Gefesselte Studentin: Prozess hat begonnen

Der Prozess gegen Berat M. (Name geändert) vor dem Lübecker Landgericht hat begonnen. Zum Auftakt wurde am Donnerstag die Anklage verlesen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 43-jährigen türkischen Staatsbürger versuchten Mord vor, weil er eine Studentin verschleppt haben und in einem Knick nahe der Autobahn 20 bei Mönkhagen (Kreis Stormarn) zurückgelassen haben soll. Sie war nur durch Zufall von einem Autofahrer gefunden worden, der dort seine Notdurft verrichten wollte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die junge Frau wegen der niedrigen Außentemperaturen hätte sterben können. „Er fesselte sie an Hände und Füßen und knebelte sie. Der Angeklagte wusste, dass sie dort an Unterkühlung sterben würde. Dies war seine Absicht, um die Tat zu verdecken“, sagte Staatsanwalt Niels-Broder Greve bei der Verlesung der Anklageschrift. Berat M. erschien wegen der Coronakrise mit Mundschutz, Laborbrille und Gummihandschuhen. Die Verlesung, die ihn von einem Dolmetscher übersetzt wurde, verfolgte er regungslos. Nur an den sich ständig hin und her bewegenden Augen war ihm die Aufregung anzumerken. Er selber sagte nichts. Seine Anwältin Kerstin Raber teilte für ihn mit: „Mein Mandant macht keine Angaben, nicht zu seiner Person und nicht zur Sache“. Richter Christian Singelmann hatte nichts anderes erwartet. „Das ist keine Überraschung und wir haben auch kein weiteres Programm.“ Opfer in einem Transporter verschleppt: Die Tat hatte die Lübecker Polizei wochenlang unter Hochdruck ermitteln lassen und der Fall deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Die junge Frau war am Morgen des 12. Oktober 2019 gefesselt aufgefunden worde n und konnte sich zunächst nicht erinnern, was geschehen war. In der Nacht zuvor war sie allein von einer Studentenparty auf dem Heimweg. Nach drei Wochen konnte die Polizei den Tatverdächtigen aufgrund von zurückgekehrten Erinnerungen des Opfers sowie aufgrund von Videoaufnahmen aus dem Umfeld des Verschleppungsortes festnehmen. Die Ankläger gehen nach dem Ergebnis der Ermittlungen davon aus, dass der Beschuldigte die Frau am frühen Morgen des 12. Oktobers in seine Gewalt brachte. Der Mann habe zu dieser Tat einen Transporter genutzt und sei im Anschluss mit seinem Opfer zu einer Kleingartenparzelle gefahren. Dort soll es zu erneuter Gewalt gegen die Studentin und zu einem sexuellen Missbrauch gekommen sein. Berat M. soll zuvor bereits eine andere Studentin entführt haben: Berat M. soll zuvor schon einmal eine ähnliche Tat begangen haben, die ebenfalls Gegenstand des Prozesses ist. Im September 2019, also wenige Wochen vor der jetzt angeklagten Tat, soll der Mann bereits eine 25 Jahre alte Studentin, die ebenfalls auf dem Heimweg von einer Veranstaltung war, angegriffen und in seine Kleingartenparzelle verschleppt haben. Zu einem sexuellen Übergriff ist es laut Staatsanwaltschaft in diesem Fall aber nicht gekommen. Die junge Frau habe sich selbst befreien und flüchten können. Zuvor keine rechtliche Grundlage für Festnahme: Die Polizei ermittelte damals auch in dem Fall. Nach Angaben der Lübecker Staatsanwaltschaft habe es jedoch keine Möglichkeit gegeben, den Mann in Haft zu nehmen. „Die Frau berichtete von Freiheitsberaubung. Das ist ein Vergehen, aber kein schwerwiegendes Verbrechen“, sagte der Lübecker Staatsanwalt Christian Braunwarth damals den LN. Es habe keine rechtliche Grundlage gegeben, den Mann festzunehmen. Die Frau habe angegeben, dass sie in die Parzelle gezerrt und eingeschlossen worden sei. Sie soll auch zwischendurch nicht bei Bewusstsein gewesen sein, habe jedoch ausgeschlossen, dass es zu sexuellen Handlungen gekommen sei. „Der 43-Jährige hat gegenüber der Polizei angegeben, die Frau sei dort betrunken aufgelaufen und er habe ihr nur geholfen“, sagt Braunwarth. Und weiter: „Jetzt im Nachhinein ergibt sich natürlich ein anderes Bild.“ Warum die Polizei nach dem Auffinden des zweiten Opfers zunächst offenbar keine Verbindung zwischen den Fällen herstellte, ist bisher unklar. Zu dem Prozess sind bislang 30 Zeugen, vier Sachverständige und ein Dolmetscher geladen. Ein Urteil soll voraussichtlich Mitte Juni verkündet werden. Der Prozess wird am 27. April um 9 Uhr fortgesetzt. Von Sven Wehde

Gericht - Gefesselte Studentin: Angeklagter schweigt zu Prozessauftakt