Dräger in Lübeck: So geht es nach dem Rekordjahr weiter

Die Zahlen sind einzigartig: Ein Plus von 38,9 Prozent beim Auftragseingang, 25,7 Prozent mehr Umsatz, und das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) hat sich auf 396,6 Millionen Euro fast versechsfacht gegenüber 2019, als es bei 66,6 Millionen lag. Das alles bedeutet ein Rekordergebnis für das Lübecker Unternehmen. „Corona hat das Geschäftsjahr geprägt wie kaum ein Ereignis in den Jahrzehnten zuvor. Während andere in den Lockdown gegangen sind, war für uns sofort klar: Dräger hat einen gesellschaftlichen Versorgungsauftrag, diesen zu erfüllen ist unsere Pflicht. Nie zuvor war der Sinn unserer Arbeit so direkt spürbar, wurde unsere Technik für das Leben so sehr gebraucht“, sagt Stefan Dräger, der Vorstandsvorsitzende der Drägerwerk Verwaltungs AG. „Dabei haben wir die sich in der Krise bietenden Chancen entschlossen ergreifen und gut nutzen können“. Ausnahmejahr wird sich nicht wiederholen: Dass Dräger in diesem Jahr nicht noch einmal ein solches Ausnahmeergebnis vorlegen wird, ist deshalb schon jetzt klar. Die „sehr starke Geschäftsentwicklung von 2020“ werde sich im laufenden Geschäftsjahr so nicht wiederholen. Das Unternehmen rechnet für 2021 daher mit einem währungsbereinigten Umsatzrückgang um sieben bis elf Prozent, was sich auch auf das Ergebnis auswirken werde. Doch wäre das nicht gemessen an Vor-Corona-Zeiten immer noch ein sehr gutes Ergebnis? Finanzvorstand Gert-Hartwig Lescow spricht von einem „immer noch ordentlichen Umsatzwachstum“ gegenüber 2019, auch die Profitabilität liege noch deutlich über dem, was Dräger 2018 und 2019 erwirtschaftet habe. „Wir produzieren immer noch am Anschlag“: Von einem guten Ergebnis für das laufende Jahr will Stefan Dräger aber nur bedingt sprechen. „Gut ist relativ. Wenn es uns wieder gelingt, neue Chancen zu nutzen, wenn sie sich ergeben, wäre es noch besser.“ Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Entwicklungen würden Dräger noch geraume Zeit beschäftigen. „Wir sind in einem Marathon.“ Der Umsatz in der Medizintechnik sei vor allem durch die sehr starke Nachfrage nach Beatmungsgeräten, aber auch nach Patientenmonitoring und Krankenhauszubehör gewachsen. Auch jetzt noch sei die Produktion in der Lübecker Revalstraße voll ausgelastet, „wir produzieren immer noch am Anschlag der Kapazität“, sagt der Unternehmenschef. Dräger arbeitet an „automatisierter Therapie“: Zum Glück habe man gute Vereinbarungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft, die Flexibilität sichern. „Wir haben viel Personal aufgebaut in der Produktion, zum nennenswerten Teil sind das befristete Verträge. Diese Verträge können wir verlängern, sodass wir die Anpassung an geänderte Auftragsbestände ganz gut hinbekommen.“ Auch in der Medizintechnik sei es wichtig, das Produktportfolio zu erneuern und zu erweitern. „Die Strategie, unsere Geräte noch stärker miteinander zu vernetzen, hat sich in der Pandemie bestätigt“, sagt Dräger. Das erklärte Ziel sei es, gerade in Zeiten des Personalmangels im Gesundheitswesen „von assistierter bis zu automatisierter Therapie alles anbieten zu können“. Auch einen eigenen Antigen-Schnelltest will das Unternehmen anbieten. Dräger-Testzentrum hat viele Prüfaufträge: In der Sicherheitstechnik waren vor allem Atemschutzmasken gefragt. Produktionsstandorte in Schweden und Südafrika baute Dräger aus und errichtete neue Werke in den USA, Frankreich und Großbritannien. „Wir sind Entwickler und Hersteller und bieten in unserem Lübecker Testzentrum auch die Prüfung von Masken an“, erklärt Stefan Dräger. Man habe zuletzt 168 Prüfaufträge erhalten, unter anderem vom Land Schleswig-Holstein und der Polizei Hamburg, die Maskenlieferungen erhalten hatten und sich fragten, ob diese etwas taugen. „Leider waren mehr als drei Viertel, die wir getestet haben, untauglich.“ Auch der Weltmarktführer 3M sei in Erklärungsnot geraten, Hersteller hätten oft keine Kontrolle mehr über die indirekten Vertriebswege. „Bei uns ist das anders. Wir vertreiben unsere Masken nur über unsere eigenen Gesellschaften in aller Welt“, sagt Dräger. Lesen Sie auch Dräger in Lübeck will Genussscheine früher zurückkaufen Lübeck: Dräger zahlt Mitarbeitern nun doch Zusatzgeld 3,41 Milliarden Euro Umsatz: Dräger übertrifft wegen Corona eigene Erwartungen in 2020 FFP-Shop für Privatkunden: Der FFP-Shop sei die Erweiterung dieses Weges, auch Privatkunden könnten sicher sein, dass sie ihre bestellten Masken direkt vom Unternehmen bekommen. „Wir haben den FFP-Shop aufgebaut, um Kontrolle auf der letzten Meile zu haben.“ In Zukunft werde die Maskenproduktion, die früher ein Nischenprodukt bei Dräger war, eine deutlich größere Rolle spielen. Doch bei aller Nachfrage nach Atemschutzgeräten und Masken ist Stefan Dräger wichtig zu betonen, dass das Unternehmen insgesamt eine große Vielfalt an Produkten biete. „Auch 2020 wurde der überwiegende Teil unseres Geschäftes nicht mit Corona gemacht, Pressluftatmer für die Feuerwehr waren auch in der Pandemie stark gefragt.“ Rückkaufaktion hält Dividende gering: Kleinaktionäre, die sich nach dem außergewöhnlichen Jahr eine ebenso außergewöhnliche Dividende erhofft hatten, werden enttäuscht. Dräger schlägt der Hauptversammlung am 7. Mai wie in den Vorjahren eine Dividende von 19 Cent je Vorzugsaktie und 13 Cent je Stammaktie vor. Das soll sich erst ändern, wenn die Eigenkapitalquote wieder auf über 40 Prozent gestiegen ist. Durch den Rückkauf von Genussscheinen ist die Quote von 41,9 auf 31,3 Prozent gesunken. Für den vorzeitigen Rückkauf plant das Unternehmen in diesem Jahr 100 Millionen Euro ein. „Im Interesse des Unternehmens und der Aktionäre möchten wir den starken operativen Free Cashflow im abgelaufenen Geschäftsjahr dazu nutzen die Optimierung der Kapitalstruktur zu beschleunigen“, sagt Finanzvorstand Lescow, Dräger: Schritt kommt Aktionären zu Gute: „Das ist ein tiefer Griff in die Kasse des Unternehmens, um die Genussscheininhaber abzufinden“, sagt Stefan Dräger. „Aber der Schritt kommt letztendlich den Aktionären wieder zu Gute. Sie leisten jetzt einen Beitrag zur Verbesserung der zukünftigen Dividenden, wenn nichts mehr an Genussschein-Inhaber ausgeschüttet werden muss.“ Die Aktionäre profitierten nicht zuletzt von der Wertsteigerung der Papiere. „Ich kenne kein Unternehmen, das so vielfältige Chancen und Möglichkeiten hat in dieser Situation“, sagt der Vorstandsvorsitzende. Von Christian Risch