Flensburg: Politiker und Juristen streiten über die Ausgangssperre

Flensburg macht dicht. Das Land hat eine erste Ausgangssperre verhängt. Wer ab Sonnabend zwischen 21 und 5 Uhr auf der Straße unterwegs ist, riskiert ein Bußgeld. Lange hat CDU-Ministerpräsident Daniel Günther so eine Maßnahme abgelehnt. Dann stieg die Inzidenz in der Förderstadt auf 181,9. Zudem greift die britische Virus-Mutation dort um sich. Dennoch gibt es in der Politik und Justiz scharfe Kritik an der Maßnahme. Die Jungen Liberalen kritisieren ihre Partei: Vor allem die Liberalen streiten erbittert über die Ausgangssperre. Ihr Kieler FDP-Gesundheitsminister Heiner Garg verhängte sie mit. Ihr Parteigrande Wolfgang Kubicki verteidigt sie zumindest in Flensburg als „Ultima Ratio“, der Flensburger FDP-Landtagsabgeordneter Kay Richert appelliert an seine Mitbürger: „Wir Menschen in den betroffenen Regionen müssen jetzt Verantwortung übernehmen.“ Die Jungen Liberalen aber, der Parteinachwuchs, läuft Sturm gegen die Entscheidung ihrer Altvorderen. Der SSW spricht von „wirkungsloser Symbolpolitik“: „Eigentlich sollten Urteile aus anderen Bundesländern gezeigt haben, dass Ausgangssperren selbst bei problematischem Infektionsgeschehen kein geeignetes Mittel sind“, sagt Junge-Liberale-Landeschef Max Mordhorst. Man lehne sie daher rundheraus ab. „Dass pauschal alle zwischen 21 und 5 Uhr eingesperrt werden, kann nicht der richtige Weg sein“, sagt auch Flensburgs Juli-Chef Erik Jäger. Flensburgern sei es so ab Sonnabend nicht mehr möglich, abends durch menschenleere Straßenzüge zu spazieren oder morgens vor der Arbeit den Hund auszuführen, sagt Jäger. Man solle lieber das Kontaktverbot schärfer kontrollieren und mehr testen, um besonders gefährdete Gruppen zu schützen. Auch der SSW-Landtagsabgeordnete Christian Dirschauer hält die nächtliche Ausgangssperre für „wirkungslose Symbolpolitik“. Die Politik drohe, das Augenmaß zu verlieren, welche Maßnahmen sinnvoll und effektiv zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitragen würden und welche nicht. Günther und Stegner einig: Alle anderen Maßnahmen haben ja nicht geholfen: Günther hatte die zunächst für eine oder zwei Wochen geplante Ausgangssperre damit gerechtfertigt, dass sich die Corona-Lage in Flensburg nicht verbessere. Alle anderen Maßnahmen hätten nicht zum Erfolg geführt. Das sieht auch SPD-Oppositionsführer Ralf Stegner so. „Natürlich sind Ausgangssperren gepaart mit dem Kontaktverbot ein tiefer Eingriff und können nur die Ultima Ratio sein. Die Inzidenz in Flensburg ist aber dreimal so hoch wie im restlichen Schleswig-Holstein. Der Gesundheitsschutz hat oberste Priorität“, sagt Stegner. Wer das für unangemessen halte, müsse eigene Vorschläge bringen, wie die Mutation in Flensburg in den Griff zu bekommen ist und wie zu verhindern, dass diese sich im ganzen Land ausbreitet. Ex-Bundesrichter zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit: Genau das sieht allerdings der Lübecker Ex-Bundesrichter Wolfgang Nešković ganz anders. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausgangssperre dürfte es ganz entscheidend sein, „ob es eine gesicherte Datenlage gibt, die eine relevante Reduzierung von Infektionen erwarten lässt“. Nur dann wäre der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für einen derart tiefen Grundrechtseingriff gewahrt. Daran habe er Zweifel, auch wenn die gesundheitliche Situation in Flensburg durchaus dramatisch sei, sagt Nešković. Lesen Sie auch SH: Kreis Plön ist Deutschlands einziger Landkreis mit Corona-Inzidenz unter 10 Erste Ausgangssperre in SH: Flensburg macht ab Samstag dicht Die Grünen zwischen Gesundheits- und Verfassungssorgen: Ganz ähnliche Sorgen treiben auch den Grünen-Landtags-Innenpolitiker und Rechtsanwalt Burkhard Peters um. „Das ist ein tiefer Eingriff in die Handlungsfreiheit, der bedarf einer stichhaltigen Begründung“, sagt Peters. Das Problem sei, dass sich die Wirksam- oder Unwirksamkeit einer solchen Maßnahme immer erst im Nachhinein beurteilen lasse. Im Zweifel tendiere er dazu, lieber „mit Bauchschmerzen auf der sicheren Seite zu sein“. Damit liegt er am Ende wieder auf Fraktionslinie. „Es ist wirklich bedauerlich, dass sich in Flensburg das mutierte Virus so schnell verbreitet, dass eine Ausgangssperre aus Sicht der Stadt nicht zu verhindern war“, sagt Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben. Menschliche Kontakte so vollständig auszuschließen, dürfe immer nur „das letzte Mittel sein, um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern“. Dass es jetzt in Flensburg angewendet werden muss, scheint für sie aber ausgemacht zu sein – in der Jamaika-Koalition tragen die Grünen die Ausgangssperre mit. Von Wolfram Hammer