In den nächsten Jahren gehen viele Lotsen von Bord

Bis zum Jahr 2030 werden über 300 Seelotsen in den Ruhestand gehen. So schätzte das Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) in einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage der norddeutschen Grünen-Abgeordneten Claudia Müller ein. „Die aktuelle Entwicklung ist besorgniserregend“, warnte sie jetzt im Gespräch mit den LN. Die Bundesregierung müsse den Beruf des Seelotsen „zukunftssicher“ gestalten, denn von kompetenten Lotsen hänge die Sicherheit an den deutschen Küsten ab. Und sie verwies auf Reformvorschläge für die Seelotsen-Ausbildung, die seit 2016 auf dem Tisch lägen und noch immer nicht umgesetzt worden seien. Reform der Lotsen-Ausbildung: Das Bundesverkehrsministerium teilte der Grünen-Politikerin nun mit, dass die Reform der Ausbildung – das Seelotsengesetz (SeeLG) sowie drei dazu gehörige Verordnungen – „zum 1. November 2021“ in Kraft treten würde. Der Grünen-Abgeordneten dauert das jedoch zu lange. „Ohne Reform laufen wir Gefahr, dass jedes Jahr mehr Seelotsen in Rente gehen als neu eingestellt werden können. Während sich die Zahl der in den Ruhestand gehenden Seelotsen bis 2027 beinahe vervierfacht, bleibt das Nachwuchsproblem weiter ungeklärt. Verkehrsminister Scheuer muss schnell Reformplanungen vorlegen – wie es auch im Koalitionsvertrag steht“, verlangte die Stralsunderin. Qualität statt Schnelligkeit gefordert: Für „Solidität und Qualität statt Schnelligkeit“ bei der Ausbildungsreform plädierte indes Martin Finnberg, seit knapp einem Jahr Ältermann bei der Lotsenbrüderschaft Nord-Ostsee-Kanal II Kiel, Lübeck und Flensburg. Derzeit gebe es zwar noch wesentlich mehr Bewerber für den verantwortungsvollen Lotsenberuf, als die vier bis sechs Mann, die dann auch tatsächlich ihre Arbeit in den Revieren am nördlichen NOK und der schleswig-holsteinischen Ostsee aufnähmen. Doch mittelfristig dürfte es jedoch immer schwieriger werden, geeignete Leute für diese anspruchsvolle Aufgabe zu gewinnen, räumte Finnberg ein. „Am liebsten wären uns 35-jährige Bewerber mit 15 Jahren Berufserfahrung als Kapitän auf See. Aber die gibt es nicht“, sagt der Kapitän scherzend. Bevor der Plöner 2002 als Aspirant bei den Kieler Lotsen begann, hatte er den Matrosenbrief in der Tasche und ein dreijähriges Studium an der Seefahrtsschule absolviert. Danach war er knapp sieben Jahre als Offizier in der Laufbahn zum Kapitän auf einem großen Containerschiff gefahren. Allein in diesem Jahr gehen fünf Lotsen: Das Nachwuchsthema für den freien Beruf des Lotsen drücke im Bereich seiner Brüderschaft im Norden – 139 Lotsen gehören zu den Revieren NOK II, Kiel und Flensburg sowie 19 zu Lübeck – „noch nicht so riesig“, meinte Finnberg. Doch allein in diesem Jahr gehen in diesem Bereich fünf Lotsen in Rente. Bis zum Jahr 2030 würden fast 70 Lotsen ihren Dienst quittieren. Von bundesweit derzeit etwa 830 Lotsen gehen in diesem Zeitraum sogar 325 Seelotsen für immer von Bord. Japan als schlechtes Beispiel: Uwe Jepsen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der See- und Hafenlotsen (BSHL), warnte in diesem Zusammenhang davor, bei der anstehenden Ausbildungsreform der Lotsen die mehrjährige seemännische Erfahrung, entweder als Kapitän oder als 1. Offizier, geringer zu bewerten. Das hohe Ausbildungsniveau deutscher Lotsen müsse unbedingt erhalten bleiben. Er verwies dabei auf das schlechte Beispiel Japan, wo Lotsen mit wenig seemännischer Erfahrung eingesetzt wurden. Nach mehreren Schiffshavarien kehrte man in Fernost jedoch zum bewährten System zurück. Jepsen warnte, die Voraussetzungen für die geplante neue Ausbildung deutscher Lotsen lägen unter dem chinesischen und japanischen Ausbildungsniveau und deutlich unter den durchschnittlichen europäischen Anforderungen für Lotsen. Dabei sei das deutsche Lotswesen für viele Länder bislang beispielhaft. „Sicherheit und Qualität muss erhalten bleiben, nicht nur auf dem Papier“, forderte Jepsen, der selbst sechs Jahre als Kapitän und Offizier zur See gefahren war und 25 Jahre lang als Lotse im Revier Lübeck gearbeitet hatte. Lesen Sie auch: So arbeitet ein Lotse auf der Elbe Von Lübeck aus durchs Eis der Ostsee Ein großer Pott läuft aus: Darum sind zwei Kapitäne auf der Brücke Von Reinhard Zweigler

Schifffahrt - In den nächsten Jahren gehen viele Lotsen von Bord