Ex-AfD-Chefin: Sayn-Wittgenstein im Landtag: Allein gegen alle

Doris von Sayn-Wittgenstein, bis Anfang September Parteivorsitzende der AfD in Schleswig-Holstein, sitzt als Abgeordnete im Kieler Landtag allein – abgesetzt von allen anderen. Die Fraktion hat sie ausgeschlossen, die Bundespartei hat sie rausgeworfen. Im Parlament redet sie sehr selten, dafür hat sie sich mit einem Facebook-Video noch weiter ins Abseits gestellt. „Wann kommen die ersten grün-rot-schwarzen Umerziehungslager, wann die ersten KZs der neuen Nazis?“, fragt sie und sagt: „Das Regime Merkel hat seine Maske fallen lassen.“ Die Empörung aller Parteien ist groß. Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) forderte sie auf, „ihr Mandat mit sofortiger Wirkung niederzulegen“. Sayn-Wittgenstein habe sich „mit widerwärtiger Hetze, wirren Verschwörungstheorien und strafrechtlich relevanten Unterstellungen als Rechtsextremistin entlarvt“. „Ausschluss aus gutem Grund“: Auch die früheren Fraktionskollegen fordern sie auf, den Landtag zu verlassen. „Wir haben Frau von Sayn-Wittgenstein im Dezember 2018 aus der Fraktion ausgeschlossen, und im August 2019 erfolgte Ihr Ausschluss aus der AfD – beides geschah aus gutem Grund“, sagt der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Nobis. Was sie seitdem „auf Facebook oder sonstwo“ äußere, verfolge er nicht, „da es weder für meine Fraktion noch für meine Partei irgendeine Relevanz“ habe. „Die Forderung, von Sayn-Wittgestein möge ihr Landtagsmandat zurückgeben, haben wir seit ihrem Parteiausschluss wiederholt erhoben – vergeblich. Dass Klaus Schlie hier erfolgreicher sein wird, dafür gibt es derzeit keine Anzeichen, leider“, erklärt Nobis. Schlie hatte eingeräumt, es gebe rechtlich keine Möglichkeit, ihr das Mandat zu entziehen. Es habe in der Geschichte der Bundesrepublik seines Wissens bislang keinen solchen Fall gegeben. Sayn-Wittgenstein antwortete mit einem Gegenangriff auf Schlies Forderung. „Die Reaktion des Herrn Landtagspräsidenten belegt die Vorwürfe in meinem Video geradezu“, erklärt sie. Schlie beschädige sein Amt und „sollte deshalb zurücktreten“. Fünfstelliger Betrag pro Monat: Als gewählte Abgeordnete erhält Sayn-Wittgenstein nach Angaben der Landtagsverwaltung monatlich 8637,66 Diät, dazu kommen 1927,21 Euro monatlich für die Altersvorsorge, sowie 3272 Euro aus dem Budget für die Mitarbeiterkostenerstattung – was Sayn-Wittgenstein aber nicht voll nutze. Weiterhin erhalte sie 1094,40 Euro pro Monat pauschal zur Abdeckung laufender Kosten, die nicht über die Amtsausstattung abgedeckt sind, sowie eine Einmalzahlung von 10 000 Euro für den verbleibenden Zeitraum der Legislaturperiode zur Einrichtung einer IT-Anbindung und eines IT-Arbeitsplatzes. Letzte Rede im September: Nach Absprache im Ältestenrat des Landtages kann Sayn-Wittgenstein in den Plenartagungen pro Sitzungstag jeweils zu einem Tagesordnungspunkt Redezeit anmelden. Die Redezeit beträgt drei Minuten. Im Übrigen habe sie wie alle Abgeordneten das Recht, in den ständigen Ausschüssen und in den Sonderausschüssen des Landtages Fragen und Anträge zu stellen, habe dort aber kein Stimmrecht. Sayn-Wittgenstein war bis zu ihrem Ausschluss aus der AfD-Fraktion vor einem Jahr Vorsitzende des Petitionsausschusses, diesen Posten hat sie seitdem verloren. Nach Angaben der Landtagsverwaltung macht Sayn-Wittgenstein selten von ihrem Rederecht Gebrauch, zuletzt in einer Sitzung am 26. September. SPD hat Strafanzeige gestellt: „Ich kann nicht erkennen, dass sie außer ihren wirren Facebook-Videos etwas im Parlament macht“, sagt FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. „Diese Frau ist völlig verblendet und Extremistin und hat im Parlament nichts zu suchen“, sagt Vogt. Für CDU-Fraktionschef Tobias Koch steht sie „außerhalb unserer demokratischen Gesellschaft“. Mit der Veröffentlichung ihres Videos habe sie „eindeutig alle Grenzen gesprengt. Eine Niederlegung ihres Landtagsmandats ist das Mindeste, was man von ihr erwarten kann.“ Auch für Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben steht Sayn-Wittgenstein „außerhalb des demokratischen Spektrums“. Es gebe keine Zusammenarbeit mit ihr. „Wir sind noch in der Beratung darüber, ob wir eine Strafanzeige stellen werden.“ Diesen Schritt hat SPD-Fraktionschef Ralf Stegner schon getan – wegen Volksverhetzung. Ansonsten gelte: „Klare Linie in der Fraktion: Keinerlei Umgang mit Rechtsradikalen“, sagt Stegner. Im Juni zur Landesvorsitzenden gewählt: Ende Juni war Sayn-Wittgenstein auf einem Parteitag in Henstedt-Ulzburg noch zur Landesvorsitzenden der AfD gewählt worden, obwohl da schon länger das Parteiausschlussverfahren des AfD-Bundesverbandes gegen sie lief. Die Bundespartei fordert seit Monaten eine Neuwahl zum Landesvorsitz. Wie der AfD-Landesverband zu den aktuellen Aussagen Sayn-Wittgensteins steht, ob sie dem Ansehen der Partei schaden und was er zur Aufforderung des Mandatsverzichts sagt, war am Mittwoch nicht zu erfahren. Eine entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet. Lesen Sie auch: AfD-Chaos in Schleswig-Holstein: Wie geht es jetzt weiter? Sayn-Wittgenstein zieht sich aus Vorstandsarbeit der Nord-AfD zurück Von Christian Risch

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