Ansteckung am Arbeitsplatz: Immer mehr Coronafälle in Unternehmen in SH

Keine Homeoffice-Pflicht, keine verpflichtenden Tests für Unternehmen, aber immer mehr Coronainfektionen am Arbeitsplatz: Laut Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts, stecken sich vermehrt Menschen an ihrem Arbeitsplatz an – auch in Schleswig-Holstein. Häufiger Infektionsherd: Pausen ohne Corona-Regeln: Im Kreis Segeberg beispielsweise gibt es laut Sprecherin Sabrina Müller eine problematische Entwicklung im Bereich der Firmen und Unternehmen. „Wir stellen immer wieder Ausbruchsgeschehen an Arbeitsplätzen fest“, sagt Müller. Oftmals steckten sich die Menschen untereinander an, weil die AHA-L-Regeln (AHA-L steht für Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften) nicht konsequent umgesetzt werden. „Ein häufiger Infektionsherd sind auch gemeinsam verbrachte Pausen ohne Mundschutz und Abstand.“ Dass immer mehr Infektionen am Arbeitsplatz geschehen, „kann auch für den Kreis Stormarn bestätigt werden“, wie Dr. Edith Ulferts, Fachbereichsleiterin Soziales in der Kreisverwaltung, sagt. „Aktuell sind sieben Betriebe unterschiedlichster Branchen betroffen.Umkleideräume, Pausensituationen und Fahrgemeinschaften sind Orte vermehrter Infektion“, sagt Ulferts. Der Großteil der Ansteckungen ereigne sich aber im privaten Umfeld. Corona-Infektionen in Ostholstein besonders in Handwerksbetrieben und auf Baustellen: Im Kreis Herzogtum Lauenburg sind nach Angaben von Kreissprecher Tobias Frohnert seit Januar acht Unternehmen mit insgesamt 51 Fällen betroffen. „Eine Rolle als Treiber der Pandemie ist hier aber derzeit nicht zu erkennen“, sagt Frohnert. „Die Pandemie im Kreisgebiet ist von einem eher diffusen Geschehen geprägt. Die weit überwiegende Zahl von Infektionen findet im familiären Umfeld statt.“ Im Kreis Ostholstein findet ebenfalls ein Großteil der Corona-Infektionen im privaten Umfeld statt, aber eben auch am Arbeitsplatz. Konkrete Zahlen kann Kreissprecherin Annika Sommerfeldt nicht liefern, aber: „Es ist festzustellen, dass die Infektionen die arbeitende Bevölkerung und deren unmittelbares Umfeld betreffen. Diese Feststellungen gelten für das gesamte Kreisgebiet und für diverse Berufe und Berufsgruppen“, sagt Sommerfeldt. „Zum Teil werden die in den Unternehmen vorhandenen Hygienekonzepte nicht konsequent umgesetzt. Eine starke Vernachlässigung der Hygienekonzepte sowie Hygieneregelungen – insbesondere die Maskenpflicht – ist in Handwerksbetrieben und auf Baustellen zu verzeichnen.“ In der Hansestadt Lübeck gibt es laut Stadtsprecher Hansjörg Wittern nur vereinzelt Coronainfektionen in Unternehmen und keine größeren Ausbruchgeschehen. Genau Zahlen nennt er nicht. „Hierzu lassen sich jedoch keine statistischen Angaben liefern, da als möglicher Infektionsort eher selten der Arbeitsplatz angegeben wird“, sagt Wittern, und: „Aktuell liegen keine Erkenntnisse vor, dass Firmen keine ausreichenden Hygienekonzepte haben.“ Virologe: „Unternehmen müssen auf AHA-L-Regeln achten“: Der Lübecker Virologe am UKSH, Jan Rupp, sieht ebenfalls eine deutliche Zunahme von Infektionen im häuslichen Umfeld und Beruf. „Es gibt eine ganze Menge arbeitsplatzassoziierter Ausbrüche“, sagt auch Helmut Fickenscher, Virologe am UKSH in Kiel. „Aber die Zahlen haben sich meiner Ansicht im Verlaufe der Pandemie nicht relevant verändert.“ Fickenscher hält es „ganz normal“, dass sich Infektionen dort ereignen, wo viele Menschen beisammen sind. „Unternehmen müssen konsequent auf die Einhaltung der AHA-L-Regeln achten“, sagt Fickenscher. Lesen Sie auch Corona-Testpflicht für Unternehmen: SPD-Chef Walter-Borjans will Betriebe in die Pflicht nehmen SH: Wie sich die Corona-Krise auf die Arbeit auswirkt Verschärfte Homeoffice-Regeln: So reagieren Lübecker Unternehmen Gewerkschaft DGB fordert mehr Arbeitsschutz-Kontrollen: Doch genau daran hapert es, wie Ingo Schlüter, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Nord, berichtet: „Die Sorge, sich am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin mit dem Corona-Virus anzustecken, ist bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hoch. Leider setzen nicht alle Arbeitgeber die gebotenen Schutzmaßnahmen konsequent um.“ Schlüter nimmt auch die Bundesregierung in die Pflicht, sich um die Bereitstellung von Tests zu kümmern und findet es gut, dass viele Arbeitgeber diese Tests bereits anbieten. „Arbeitsschutz ist geltendes Recht. Das muss eingehalten werden. Wir wissen und kritisieren schon lange, dass es seit Jahren viel zu wenige Kontrollen beim Arbeitsschutz gibt. Das muss dringend geändert werden“, sagt Schlüter. IHK Lübeck: Jedes fünfte Unternehmen in SH testet regelmäßig: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums finden solche Kontrollen durchaus statt. „Betriebe, bei denen in der Vergangenheit vermehrt Ausbrüche zu verzeichnen waren, wie beispielsweise Schlachtbetriebe, werden regelmäßig durch die Staatliche Arbeitsschutzbehörde bei der Unfallkasse Nord überwacht“, sagt eine Ministeriumssprecherin. „Dort, wo Anpassungen im Hinblick auf Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen gegen Sars-CoV-2 erforderlich waren, wurden diese angemahnt und kurzfristig umgesetzt.“ Einen Grund zur Verschärfung der Corona-Regeln in Unternehmen sieht auch die Industrie- und Handelskammer zu Lübeck nicht. „Über vermehrte Infektionen in den Unternehmen ist uns nichts bekannt“, sagt IHK-Sprecher Can Özren. „Nach unserer Auffassung haben die Unternehmen sich überwiegend vorbildlich verhalten und rasch in Hygienekonzepte investiert.“ Laut Özren testet jedes fünfte Unternehmen in Schleswig-Holstein seine Mitarbeiter regelmäßig. Weitere 27 Prozent planten solche Tests. 22 Prozent der Unternehmen, die nicht testen können oder wollen, haben laut Özren ihre Mitarbeitenden im Homeoffice. „Wir sehen keine Notwendigkeit für pauschale Verschärfungen.“ Von Hannes Lintschnig