Corona: Schwere Zeiten in der Betreung von Menschen mit Behinderung

„Wir fordern, dass auch Betreuer, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter in der Eingliederungshilfe die Bonuszahlung von bis zu 1500 Euro wie im Pflegebereich erhalten“, sagt Kay Nitz, der dafür eine Petition ins Leben gerufen hat. Nitz ist Mitglied im Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Lübeck und hat selbst einen Sohn, der schwerbehindert ist und in einer heilpädagogischen Einrichtung in Eckernförde lebt. „Seitens der Mitarbeiter hat sich uns gegenüber nie einer über die Mehrarbeit beklagt“, erklärt er. „Wir als Eltern wollen erreichen, dass dieser Einsatz auch mit dem Pflegebonus seine Wertschätzung findet. In Bayern werden diese Mitarbeiter jedenfalls den Bonus erhalten“, sagt Nitz. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Soziale Kontakte sehr wichtig: Gerade Menschen mit Behinderung brauchen soziale Kontakte im Alltag, sie seien abhängiger von Ansprache und Anleitung, sagt Nitz. Ein Abbau der geleisteten Mehr-Stunden in den Einrichtungen zu einem späteren Zeitpunkt scheine ihm nicht möglich, ohne dann die Betreuungsleistung einzuschränken. Durch die Kostenträger seien feste Kostensätze durch das Land vereinbart, die eine Bezahlung von Überstunden nicht zulassen. „Die Leistungserbringer erhalten ja nur die vereinbarten Pauschalen, die aktuellen Umstände finden keine Berücksichtigung“, sagt er. Umgang von Kreis zu Kreis verschieden“: Etwa 9000 Menschen mit Behinderung werden in Schleswig-Holstein in Einrichtungen betreut. „Viele Familien haben ihre Angehörigen mit Behinderung bei Ausbruch der Corona-Pandemie nach Hause geholt und pflegen sie jetzt dort“, sagt Alexandra Arnold, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Schleswig-Holstein, „weil sie zur Risikogruppe gehören, und die Gefahr einer Ansteckung groß wäre, wenn das Virus die Einrichtung erreichen würde“. Das bringe viele Fragen und Schwierigkeiten mit sich. „Zum Beispiel die der Finanzierung der Plätze, wenn die Menschen länger nicht in den Einrichtungen sein können. Der Umgang damit ist von Kreis zu Kreis sehr verschieden und nicht immer kulant“, sagt Arnold. Kulanzregelung läuft aus: Zurzeit haben alle Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Tagesförderstätten, Frühförderangebote und ambulante Betreuungsangebote geschlossen, so dass die Menschen entweder den ganzen Tag zu Hause oder aber in den Wohngruppen betreut werden müssen. „Das stellt die Einrichtungen vor so manche Hürden: In den Wohngruppen wird mehr Personal gebraucht, und das Personal in den geschlossenen Werkstätten oder bei Frühförderangeboten braucht trotzdem eine Weiterfinanzierung, damit es die Angebote nach der Krise überhaupt noch gibt“, sagt Arnold. Aktuell gebe es eine Kulanzregelung mit der Landesregierung und den Kommunen, die die Finanzierung sichert. Diese läuft jedoch Ende April aus. Finanzierungszusagen nur kurzfristig: Fred Mente, der Geschäftsführer der Vorwerker Diakonie in Lübeck, hat einen Brief an die Staatskanzlei geschrieben – und eine Antwort bekommen. Es sei ein großes Problem, dass Finanzierungszusagen nur für einen kurzfristigen Zeitraum erfolgen. „Beispielsweise ist die Finanzierung der Behindertenhilfe bisher nur bis zum 4. Mai 2020 gesichert“, sagt er. Zusätzlich führe die Schließung von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zu erheblichen Einschnitten in der Produktion – und dem Ausfall von Einnahmen. „Für gemeinnützige Organisationen wie uns bleibt die Finanzierungssituation also weiterhin schwierig, da wir über keine großen Rücklagen verfügen. Und alleine können wir die entstehenden Finanzlücken nicht schließen.“ In der Vorwerker Diakonie sind etwa 1000 Menschen mit Behinderungen als Mitarbeitende in der Werkstatt tätig. Etwa 650 Menschen mit Behinderungen haben ihr Zuhause in Wohneinrichtungen der Vorwerker Diakonie. Unterstützung durch Mitarbeiter aus Werkstätten: „Für die Menschen mit Behinderungen, die im Wohncampus leben, ist die aktuelle Situation belastend und täglich Thema. Natürlich vermissen die Bewohnerinnen und Bewohner die Besuche ihrer Angehörigen und Freunde, so wie wir auch“, sagt Silke Frank, Abteilungsleiterin in der Einrichtung Wohncampus – eine von 22 Wohneinrichtungen der Vorwerker Diakonie. Unterstützung erhalte ihr Team zurzeit von hauptamtlichen Mitarbeitenden aus den Werkstätten, die aktuell geschlossen sind – sei es durch zusätzliche Spaziergänge, Spiele oder sportliche Aktivitäten. „Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Frank. Das Betretungsverbot für alle Einrichtungen sei vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Menschen mit Mehrfachbehinderung schwierig, sagt Alexandra Arnold von der Lebenshilfe. „Ich habe öfter mit verzweifelten Angehörigen zu tun, die davon berichten, dass ihr Kind weint, weil es nicht mehr besucht werden kann.“ Es gebe an allen Ecken und Enden Probleme, auch weil kein Ende dieser Zeit in Sicht sei. Und für Eltern, die ihre schulpflichtigen Kinder mit Behinderung jetzt zu Hause betreuen müssen, sei der Stress oft doppelt groß. Mente: Bonuszahlung ausweiten: „Ich gönne allen Pflegekräften eine Bonuszahlung, denn sie haben es derzeit wirklich nicht leicht“, sagt Fred Mente. Viele weitere Berufsgruppen, die bei der Vorwerker Diakonie arbeiten, leisteten aber ebenfalls gerade einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise: Mitarbeitende in den stationären Wohnangeboten der Behindertenhilfe, den Obdachlosenunterkünften, der stationären Jugendhilfe, der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der kritischen Infrastruktur wie Wäscherei, Speisenversorgung oder Reinigung und andere mehr. „Auch diese Berufsgruppen müssen berücksichtigt werden“, fordert der Geschäftsführer der Vorwerker Diakonie. Steffen Kühhirt, Landesfachbereichsleiter Soziales bei der Gewerkschaft Verdi, unterstützt die Idee der Petition. „Auch für die Betreuungskräfte für Menschen mit Behinderung muss es den Bonus geben. Ihre wichtige Arbeit ist zu Unrecht in den Hintergrund geraten“, sagt er. 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