Corona: Lehrkräfte sollen sich um Schüler in Not kümmern

Der Brief wurde am 9. April per E-Mail an alle Schulleitungen des Landes verschickt, die ihn an die Lehrkräfte weiterleiten sollten. „Man kann also davon ausgehen, dass inzwischen nahezu alle Lehrkräfte des Landes diesen Brief erhalten haben“, sagt die Verfasserin Heike Kühl-Frese, Leiterin des Präventionszentrums am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH). Der Grund ihres Schreibens: Während die Mehrzahl der Familien die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Schulschließung in der Corona-Krise hinreichend bewältigte, gebe es andere, in denen dies nicht gelinge. Betroffen seien Familien, in denen häusliche Gewalt vorkomme, der die Kinder direkt oder indirekt ausgesetzt sind. Auch Kinder psychisch kranker Eltern litten in der Regel unter der Situation, aus der sie nun durch den fehlenden Schulalltag nicht mehr entweichen können. „All diese Kinder befinden sich aktuell in einer Notsituation, der sie rund um die Uhr ausgeliefert sind“, schreibt Kühl-Frese. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Bitte an die Lehrkräfte: Zeigen Sie Interesse! Lehrkräfte hätten in dieser Situation die Möglichkeit, eine Verbindung herzustellen. „Bitte rufen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler an! Zeigen Sie Interesse an Ihrem Befinden, ermutigen Sie sie, von ihrer häuslichen Situation zu erzählen und machen Sie sich ein Bild vom Zustand der einzelnen Schülerinnen und Schüler! Machen Sie sie im Bedarfsfall auf Hilfsangebote aufmerksam!“, schreibt sie. Von abweisendem Verhalten sollten sie sich nicht irritieren lassen. Viele Kinder und Jugendliche hätten das zur Strategie gemacht, um mit ihren Nöten klarzukommen. Wenn die Schüler keine Hilfe annehmen, hätten sie dennoch die Erfahrung gemacht, dass sich jemand um sie sorgt. Ministerin Prien: Gespräche sind wichtige Unterstützung: „Wir haben die Schulleitungen und Lehrkräfte gebeten, mit den Schülerinnen und Schüler in dieser schwierigen Zeit auf jeden Fall im Kontakt zu bleiben. Denn weil die sozialen Kontakte aus dem schulischen Umfeld fehlen, ist dies wichtig“, erklärt Bildungsministerin Karin Prien (CDU). „Ein Gespräch zwischen der vertrauten Lehrkraft und der Schülerin oder der Schüler kann gerade dann, wenn es eine familiäre oder häusliche Notsituation gibt, eine notwendige und wichtige Unterstützung sein“, sagt die Ministerin. Dunkelziffer dürfte hoch sein: Auf ihren Brief habe sie schon einige Rückmeldungen erhalten, sagt Kühl-Frese, „erfreulicherweise ausschließlich Zustimmung bezüglich der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Briefes“. Kenntnis von aktuellen Fällen von Notsituationen habe sie nicht. „Hier zeigt sich das Problem: Die Schulen, in denen in der Regel wahrgenommen wird, wenn Kinder und Jugendliche Anzeichen psychischer wie körperlicher Gewalteinwirkung und Verwahrlosung oder andere Auffälligkeiten zeigen, sind geschlossen und somit werden keine Notsituationen gemeldet“, sagt Kühl-Frese. „Die Dunkelziffer der Notsituationen dürfte zurzeit hoch sein“, vermutet sie. „Risiko ist erheblich gestiegen“: Volle Zustimmung und Unterstützung kommt vom Kinderschutzbund Schleswig-Holstein. „Ich finde einen solchen Brief richtig gut. Wir machen uns ernsthaft Sorgen um belastete Familien in dieser Situation, darum, dass Kinder Opfer von Gewalt werden“, sagt Irene Johns, die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes. Das Risiko dafür sei erheblich gestiegen, sagt auch sie. „Es kommen mehrere Faktoren zusammen: Die psychosoziale und wirtschaftliche Belastung der Familien wird verstärkt durch die Isolation. Gleichzeitig fällt die soziale Aufmerksamkeit weg. Deshalb ist dieser Brief so wichtig“, sagt Johns. Die „Vertrauenshilfe“ des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein hat Postkarten an Kinder und Jugendliche in rund 500 Einrichtungen der Heimerziehung in den Regionen Flensburg/ Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde und Dithmarschen versendet, wo dieses Modellprojekt läuft. Grund: Kontaktsperre, geschlossene Schulen und fehlende Freizeitaktivitäten in Folge der Corona-Krise träfen auch die Kinder und Jugendlichen in Heimeinrichtungen. „Gerade jetzt ist es vielleicht hilfreich, einen unabhängigen Ansprechpartner zu haben und auch mal Dampf ablassen zu können“, begründet Susanne Günther, Landesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes, die Aktion. „Die ‚Vertrauenshilfe‘ möchte mit der Postkartenaktion für Kinder und Jugendliche signalisieren, dass sie auch in dieser Zeit weiter als verlässlicher Ansprechpartner für Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Einrichtungen zur Verfügung steht“, so Günther weiter. Die Postkarte zeigt einen typischen Chatverlauf eines Jugendlichen mit der „Vertrauenshilfe“ per Whatsapp. Der Kinderschutzbund bietet Einrichtungen an, die Postkarten kostenfrei per E-Mail nachzubestellen (info@kinderschutzbund-sh.de). Wichtiges Hilfesignal: Die Anrufe bei der Chatberatung des Kinder- und Jugendtelefons seien um 26 Prozent gestiegen, beim Elterntelefon um 20 Prozent. „Wir sind alarmiert und hoffen, dass die Lehrkräfte und Erzieher Kontakt zu den Kindern halten, gerade zu denen, von denen sie wissen, dass sie aus schwierigen Familienverhältnissen kommen“, sagt Irene Johns. Der Anruf zeige den Kindern: Es gibt Hilfe, und das sei ein sehr wichtiges Signal in dieser Zeit. „Wir dürfen die Sorgen der Kinder nicht aus dem Blick verlieren.“ Webinare für Lehrkräfte: Lehrkräfte könnten ihren Schülerinnen und Schülern zunächst einmal zuhören und sie zum weiteren Erzählen ermuntern, sagt Kühl-Frese. Wichtig sei, nicht aktionistisch zu agieren und sich der Rolle als Pädagoge bewusst zu sein. „Je nach Eskalationsgrad der Situation sollte die Schulleitung gegebenenfalls das Jugendamt, Kinderschutzzentren und in besonderen Notlagen natürlich auch die Polizei hinzuziehen“, sagt sie. Viele Hilfsangebote für besondere Notlagen seien dem Brief beigefügt. Das IQSH-Zentrum für Prävention biete zudem Webinare für Lehrkräfte an, die Sicherheit in dieser Art der Gesprächsführung vermitteln. Wer Fragen dazu hat, kann sich unter der Mailadresse heike.kuehl-frese@iqsh.landsh.de bei ihr melden. Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in und um Lübeck: Diese Texte sollten Sie gelesen haben Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Alle aktuellen Informationen aus Deutschland und der Welt im Live-Blog #supportyourlocal: Machen Sie Ihr Angebot bei uns bekannt #supportyourlocal: So helfen Sie Geschäften, Restaurants und Freiberuflern in Lübeck Weitere Lockerungen: Schleswig-Holstein öffnet Tierparks und Einkaufscenter Diese Großveranstaltungen fallen im Norden aus So fährt Schleswig-Holstein ab 4. 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