie momentan ziemlich untergeht. Da ist das Lübecker Autorentreffen natürlich ein Gegengewicht. Nehmen Sie sich auch Kritik von Lesern zu Herzen? Ich bin ein durchlässiges System und höre mir die Sachen an. Wenn es mir einleuchtet, beschäftige ich mich damit, selbstverständlich. Sie geben auch selbst Schreibseminare. Kann man Schreiben lernen? Es gibt kein Rezept, keine Regeln – einerseits. Andererseits ist Schreiben auch ein Handwerk, das man lernen kann. Also: Wie schreibe ich Dialoge? Wie funktioniert Satzbau? Aber das Entscheidende beim Lehren von Literatur ist, die großen Fragen aufzuwerfen: Wie lässt sich die Lebenswirklichkeit von Figuren in literarische Form übersetzen? Welches Verhältnis hat meine Figur zu dem Raum, in dem sie sich bewegt? Spiegelt der Raum das Ich oder etwas völlig anderes? Was ist die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt? Darüber kann man anhand konkreter Texte sprechen. Dann gehen die Teilnehmer heim und sitzen natürlich wieder einsam am Schreibtisch. Und dann gibt es Leute wie Günter Grass, der nie eine Schreibschule besucht hat und trotzdem mit seinem Debütroman einen Welterfolg feierte. Richtig. Wobei der Welterfolg auch an der Zeit lag. Wenn er die „Blechtrommel“ heute schreiben würde, wüsste ich nicht, wie weit er käme unter den aktuellen Bedingungen. Ich selbst war auch nie in einer Schreibschule, aber ich habe mich immer mit Autoren ausgetauscht. Und Günter Grass hat in Paris mit Paul Celan sicher auch nicht nur über die neuesten Kochrezepte geredet. Das sind die Schulen, in die Schriftsteller gehen: indem sie sich mit geschätzten Kollegen austauschen. Und indem sie natürlich Bücher lesen. War Günter Grass ein guter Kritiker bei den Lübecker Treffen? Haben Sie viel gelernt? Allerdings. Ich habe damals aus meinem Roman „Die Einzigen“ gelesen. Beim ersten Ausschnitt waren alle begeistert, beim zweiten gab es Kritik. Beim dritten Treffen habe ich dann aus dem überarbeiteten Text noch mal vorgelesen, um zu sehen, wie das rüberkommt. Da war Günter Grass noch quicklebendig. Wie geht es bei den Treffen überhaupt zu? Bei der Gruppe 47 durfte sich der Autor ja nicht verteidigen. Wir sind kein Gericht, sondern ein kollegialer runder Tisch. Es sind ja auch keine Literaturkritiker dabei wie bei der Gruppe 47, das war Günter Grass wichtig. Zumal die Kritik heute ja fast jede Relevanz verloren hat und aufgegangen ist im Markt. Aber es wird schon offen und schonungslos gesprochen? Schonungslos, aber konstruktiv. Es geht nicht darum, jemanden zu vernichten. Sondern darum zu befragen, was die anderen machen, und es ins Verhältnis zu setzen zu seiner eigenen Arbeit. Das ist natürlich meistens kontrovers. Es ist also noch niemand schreiend aus dem Raum gelaufen? Nein, warum auch? Es war Günter Grass wichtig, dass Schriftsteller auch eine Solidargemeinschaft sind. Das hat das Lübecker Autorentreffen immer mit getragen. Das könnte Sie auch interessieren: Ein Interview mit Dana von Suffrin Verleihung des Günter-Grass-Preises an Jens Sparschuh Von Peter Intelmann

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