Wie Corona unsere Werte verändert

Seuchen sind die großen Gleichmacher. Die Pest im Mittelalter traf Jung und Alt, Arm und Reich, Bettler ebenso wie Könige. Die Syphilis befiel seit Beginn des 16. Jahrhunderts Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, die große Grippe vor 100 Jahren tötete allein in Europa mindestens 40 Millionen Menschen. Und jetzt das Corona-Virus: Es ist heimtückisch wie die Pest und gefährlich wie die damals so genannte Spanische Grippe. Es betrifft die ganze Welt – und diese unsere Welt wird nach Ende der Pandemie nie mehr so sein wie vor dem Lauf des Virus rund um den Globus. Begriffe wie Solidarität und Gemeinsinn werden mit neuen Inhalten erfüllt, der fast vergessene Wert Verantwortung gewinnt schlagartig wieder an Bedeutung. Ein Virus verändert die Welt – er verändert jeden von uns. Wir sitzen alle im selben Boot: Denn es sind nicht nur die wirtschaftlichen Folgen, die von Tag zu Tag sichtbarer werden und im schlimmsten Falle eine Rezession hervorrufen werden, wie man sie noch nicht erlebt hat. Das Virus verändert die Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens, und das in einer Gesellschaft, der eben diese Grundlagen mehr und mehr abhanden gekommen sind. Die Spaltung der Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher wahrzunehmen gewesen, immer mehr Hass, Neid und Missgunst haben das Leben gekennzeichnet. Gewalt ist ein alltägliches Phänomen geworden, Angriffe auf Rettungskräfte finden tagtäglich statt, rassistische Mordtaten sind keine Seltenheit mehr. Das Corona-Virus kann – und man sollte es hoffen – hier für einen neuen Anfang sorgen, eine neue Grundlage schaffen, auf welcher der soziale Zusammenhalt wieder neu geregelt werden kann. Wir sitzen alle im selben Boot, inmitten einer weltweiten Pandemie, die vor niemanden Halt macht und gegen die noch kein Kraut gewachsen ist. Solidarität ist das Gebot der Stunde: „Solidarität“ ist eines der in diesen Tagen am häufigsten genannten Worte, wenn es um Ansätze zur Bewältigung der Corona-Krise geht. Jeder Bürger muss für jeden anderen Bürgen einstehen, freiwillig und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Soweit die Theorie in einem Land, in dem Solidarität schon lange zum Fremdwort geworden ist. Wenn ein Immobilienbesitzer, der seine Räumlichkeiten als Restaurant vermietet hat, auf der vollen Pacht besteht, obwohl das Restaurant auf staatliche Anordnung geschlossen worden ist, dann ist dieses Verhalten unsolidarisch und unmoralisch und sollte nicht geduldet werden. Wenn freischaffende Künstler keine Engagements mehr bekommen und deshalb in finanzielle Probleme geraten, dann müssten die Käufer von Eintrittskarten darauf verzichten, die Tickets gegen Erstattung zurückzugeben, das Geld sollte den Künstlern zukommen. Dasselbe gilt für die Theater und die Galerien, die durch die Pandemie ins Aus geraten werden. Wer am Überleben von Kunst und Kultur interessiert ist, muss sich jetzt engagieren, auch finanziell. Jüngere sollten älteren zur Seite stehen: Und wenn alte Menschen sich nicht mehr vor die Tür trauen, um einzukaufen, dann müssen ihnen Jüngere zur Seite stehen. All dies wäre möglich und es wäre notwendig in diesen Wochen der Seuche. Solidarität kann ganz praktisch gelebt werden, in kleinem und in größerem Maßstab. Wenn die USA ersuchen, deutsche Forscher, die dabei sind, einen Corona-Impfstoff zu entwickeln, mit gewaltigen finanziellen Angeboten nach Amerika zu locken, dann ist das nicht nur unmoralisch und unsolidarisch – es ist perfide. Corona macht den Pflegenotstand deutlich: Was sich derzeit in italienischen Krankenhäusern abspielt, ist nicht nur eine Katastrophe, sondern eine moralische Bankrotterklärung. Patienten über 70 werden nicht mehr behandelt, es fehlt an Beatmungsgeräten und Intensivbetten. Aus Kostengründen hat man diese Abteilungen ausgedünnt – jetzt rächt sich das auf Ökonomie und Effizienz fixierte Denken im Gesundheitswesen. Man denke nicht, dass es hierzulande anders aussieht: Die Technik ist zwar vorhanden, es mangelt jedoch an Pflegekräften. Angesprochen worden ist dieser Pflegenotstand schon oft, getan hat sich so gut wie nichts. Corona macht die Labilität der Situation deutlich. Alle im Belagerungszustand: Denn das Virus ist nicht nur der große Gleichmacher, es ist gleichzeitig der große Offenbarer. Es offenbart Schwachstellen in der Gesellschaft, in sozialen Systemen, in der Politik und bei jedem einzelnen Menschen. Verantwortung ist jetzt gefragt: Ganz oben und ganz unten. Wie befinden uns alle gemeinsam im Belagerungszustand. Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in und um Lübeck: Diese Texte sollten Sie gelesen haben Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Alle aktuellen Informationen aus Deutschland und der Welt im Live-Blog Wegen Corona: Urlauber müssen Fehmarn verlassen Wegen Coronavirus: Deutschland schließt seine Grenze zu Dänemark Volle Küste trotz Corona: Sonnenschein und Ablenkung vom Virus In der Krise zusammenhalten: So helfen sich Nachbarn in Lübeck gerade gegenseitig Lübeck: Nur 125 Kinder in der Notbetreuung der Schulen Wegen Coronavirus: Land verbietet alle Veranstaltungen Dänemark schließt im Kampf gegen Corona-Ausbreitung seine Grenzen Lübeck: Verschärfte Coronavirus-Regeln treten in Kraft Kitaschließung wegen Coronavirus: Wohin mit den Kindern? 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