Handwerksmeister zahlt Lehrlingen die Mathe-Nachhilfe

Schon lange klagen Ausbildungsbetriebe über mangelnden Kenntnisse ihrer Bewerber. Vor allem Mathematik ist für viele ein Problem – auch an der Landesberufsschule für Dachdecker in Lübeck-Blankensee. „Seit zwei Jahren vermitteln wir in den Abendstunden zusätzlich mathematische Grundlagen“, berichtet Petra Jünemann, Außenstellenleiterin der Emil-Possehl-Schule. Doch für diesen Förderunterricht, an dem im 1. Lehrjahr bis zu 100 Lehrlinge teilnehmen, fehlte jetzt das Geld. Als Lars Thullesen, Dachdeckermeister aus Neumünster, auf der Innungsversammlung von der Finanzlücke hörte, zögerte er nicht. Er übernimmt von Januar an für ein Jahr die Kosten in Höhe von 3360 Euro. Seit zehn Jahren läuft das Projekt „Grundstein“: Was mit Nachhilfe erreicht werden kann, weiß der 46-Jährige genau. Seit Jahren spendiert er Schülern in Neumünster kostenlosen Nachhilfe-Unterricht. „Grundstein“ heißt das Projekt, das im Februar zehnjähriges Jubiläum feiert. Rund 50 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren bekommen einmal wöchentlich Nachhilfe auf dem Firmengelände – in kleinen Gruppen. Dazu wurde extra ein kleiner, aber moderner Unterrichtsraum eingerichtet, mit Whiteboard und Beamer. Ein fest angestellter Lehrer, der früher schon Thullesen Nachhilfe gab, erklärt den Schülern in den Nachmittagsstunden vor allem Mathematik, seltener auch Physik oder Chemie. „Er hat eine tolle Art, das Gute im Schlechten zu sehen und arbeitet Seite an Seite mit den Schülern“, sagt Thullesen und erzählt von einem Jungen, der mit einer Sechs in Mathe kam, inzwischen aber schon zwei Einsen geschrieben hat. In 87 Prozent der Fälle könne die schulische Leistung gesteigert werden, berichtet er. „Die meisten gehen weiter zur Schule“: Ursprünglich hatte Thullesen mit dem Projekt auch Bewerber für seinen Handwerksbetrieb gewinnen wollen. Doch das hat in all den Jahren bisher nur ein Mal geklappt. „Die meisten gehen dann doch weiter zur Schule“, sagt er. Dennoch will er diese Form der Unterstützung weiterführen. „Das macht einfach Sinn.“ Manchmal fehle nur ein kleiner Anstoß, dann laufe es wieder. So habe ein Praktikant aus Ägypten nicht 7 mal 3,90 Meter ausrechnen können. „Er kannte einfach noch keine Kommazahlen.“ Inzwischen lernt er Dachdecker. Irgendwann kam der Spaß am Lernen: Der Firmeninhaber der Volker Thullesen GmbH hatte selbst zunächst Lernschwierigkeiten. „Ich bin nicht gern zur Schule gegangen. Ab der vierten Klasse habe ich Nachhilfe bekommen, erst in Deutsch, später auch in Mathe und Englisch.“ Schließlich legte er eine „ganz vernünftige mittlere Reife“ hin. Und dann kam auch der Spaß am Lernen. Lars Thullesen machte eine Lehre als Dachdecker, dann noch eine als Zimmerer. Nach der Bundeswehr folgten Gesellenzeit und Meisterschule. „Dann habe ich mir gedacht, wenn ich jetzt noch den Maurermeister mache, können wir ein Haus komplett erstellen“, erinnert er sich. Letztlich sattelte er noch den Dachklempnermeister obendrauf. „Das Lernen hat mich nicht geschreckt“, sagt er. Weil er auf der Baustelle gleich sah, wo er sein Wissen anwenden konnte. An der Landesberufsschule bekam er gute Noten. „Das, was ich gelernt habe, kann mir niemand mehr nehmen“, sagt der vierfache Meister. Das sei für ihn ein „Riesenantrieb“ gewesen. Seit 21 Jahren führt er nun den Familienbetrieb mit 25 Mitarbeitern in Neumünster, der vor allem An- und Umbauten sowie Modernisierungen ausführt. In Schleswig-Holstein machen derzeit 313 Lehrlinge eine Ausbildung zum Dachdecker, zehn davon sind Frauen. Die Lehrlinge machen ihre überbetriebliche Ausbildung im norddeutschen Kompetenzzentrum des Dachdeckerhandwerks in Lübeck-Blankensee. Berufsanfänger, die längere Anfahrtswege haben, können im dortigen Internat unterkommen. Insgesamt sind 263 Dachdeckerbetriebe im Landesinnungsverband organisiert. Weniger Gesellen fallen bei Prüfung durch: Inzwischen zeigt auch der Förderunterricht an der Landesberufsschule erste Erfolge. „Die Durchfallquote bei der Gesellenprüfung ist deutlich geringer geworden“, sagt Thullesen. Zwar habe es auch Änderungen an der Prüfungsordnung gegeben. „Doch ein wichtiger Baustein ist der Förderunterricht.“ Außenstellenleiterin Petra Jünemann ist froh, dass es weitergeht mit der Mathe-Förderung. Zwei Drittel der Schüler im ersten Lehrjahr nutzen das Angebot. Die Rückmeldungen seien positiv. „Es ist nur bedauerlich, dass eine Privatinitiative diese Aufgabe übernehmen muss“, kritisiert sie. Lesen Sie auch: Dem Handwerk fehlen Auszubildende Lübeck: Handwerker dringend gesucht! Bewerber fehlen –Auszubildende gesucht Von Julia Paulat

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