Wie geht es nach der Coronakrise weiter?

Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff hat mit einem seiner Buchtitel einer trügerischen Sehnsucht Ausdruck gegeben, die zurzeit die meisten Menschen befallen hat – die nach einer unbeschwerten Normalität des Lebens. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ hieß der 2013 erschienene autobiografische Roman, der auch davon handelt, wie das Sterben (von Angehörigen) überwunden werden könnte. Es muss nicht immer gleich der Tod sein, der bezwungen wird. Es genügt eine ungewisse Zukunft. Und von der haben wir im Moment reichlich, was eine große Zahl von Propheten auf den Plan ruft, die einen Satz variieren: Die Welt nach der Krise wird eine ganz andere sein. Original vom Bundespräsidenten: Das Original dieser Aussage wird der höchsten politischen Instanz des Landes zugeschrieben, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Am 16. März hatte er sich an sein Volk gewandt, doch konnte er nicht präzisieren, wie dieses „Anders“ aussehen wird. Er spielte den Ball vielmehr der Allgemeinheit zu: „In welcher Welt, in welcher Gesellschaft wir leben werden, hängt von uns ab“, was heißen sollte: von euch, den Menschen draußen im Lande, eurer Leidens- und Einschränkungsfähigkeit. Es sind nicht nur Politiker, die epochale Veränderungen in Aussicht stellen. Auch aus der Wirtschaft kommen solche Prophezeiungen. Larry Fink, Chef von Blackrock, der weltweit größten Investitionsfirma, hat soeben in einen Brief an seine Aktionäre den Steinmeier-Satz eingebaut: „Wenn wir diese Krise überstanden haben, wird die Welt eine andere sein.“ Das Geschäftsleben und der Konsum würden sich radikal verändern. Er hat einen Trost für seine Kundschaft: „Die Wirtschaft wird sich erholen. Und jenen Anlegern, die den Blick nicht nur auf den wackeligen Boden unter unseren Füßen richten, sondern auf den Horizont, bieten sich an den Märkten jetzt enorme Chancen.“ Chancen auf Profit natürlich. „Die Menschheit wird überleben“: Auch aus der Wissenschaftsecke kommt die große Änderungswarnung: „Die Entscheidungen, die Menschen und Regierungen in den nächsten Wochen treffen, werden wahrscheinlich die Welt für die kommenden Jahre prägen“, orakelt der Israeli Yuval Noah Harari, der derzeit weltweit meistgelesene und meistverehrte Historiker („21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“). „Ja, der Sturm wird vorübergehen, die Menschheit wird überleben, die meisten von uns werden am Leben bleiben – aber wir werden eine andere Welt bevölkern.“ Auch er kann dieses „Anders“ in seinem Beitrag für die „Financial Times“ nur andeuten: Er glaube, dass die Menschheit im Moment der Krise die Wahl habe zwischen dem Weg in die totalitäre Überwachung und dem Weg zur Stärkung der Bürgerrechte. Und zweitens die Wahl zwischen nationalistischer Isolation und globaler Solidarität. Harari wäre nicht Harari, wenn er nicht eine dringende Empfehlung hätte: „Wenn wir uns für globale Solidarität entscheiden, wird dies nicht nur ein Sieg über das Coronavirus sein, sondern auch über alle zukünftigen Epidemien und Krisen, die die Menschheit im 21. Jahrhundert befallen könnten.“ Jetzt wird alles anders! Das wäre ein Triumph der Zivilisation – gestärkt aus dem Schlamassel hervorgehen. Doch man hat diese Art der Vorausschau, Warnung und Verheißung in der jüngeren Vergangenheit schon oft gehört. Nach einschneidenden Ereignissen, nach einer Katastrophe oder einem Attentat, heißt der Standardsatz: Jetzt wird alles anders. Doch wenig wurde anders, das gesellschaftliche Leben strebte nach jedem Einschnitt einem Zustand zu, der dem Alltag vor dem jeweiligen Ereignis glich. In der Coronavirus-Krise müssen die Geschäfte in der Region Lübeck sowie den angrenzenden Kreisen vorübergehend schließen. Viele Betriebe stellen daher kurzfristig auf Online-Bestellungen um oder bieten Lieferdienste an, andere wiederum machen spezielle Gutscheinangebote. Die LN unterstützen Händler in Not und bieten unter ln-online.de/supportyourlocal eine Liste mit Angeboten und Ideen der lokalen Geschäfte, Restaurants, Cafés und Einzelhändler. +++ Für Unternehmer: Hier können Sie Ihren Betrieb direkt eintragen. +++ Für Kunden: Hier können Sie auf einen Blick sehen, welche Firmen dabei sind. Das war nach der letzten Weltwirtschaftskrise so, die im Sommer 2007 die Industrienationen in Aufruhr versetzte und ihren Höhepunkt mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers hatte. Als in Deutschland die kleinste Einheit für die Rettung von Banken 80 Euro-Milliarden war. Im Herbst 2008 versprachen die Chefs der bedeutendsten 20 Industrie- und Schwellenländer: Nie mehr soll eine Bank oder ein anderer Akteur auf den Finanzmärkten unkontrolliert operieren können. Die ganze Finanzwelt soll in kleineren Einheiten aufgeteilt werden, alles sollte sich ändern. Und was geschah? Die Vertreter der Finanzwirtschaft haben sich längst wieder zu den Herren der Welt aufgeschwungen. „Die Banken sind in den letzten Jahren eher noch größer geworden“, sagt Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Daher wird in einer neuen Krise vermutlich doch wieder der Staat einspringen müssen.“ Was wurde anders nach 9/11? Viele werden sich noch an die Orakel nach dem 11. September 2001 erinnern. „Nichts wird mehr so sein, wie es war“, lautete auch damals die von vielen Kapazitäten bemühte Expertise. Das Datum markiere „einen Paradigmen- oder Epochenwechsel“, schrieb zum Beispiel Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die westliche Welt war nach den Anschlägen auf die Twin Towers von Manhattan und das Pentagon in Washington in den „Globalen Krieg gegen den Terror“ geraten. Denn nicht weniger als der Glaube an die Unverwundbarkeit der USA und aller Nato-Mitglieder war durch eine Handvoll Studenten, angeführt von einer Hamburger Terrorzelle, erschüttert worden. Was wurde erreicht? Der verlustreiche Waffengang der USA im Irak zog das Aufblühen und Verwelken des barbarischen Islamischen Staates und eine enorme Flüchtlingswelle nach sich. Der transnationale islamistische Terrorismus, der im September 2001 als die alles dominierende Bedrohung erschien, ist heute allerdings lediglich ein Risiko unter vielen, mit denen westliche Gesellschaften umgehen müssen. Unsere Lebensweise wurde nicht tangiert. Wir gucken weiter „Tatort“: Die größte Krise der Gegenwart ist vermutlich nicht diejenige, die durch Corona ausgelöst wurde, sondern der Klimawandel, der Millionen Opfer fordern wird, wenn eintritt, was Wissenschaftler befürchten. Und was tun wir angesichts dieses offensichtlich drohenden Unheils seit Jahren? Wir geben uns krisenfest und schalten Sonntagabends das Fernsehgerät an, um den „Tatort“ anzugucken, wir kaufen ein neues Auto mit Verbrennungsmotor und fliegen in den Urlaub, wir sehnen die nächste Gehaltserhöhung herbei. „Business as usual“ nannte Winston Churchill 1914 diese Haltung, als die Briten zu Beginn des Ersten Weltkrieges ihren Geschäften nachgingen, als wäre nichts geschehen. Hat Pep Guardiola recht? Was die Bedrohung durch das Virus betrifft, so legen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur im Moment ihr Schicksal in die Hände der Politik, die diesmal unterstützt und auch getrieben wird von der medizinischen Forschung. Auch diejenigen, die sonst immer gerne über zu viel Staat und Bürokratie schimpfen, fordern, dass die Regierung alles regelt. Für alle anderen Akteure wäre die Aufgabe zu groß. Immerhin gehört die Pandemie des Jahres 2020 zu jenen Ereignissen, die später einmal historisch genannt werden, das darf als gesichert gelten. Man wird eine Bilanz ziehen, in der die wirtschaftlichen Schäden beziffert, die weltweiten Todesopfer aufgelistet und die nahestehenden betrauert werden. Ansonsten soll sich bitteschön nichts Grundlegendes ändern, totaler Wandel verunsichert nur. Schön wäre, wenn der Fußballtrainer und Teilzeitphilosoph Pep Guardiola mit seiner Prognose recht hätte: „Wir werden nach der Krise stärker, besser, netter und auch ein bisschen fetter zurückkommen.“ Dann wird es endlich wieder so sein, wie es eigentlich nie war. Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in und um Lübeck: Diese Texte sollten Sie gelesen haben Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Alle aktuellen Informationen aus Deutschland und der Welt im Live-Blog #supportyourlocal: Machen Sie Ihr Angebot bei uns bekannt #supportyourlocal: So helfen Sie Geschäften, Restaurants und Freiberuflern in Lübeck Weitere Lockerungen: Schleswig-Holstein öffnet Tierparks und Einkaufscenter Diese Großveranstaltungen fallen im Norden aus So fährt Schleswig-Holstein ab 4. Mai die Schulen wieder hoch Die Regeln für Schleswig-Holsteins Abi-Prüfungen Hier bekommen Betriebe im Norden Hilfe LN-Umfrage zur Corona-Krise: Mehrheit für längeres Kontaktverbot Corona löst Digital-Boom an Schleswig-Holsteins Schulen aus Infektiologe: „Wir haben keine Sicherheit, auf der wir uns ausruhen können“ Auch Mittelständler können jetzt Zuschuss beantragen Coronavirus: So kooperieren die Lübecker Forscher Lübecks Bürgermeister beantwortet die Fragen der Bürger Corona: 17 Ärzte und Pfleger in Lübeck infiziert Von 150 bis 4000 Euro: Alle Bußgelder für Schleswig-Holstein im Überblick Was passiert, wenn ich als Infizierter in die Klinik muss? UKSH verdoppelt Zahl der Intensivbetten Striktes Besuchsverbot in allen Kliniken und Pflegeheimen Quarantäne – was bedeutet das für mich? Von Michael Berger

Die Zeit nach Corona - Nach Corona: Sehnsucht nach Normalität