Dschungelmutter Doris Kuegler erzählt vom Leben bei den Fayu

Doris Kuegler (77) lebt in einem unscheinbaren Häuschen in Neumünster. Rein äußerlich deutet nichts darauf hin, dass sie die Mutter von Sabine Kuegler ist, der berühmten Autorin des Bestseller-Buches „Dschungelkind“. Und auch sie selbst hat zwei Bücher über ihre Zeit im Dschungel von Papua-Neuguinea geschrieben. Damals wohnte die Familie in einer Hütte zwischen zwei verfeindeten Clans – um ihnen den Frieden zu bringen. Es entstand schnell eine Freundschaft: „Mein Mann und ich arbeiteten damals im indonesischen Teil Neuguineas, offiziell als Sprachforscher, aber vor allem, um die Bibel dorthin zu bringen.“ In einem Dorf stießen sie auf eine Frau vom Stamm der Fayu, die geraubt worden war. Doris Kueglers Mann Klaus-Peter, ein überzeugter Baptist, suchte den bis dahin unbekannten Stamm der Fayu daraufhin auf. „Der Sohn der Fayu-Frau kam als Dolmetscher mit.“ Ihr Mann, erinnert sich die heute geschiedene Doris Kuegler, habe die Gabe, schnell beliebt zu sein. Er schloss schnell Freundschaft mit den Dschungelbewohnern. „Sie sagten: Weißer Mann, komm doch und hilf uns, wir wissen nicht wie wir mit der Blutrache aufhören sollen.“ So kam es, dass nach einem Jahr und mehreren Besuchen, in denen sich die Beziehung zu den Fayu festigte, die Familie tatsächlich dorthin zog – mit ihren kleinen Kindern. „Ein Team von Bibelübersetzern kam, sie bauten mit uns und den Fayu gemeinsam unser Haus.“ Tatsächlich stand es mitten zwischen zwei verfeindeten Sippen. Den Platz hatte der Häuptling ausgesucht. Die Fayu lebten auf Steinzeit-Niveau, Metall kannten sie nicht. Sie hatten Steinäxte, Bogen und Pfeile, mit denen sie jagten und sich bekriegten. Kuegler: „Die Lebenserwartung lag bei 35 Jahren, älter wurde kein Mann – wegen der Blutrache. Es gab überhaupt nur noch 164 Männer.“ Die Kueglers tauschten Angelhaken, Messer und Taschenlampen gegen Nahrung. „Auf die Angelhaken waren sie besonders wild“, erinnert sich die Dschungelmutter. „Schnüre hatten sie selbst.“ Auch die Metallwerkzeuge waren gefragt. „Ein Boot zu bauen dauerte zwei Monate. Und sie hatten nur Bambusmesser, die waren allerdings sehr scharf.“ Vergebung nach Diebstählen: Schon bald kommt es zu Diebstählen. „Der Junge, der für uns dolmetschte, erzählte uns, wer gestohlen hatte.“ Anstatt den Dieb zu töten, wie es bei den Fayu oft gehandhabt wurde, fragten die Kueglers sich, was die Bibel sagt. „Wenn einer dir das Hemd nimmt, gib ihm auch noch den Mantel. Danach wollten wir handeln. Mein Mann ging zu dem Dieb, rieb seine Stirn an seiner, wie es die Fayu tun, um ihre Zuneigung zu zeigen und sagte: ,Ich weiß, dass du mich bestohlen hast. Aber ich bin dein Freund.’ Dann schenkte er ihm ein Schweizer Taschenmesser.“ Der zwölfjährige Sohn des Häuptlings stahl eines Tages Fleisch. „Mein Mann ging zu seiner Hütte und gab ihm noch mehr. Die Fayu sahen zu. Es war totenstill. Denn sie sahen: Ich muss einen Dieb nicht töten. Ich kann ihm vergeben.“ Schon nach wenigen Monaten habe niemand mehr gestohlen. Ein Wort für Entschuldigung kannten die Fayu nicht. Und aus den vermeintlich berechtigten Tötungen entwickelten sich Blutrachefehden. „Es war üblich, den aus Rache getöteten Gegner zu essen. So sollten er und seine Familie zusätzlich gedemütigt werden.“ Den Kannibalismus leugneten die Eingeborenen anfangs gegenüber der weißen Familie. „Einer gab dann zu, dass er mitgemacht hatte und das die Hand am besten geschmeckt hatte.“ Vor dem Haus der Kueglers kommt es schließlich zu einer blutigen Schlacht. Doch es gelingt ihnen, den Konflikt zu entschärfen. Die Fayu wunderten sich, dass ihr Mann oft etwas aufschrieb, berichtet Doris Kuegler. „Er sagte zu ihnen: ,Das Papier spricht.’“ Zum Beweis schrieb er an seine Frau, sie solle dem Überbringer des Zettels ein Tablett mit Gläsern und Keksen geben. Es funktionierte. „Sie waren begeistert. Da wollten sie auch lernen, das Papier zum Sprechen zu bringen.“ Unterricht für 30 Kinder: Doris Kuegler eröffnete eine Schule und unterrichtete neben ihren eigenen Kindern Christian, Sabine und Judith 30 Fayu-Kinder, indem sie ihnen Zählen und das Schreiben ihrer eigenen Sprache in lateinischen Buchstaben beibrachte. „Sie gingen so gerne in die Schule, dass sie es als Strafe empfanden, wenn sie nicht durften.“ Doris Kuegler ist auch Krankenschwester und bemerkt, dass Kinder eiternde Wunden haben, weil sie sich beim Gehen durch den Busch verletzt haben. Sie gibt ihnen Kleidung, wodurch die Verletzungen seltener werden. „Wir brachten ihnen Hosen. Anfangs stülpten sie sich die über den Kopf“, lacht Doris Kuegler. „Ich wunderte mich auch, dass die Frauen meist nur ein Kind hatten.“ Sie erfährt, dass die Mütter zum Gebären in den kalten Fluss gehen. Viele Babys sterben dabei an Unterkühlung oder ertrinken. „Es war ein Tabu, sie flüsterten, als sie es mir erzählten.“ Die toten Säuglinge gelten auch noch nicht als Menschen. „Es war üblich, eine Sau zu töten und ihre Ferkel einer Mutter zu geben. Die hatten an einer Brust ihren Säugling und an der anderen ein Ferkel. Das war ganz normal.“ Dabei werden die Schweine auch geschlachtet. „Die Frauen weinten dann, als hätten sie ein Kind verloren.“ Im Dorf entsteht eine Kirche: Insgeheim trauern die Mütter aber vor allem um ihre toten Babys. „Wir sagten ihnen, dass sie bei Jesus sind und dass sie sie wiedersehen werden. Das hat ihnen Trost gegeben.“ Einen gütigen Gott kennen die Fayu nicht. Aber einen bösen Geist. „Vor dem hatten sie solche Angst, dass sie sich alleine nicht aus dem Haus trauten.“ Im Dorf entsteht eine Kirche. Der neue Glaube gibt den Fayu Hoffnung, sie ändern ihr Leben. Und Doris Kueglers praktische Hilfe führt dazu, dass mehr Babys überleben. Ein Widerspruch ist die harte Erziehung der Kinder. „Sie mussten lernen, aufs Wort zu gehorchen. Das habe ich nur durch Schläge erreicht. Dafür bin ich viel angegriffen worden. Aber es ging um Leben und Tod.“ Wenn Doris Kuegler rief: „Bleib stehen!“, mussten die Kinder stehen bleiben. Sofort. Wie einmal, als eine hochgiftige grüne Schlange von einem Baum hing. „Drei Schritte weiter und es wäre zu spät gewesen“, erinnert sich die Mutter. In ihrem Haus haben die Kueglers fließend Wasser, über Tonnen werden die Dusche, die Toilette und die Küche gespeist. Sie gewöhnen sich an das Leben im Urwald, bei dem Stamm. „Die Fayu mochten uns.“ Weihnachten feiert die Familie übrigens nicht. „Wir versuchten, nach dem Gesetz der Bibel zu leben. Und dort steht von Weihnachten, wie wir es in Deutschland kennen, nichts.“ Jesus sei auch nicht am 24. Dezember geboren, sondern wahrscheinlich im März, stellt Doris Kuegler fest. „Wir fragten die Kinder, was ihnen wichtig ist und sie sagten, eigentlich nur die Geschenke. So haben wir es dann auch gemacht.“ Heute sei sie liberaler, meint Kuegler, die inzwischen offiziell keiner religiösen Gemeinschaft mehr angehört. „Jeder soll es machen, wie er denkt.“ Als sie 2006 zurück nach Deutschland gehen soll, fällt der Abschied schwer. „Ich hatte Deutschland vergessen." Rückkehr in den Norden: Da seine Mutter in Bad Segeberg lebt, zieht es Klaus-Peter Kuegler in den Norden. Die Familie lebt erst in Quickborn (Kreis Pinneberg), dann in einem Haus in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg). Doch Doris Kuegler findet sich nicht zurecht. „Ich hatte einen Kulturschock.“ Sie und ihr Mann trennen sich, mit einer Freundin geht sie nach Neumünster. Dort lebt sie heute, spielt Keyboard, komponiert und schreibt. Ein drittes Buch über die Kultur der Fayu soll erscheinen, es gibt Pläne für einen Film. Spannenden Stoff dafür gibt es genug. Doris Kuegler hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: „Dschungeljahre – Mein Leben bei den Ureinwohnern West-Papuas“, Verlag: Gerth Medien, erschienen 2011, ISBN: 9783865915856 und „Bevor der Dschungel singen lernte – Lebenserinnerungen“, Buchverlag Stangl, erschienen 2015, ISBN: 3934969852. Das Buch ihrer Tochter Sabine, „Dschungelkind“, Droemer Knaur, München 2005, ISBN 3-426-27361-6; als Knaur-Taschenbuch ISBN 978-3-426-78149-4; als Hörbuch (erzählt von Sabine Kuegler, 3 CDs ca. 220 Min.), Universal Music, Berlin 2005, ISBN 978-3-8291-1525-4 wurde 2011 verfilmt. Marcus Stöcklin

Ein Leben im Urwald - Die Dschungelmutter