Raul Jaurena: Tango war sein Leben

Jaurena war ein Vertreter des von Astor Piazzolla begründeten „Tango Nuevo“, der modernen Spielart des Tangos. Mit Piazzolla, ebenfalls ein Könner auf dem Bandoneon, spielte Jaurena oftmals gemeinsam, er galt als legitimer Nachfolger Piazzollas. Allerdings ging Jaurenas musikalisches Spektrum über den Tango hinaus. Er spielte auch Klezmer, Gipsy-Music und Weltmusik – sein Repertoire war weit gefächert. Kammermusik mit Bernd Ruf: Mit dem in Lübeck lehrendem Professor für Popularmusik Bernd Ruf verband Raul Jaurena eine langjährige musikalische Partnerschaft und auch eine enge persönliche Freundschaft. In ihrem gemeinsamen „Jaurena Ruf Project“ spielten die beiden Kammermusik, die zwar immer auf dem Tango basierte, aber stets breiten Raum für Improvisationen ließ. Unvergessen sind die Konzerte Raul Jaurenas gemeinsam mit Bernd Ruf und dessen Söhnen Ilja und Ivo in der überfüllten Jakobikirche und in St. Aegidien, zu letzten Mal in Lübeck war Raul Jaurena im Oktober 2019 im Kolosseum zu hören. Ein Meister der Knopf-Harmonika: Zum Bandoneon war Raul Jaurena bereits als kleiner Junge gekommen. Sein Vater war einer der renommiertesten Tango-Musiker in Montevideo, neben Buenos Aires die zweite Hauptstadt des Tangos. Von seinem Vater lernte der kleine Raoul das überaus schwierige Spiel auf dem Bandoneon, einer komplizierten Form der Knopf-Harmonika. Mit acht Jahren spielte Raul Jaurena erstmals in einem Tango-Ensemble, von seinem 15. Lebensjahr an war er Profi-Musiker. Sein Weg führte ihn als Mitglied und Arrangeur verschiedener Tango-Ensembles in den 1960er und 70er Jahren nach Chile, Ecuador, Brasilien, Argentinien und Venezuela. 1988 ging Raul Jaurena nach New York, hier veränderte sich sein Stil vom klassischen – und wie er selbst sagte „spießigen“ – Tango hin zu einer improvisatorischen Form dieser Musik, die in den Hafenvierteln von Buenos Aires und Montevideo entstand und ursprünglich die tieftraurige Lebenseinstellung und Lebensrealität der Unterdrückten und Unterprivilegierten ausdrückte. Raul Jaurena siedelte sich in New Jersey gleich gegenüber von Manhattan an, hier lebte er bis zu seinem Tode. In New York war er musikalischer Leiter des Thalia Theatre in Queens, dort brachte er eine Reihe von Tango-Musicals erfolgreich auf die Bühne. „La vida es Tango“ hieß eines davon, das Leben ist Tango – das war das Motto von Raul Jaurena. Die vielen Farben des Tangos mit Raul Jaurena Der Geist des Tango weht an der Trave „Es gibt für mich kein Leben ohne Tango“ Die vielen Farben des Tangos: Mit Bernd Ruf und dessen damaligen Ensemble Tango Five arbeitete Jaurena seit 1998 zusammen, daraus entwickelte sich eine enge persönliche Freundschaft mit Bernd Ruf. Wer Raul Jaurena persönlich kennenlernte, traf auf einen ebenso bescheidenen wie sympathischen und warmherzigen Menschen. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Sängerin Marga Mitchell, konzertierte er in aller Welt und gemeinsam mit Größen wie Giora Feidman oder Yo-Yo Ma. Raul Jaurena war ein Bandoneon-Spieler der allerhöchsten Kategorie, ein Meister in jeder Hinsicht. Wenngleich sein Repertoire die verschiedensten Genres umfasste, standen der Tango und dessen Vorformen wie die Melonga stets im Mittelpunkt seines musikalischen Schaffens. „Mein Leben dreht sich um den Tango“, sagte er einmal. Und Tango wurde bei Jaurena niemals langweilig, im Gegenteil. Sogar oft – vielleicht zu oft – gehörten Kompositionen wie Piazzollas „Libertango“ wusste Jaurena neue Seiten abzugewinnen, das Stück klang Jaurena völlig anders, als man es zu kennen meinte. „Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“: Dieser Virtuose aus Montevideo konnte sein Instrument singen und sprechen, lachen und weinen lassen, sein Spiel war ergreifend emotional und berührend. Wer sich auf diese Musik und ihren gefühlsmäßigen Gehalt einließ, verließ ein Konzert mit Raul Jaurena als ein verwandelter Mensch. „Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, hat man über diese Musik gesagt. Tango Nuevo ist nicht im herkömmlichen Sinne tanzbar, es ist konzertante Musik. Die in ihrer Emotionalität allerdings nicht hinter dem zurücksteht, was seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an sinfonischer Musik geschrieben worden ist. Wie ernst man Tango als künstlerische Musik nehmen muss, wurde bei den Auftritten Jaurenas deutlich. Er lebte den Tango, er lebte Musik überhaupt. Die Welt der Musik hat einen großen Künstler verloren – und einen großartigen Menschen. Von Jürgen Feldhoff