Enttäuschung in SH: Grüne Woche nur im Digitalfomat

Eigentlich war alles vorbereitet. In der Halle 5.2b auf dem Berliner Messegelände sollten sich die rund 70 Aussteller aus dem Norden auf der weltgrößten Agrarmesse präsentieren – und Tausende Besucher in ihren Bann ziehen. Das Gütezeichen „Geprüfte Qualität Schleswig-Holstein“ sollte dort sein 55-jähriges Jubiläum feiern. Spitzenköche wie Stefan Möse vom Gasthof Victoria aus Winnemark wollten kulinarische Köstlichkeiten zaubern. Allerhand Prominenz aus dem Norden und vom Bund hatte sich angesagt. „Bis in den Oktober hinein hatten wir noch die Hoffnung, zumindest eine Messe mit Fachbesuchern durchführen zu können“, sagt Ute Volquardsen, die Präsidentin der Landwirtschaftskammer in Rendsburg. Im Lockdown ist das Digital-Format die einzige Option: Doch dann schlug der zweite Lockdown unerbittlich zu. Die Grüne Woche kann in diesem Jahr nur digital stattfinden. Statt vieler Begegnungen an den Ständen, in Runden mit Agrarexperten und Politik, statt schlemmen und staunen, sei bei den Organisatoren „eine große Portion Wehmut“ zu verspüren, gibt Volquardsen im LN-Gespräch zu. Auch Werner Schwarz, Präsident des Landesbauernverbandes, findet es „sehr schade“, dass der so notwendige Austausch und persönliche Kontakte, auch mal unter vier Augen, in diesem Jahr nicht stattfinden können. Videokonferenzen würden das nur bedingt ersetzen. Dabei verweist der Landwirt aus dem Kreis Stormarn auch darauf, dass er derzeit pro Tag etwa vier solche Konferenzen am Bildschirm hat. Gerade hat Schwarz, der auch Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes ist, mit Kollegen aus anderen EU-Ländern konferiert. Zumindest etwas kann der 60-Jährige der Situation abgewinnen: er habe jetzt viel mehr Schlaf als in den sonst sehr stressigen Messetagen, sagt er den LN. Diskussionsrunde mit Ministerpräsident Günther fällt aus: Doch selbst beim rasch zusammen gestellten digitalen Notprogramm für die Grüne Woche aus dem Norden platzen Veranstaltungen. Die Diskussionsrunde mit Ministerpräsident Daniel Günther, den Spitzen von Landesbauernverband, Landwirtschaftskammer, dem Chef der Edeka und anderen sollte am Mittwoch, 21. Januar, digital stattfinden. Die Corona-Sondersitzung des Landtages macht allerdings einen Strich durch die Rechnung, bedauert Bernd Christoph, mit der Messe befasster Referatsleiter im Landwirtschaftsministerium. Die hochkarätige Diskussionsrunde müsse ausfallen. Dass Kiel die Landes-Präsentation auf der Grünen Woche dieses Mal nicht, wie in den Vorjahren, mit 300 000 Euro bezuschussen muss, sei da überhaupt kein Trost. Preise für Milch und Schweinefleisch sind im Keller: Dabei stehen vielen Landwirten im Norden derzeit tiefe Sorgenfalten auf der Stirn. Die Preise für Rohmilch liegen um die 32 Cent je Liter. Und für das Kilogramm Schweinefleisch werden statt zwei Euro durchschnittlich gerade mal noch 1,12 Euro an die Landwirte gezahlt. Und während es je Ferkel vor Jahresfrist noch etwa 80 Euro gab, sind es derzeit nur noch etwa 25 Euro. Wegen der Probleme in den Schlachtbetrieben belaufe sich der „Schweinestau“ im Norden – Tiere, die den Bauern nicht abgenommen werden – auf etwa 60 000 Borstentiere. Das sei „ruinös“, befindet Schwarz, der selbst Schweine züchtet und Ackerbau betreibt. Vielen der 12 000 Betriebe im Norden stehe das Wasser bis zum Hals. Sie könnten ihre Betriebskosten nicht decken. Lesen Sie auch Messechef: Menschen wollen sich wieder persönlich treffen - Besucher ab September geplant Nach Bauernprotesten in Siek: Erste Gespräche für Januar 2021 geplant Bauernproteste: Landwirte blockieren Lidl-Zentrallager in Siek Viele Landwirte stehen vor der Pleite: Das halten viele Landwirte nicht durch, warnt Schwarz. Volquardsen berichtet in diesem Zusammenhang von einem immens gestiegenen Beratungsbedarf. Die Kammer habe im Vorjahr 260 Unternehmen beraten und geholfen, betriebsbezogene Lösungen zu finden, etwa sich breiter aufzustellen. Werner Schwarz verlangt mit Blick auf Berlin und Brüssel, das Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) die finanziellen Zusagen für die Landwirte auch umsetzt. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert er auf, sich um den Absatz von Schweinefleisch auf den ostasiatischen Märkten zu kümmern. Es werde zudem eine Regionalisierung des Schweinemarktes benötigt. Wenn in Teilen von Brandenburg und Sachsen die Afrikanische Schweinepest bei Wildschweinen auftrete – und dort engagiert bekämpft werde – dürften nicht sämtliche Schweinehalter in Deutschland unter Exportverboten leiden. Zumindest digital gibt es auf der Grünen Woche viel zu diskutieren. Gesprächsrunden, Dokumentationen und Interviews: Auf www.gruenewoche.de können Fachleute und interessiertes Publikum Dokumentationen, Gesprächsrunden und Interviews live verfolgen oder als On-Demand-Video abrufen. Von Reinhard Zweigler