Astrazeneca für alle ab 60? SH hält an Impfreihenfolge fest

Durch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), das Vakzin von Astrazeneca wegen Fällen von Thrombosen in Hirnvenen für Jüngere nicht mehr einzusetzen, werden in vielen Ländern Impfdosen frei. Alleine in Nordrhein-Westfalen gibt es so 450 000 weitere Dosen für die Gruppe „60 plus“. Auch in Berlin wird der Impfstoff seit einigen Tagen an Menschen im Alter von 60 bis 70 Jahren verabreicht. Impfen ohne Termin Wismar: In drei Impfzentren in Mecklenburg-Vorpommern konnten sich am Karsonnabend und Ostermontag über 60-Jährige sogar ohne Anmeldung mit dem Astrazeneca-Impfstoff impfen lassen. Rund 1000 Menschen ließen sich in Wismar pieksen, in Waren und Neubrandenburg jeweils mehrere Hundert. An allen Standorten bildeten sich lange Schlangen. Weitere Impftermine ohne Anmeldung sind in Greifswald und Pasewalk (10. April) und Wismar (17. April) bereits geplant. Schleswig-Holstein bleibt bei Impfreihenfolge: Ein Szenario, dass es in Schleswig-Holstein in absehbarer Zeit nicht geben wird. Das Land plant nach eigenen Angaben, an der bisherigen Priorisierung festzuhalten. „Aktuell können Personen über 60-Jahren geimpft werden, bei denen eine medizinische Indikation vorliegt oder die aus beruflichen Gründen priorisiert sind. Auch bei diesen Personengruppen übersteigt die Zahl der aktuell Berechtigten die verfügbare Impfstoffmenge deutlich“, erklärt Marius Livschütz, Sprecher des Gesundheitsministeriums in Kiel. Diese Personengruppen hätten ein deutlich höheres Schutzbedürfnis als 60-Jährige ohne zusätzliche Impfindikationen. Alle verfügbaren Termine seien zudem ausgebucht, es stehe kein überschüssiger Impfstoff zur Vergabe zur Verfügung. „Erst wenn diese besonders vulnerablen Gruppen geimpft sind oder weiterer Impfstoff bereitgestellt wird, macht es Sinn, die Impfberechtigung auszuweiten“, sagt Livschütz. Ralf Stegner: Über 60-Jährige unkompliziert impfen: Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag, Ralf Stegner, sagt dazu: „Da mit Astrazeneca die zweite Impfung erst drei Monate später erfolgen muss, fände ich es schon sehr sinnvoll, möglichst schnell alle über 60-jährigen damit ohne weitere detaillierte oder verkomplizierende Priorisierungen innerhalb dieser Gruppe erstmalig zu impfen.“ Nach Aussagen aller Experten sei die Gruppe der 60- bis 79 jährigen derzeit am meisten gefährdet, da diese noch kaum geimpft ist. „In Wismar wird man gute Gründe gehabt haben, überschüssige Atrazeneca-Dosen auf diese Weise möglichst schnell zu verimpfen. Ich würde es allerdings bevorzugen, die zusätzlichen Dosen möglichst schnell an die Hausärzte weiterzugeben, da diese ihre Patienten am besten kennen“, betont Stegner. Außerdem erscheinen ihm diese am geeignetsten, das eventuell verloren gegangene Vertrauen zum Impfstoff wiederherstellen zu können. Lesen Sie auch Astrazeneca-Impfungen in Schleswig-Holstein: So geht es jetzt weiter Hausärzte in Schleswig-Holstein und Lübeck impfen jetzt gegen Corona Astrazeneca: „Impfen darf nicht zur Mutprobe werden“ Hausärzte: Auf Gesundheit der Menschen schauen: Auch der Hausärzteverband rät dazu, die Priorisierung beim Impfen mit steigenden Liefermengen an Impfstoff in den Hintergrund treten zu lassen. „Die Priorisierung war und ist eine gute Leitlinie für die Ärztinnen und Ärzte, solange der Impfstoff noch in geringen Mengen verfügbar ist“, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt. „Allerdings werden wir bald nicht mehr so sehr auf Zahlen, sondern zunehmend auf die Gesundheit der Menschen schauen müssen“, fügte Weigeldt hinzu. „Ein Mann von 69 Jahren mit Hypertonus und Diabetes sollte vielleicht eher die Impfung erhalten als eine 72-jährige Triathletin.“ Wenn die Impfstoffmenge ein bestimmtes Maß überschritten habe, müsse die Priorität sein, „den zugelassenen Impfstoff schnellstmöglich allen, die können und wollen, zu impfen.“ Patientenschützer will an Priorisierung festhalten: Es sei „ein Irrglaube, dass die Priorisierung ein zügiges Impfangebot verhindert“, mahnte dagegen der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. „Vielmehr sichert die ethische Reihenfolge den Anspruch auf frühestmöglichen Schutz der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen.“ Nötig seien nun sofort auch Impfangebote für 400 000 Schwerstkranke und Pflegebedürftige, die ihre Wohnung nicht verlassen können. Eine grundsätzliche Abkehr von der Prioritätenliste werde im April nicht möglich sein, da Vakzine weiterhin knapp seien. Mehr Impfdosen in Aussicht: Tatsächlich sollen die Lieferungen jetzt allerdings auf Touren kommen. Allein im April werden mehr als 15 Millionen Dosen in Deutschland erwartet. Und damit mehr, als im gesamten ersten Quartal gespritzt wurden, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erläuterte. Im zweiten Quartal sollen insgesamt 70 Millionen Dosen anrollen. Auch Schleswig-Holstein erwartet Hunderttausende Dosen. Dabei kommt neben den Präparaten von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca ab Mitte April noch ein vierter zugelassener Impfstoff dazu: das Mittel von Johnson & Johnson, bei dem nur eine einzige Spritze reicht. Der Bund als Impfstoffbeschaffer weist aber generell darauf hin, dass Liefertermine immer auch wackeln könnten. Und auch das Gesundheitsministerium in Kiel warnt: „Deutliche Steigerungen der Liefermengen wurden bereits mehrfach angekündigt, sind dann jedoch nie in dem erwarteten Umfang eingetreten. Es muss also immer damit gerechnet werden, dass nicht in dem angekündigten Maße geliefert wird“, sagt Sprecher Livschütz. Impfungen in der 3. Priorität seien erst ab Mitte bis Ende Mai denkbar. SH ist vorne bei Erstimpfungen: In Schleswig-Holstein haben bisher (Stand: 6. April) 428 300 Menschen mindestens eine Erstimpfung erhalten, das sind 14,7 Prozent der Gesamtbevölkerung im Land. Nur in Bremen ist der Anteil noch höher (15,2 Prozent). 124 079 Schleswig-Holsteiner (4,7 Prozent) haben auch die zweite Impfung schon erhalten. Damit rangiert der Norden nur auf dem vorletzten Platz im Bundeslandranking. Von Jan Wulf