Großkonzerne kaufen deutsche Tierkliniken auf

Die Deutschen geben für ihre Haustiere im Durchschnitt 50 Euro pro Monat aus – für Futter, Zubehör, Spielzeug und die medizinische Versorgung. Tendenz: steigend. Der deutsche Tiermedizin-Sektor ist für ausländische Firmen besonders interessant, weil hier „enormes Potenzial für Gebührensteigerungen gesehen wird“, schreibt der Ulmer Tierarzt Ralph Rückert in seinem Blog. Zwei Großkonzerne kaufen seit einigen Jahren in großem Stil deutsche Tierkliniken auf: Anicura (besitzt derzeit 45 Tierkliniken in Deutschland und 350 in Europa) und Evidensia (besitzt derzeit 32 Tierkliniken in Deutschland und 1300 in Europa). Anicura (Jahresumsatz: 519 Millionen Euro) gehört Mars Petcare, dem weltweit größten Besitzer von Tierarztpraxen und -kliniken. Mars verdient inzwischen deutlich mehr Geld mit Tiermedizin und -futter als mit Schokoriegeln. An dem Konzern Evidensia ist unter anderem Nestlé beteiligt – ein großer Konkurrent von Mars auf dem hart umkämpften Tierfuttermarkt. In Schleswig-Holstein gibt es derzeit 664 Tierärzte und 21 Tierkliniken. Zu Evidensia gehören beispielsweise Tierarztpraxen in Rendsburg und Harrislee, zu Anicura Praxen in Wahlstedt und Flensburg. Hinter Anicura und Evidensia stecken Mars und Nestlé: Tierkliniken sind für die Konzerne nicht zuletzt deshalb interessant, weil dort auch Tierfutter verkauft wird. Ralph Rückert und viele seiner Kollegen befürchten, dass Anicura und Evidensia in ihren Tierkliniken auf lange Sicht vorwiegend die konzerneigenen Futtermittel empfehlen und vertreiben. Damit würden Tierärzte einen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren. Denn bisher können sie frei entscheiden, mit welchen Futtermittelanbietern sie zusammenarbeiten. Viele Praxisbetreiber finden keinen Nachfolger: Das gestiegene Interesse großer ausländischer Investoren an deutschen Tierarztpraxen hat auch damit zu tun, dass viele Betreiber Probleme haben, einen Nachfolger zu finden. „Immer mehr Tierärzte möchten lieber in einem Angestelltenverhältnis arbeiten und wollen oder können sich nicht selbstständig machen“, sagt Astrid Behr, Leiterin des Referats Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Praktizierender Tierärzte. Bevor sie gar keinen Nachfolger finden, entscheiden sich daher viele Inhaber für einen Verkauf an Evidensia oder Anicura. Diese Einschätzung bestätigt auch der Präsident der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG), Prof. Dr. Martin Kramer. „Meine Generation hat viel Zeit und Geld investiert und große Kleintierkliniken aufgebaut. Jetzt suchen sie nach Nachfolgern, junge Tierärzte wollen sich aber nicht so hoch verschulden und solch eine große Verantwortung übernehmen.“ Außerdem seien Investoren in der Regel in der Lage, deutlich höhere Preise zu bezahlen. Tierärzte befürchten auf lange Sicht Monopolisierung: Der Lüneburger Tierarzt Dirk Remien befürchtet, dass durch den Verkauf an Groß-Konzerne auf lange Sicht eine Monopolisierung droht und der betriebswirtschaftliche Druck auf die Praxen stark steigen wird – zum Nachteil der Tierbesitzer und der Mitarbeiter. Nestlé und Mars wollen eine hohe Rendite – die langfristige Folge könnten laut Remien steigende Preise für die Kunden und veränderte Bedingungen für die Angestellten sein. Dirk Remien ist Mitglied im Verbund unabhängiger Kleintierkliniken (VUK), der als neuer Verbund von privaten Kliniken in Deutschland im Jahr 2019 gegründet wurde. Viele kleine Kliniken geben auf: Dirk Remien beobachtet mit Sorge seit einigen Jahren einen Strukturwandel in der deutschen Tiermedizin: „Es gibt ein massives Kliniksterben und immer weniger Kliniken, die eine 24-Stunden-Versorgung anbieten können“, erklärt der Lüneburger Tierarzt. Angesichts des Arbeitszeitgesetzes können nur Kliniken mit vielen Tierärzten umfassende Notdienste anbieten. Viele kleine Praxen, die diesen Service nicht leisten können, würden das Handtuch werfen, da sie laut Heilberufeordnung dazu verpflichtet sind, Notdienste zu gewährleisten. Die Konsequenz für Tierbesitzer ist, dass sie im Notfall oft lange Wege zurücklegen müssen. Der Trend gehe weg von der kleinen familiären Praxis hin zu großen Kliniken. Lesen Sie auch Giftköder in Lübeck-Eichholz? Hundebesitzer trauert um seinen Labrador Stormarn: Illegaler Welpenhandel so lukrativ wie Drogenhandel Haustier kaufen: Welches Tier passt zu mir und meinem Lebensstil - auch nach Corona? Rückert: Profit sollte in der Medizin nie an erster Stelle stehen: Trotz dieser Entwicklung ist Remien zuversichtlich, dass inhabergeführte Tierarztkliniken in Deutschland weiter eine Zukunft haben und das Feld nicht komplett den Global Playern überlassen: „Mitunter tun sich auch mehrere Tierärzte zusammen und entscheiden, gemeinsam eine Praxis zu übernehmen und sich die Verantwortung und die Kosten zu teilen.“ Darauf hofft auch sein Ulmer Kollege Ralph Rückert: „Nach meiner Auffassung haben rein profitorientierte Großkonzerne und Investoren in der Medizin (ob nun für Menschen oder für Tiere) absolut nichts zu suchen.“ Von Grit Petersen