Keine Chance auf Kurzzeit-Pflege: Das sind die Folgen für diese Familie aus Eutin

Es wäre ja nur für eine Woche. Einmal eine Woche nicht Tag und Nacht abrufbar sein. Weil Sohn Tronje (9), der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, etwas braucht. Oder der Älteste, Torge (11), der unter einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leidet. Oder die Eltern. Sie alle pflegt Nicole Kiesewetter (48). Einmal eine Woche Ruhe: „Wer das nicht kennt, weiß nicht, wie schön das ist“, ergänzt ihr Mann André (48). Einrichtungen sind wählerisch: Nicole Kiesewetter nickt. „Es fehlen einfach Plätze für die Kurzzeitpflege. Nicht nur für Ältere. Überall.“ So sei es jedes Jahr ungewiss, ob es mit einem kurzen Urlaub, einer kleinen Erholungspause klappen werde. Die Hausfrau hat eine Liste mit Adressen von Einrichtungen, die in Frage kommen. Die meisten seien überlaufen, hätten zu wenig Personal oder seien für Jahre im Voraus ausgebucht. Am aussichtsreichsten sei derzeit die Unterbringung in Eimke bei Uelzen in der Lüneburger Heide. „Wir waren jetzt dort, um uns vorzustellen“, sagt Nicole Kiesewetter. „400 Kilometer hin und zurück.“ Doch bevor eine Einrichtung eine Zusage mache, sei auch ein Probewochenende vorgeschrieben. „Sie müssen ja wissen, ob unser Kind in die Gruppe passt.“ Und die Eltern müssten auch im Urlaub erreichbar sein. „Falls Tronje krank wird, müssen wir ihn abholen.“ Ihr Mann träume von einem Flug nach Albanien, dort lebe sein Bruder. „So etwas scheidet leider aus.“ Selbst bei einem für eine Woche in Dänemark gemieteten Feriendomizil trage die Familie das Risiko, zwei Tage unterwegs zu sein, um das Kind wieder abzuholen. Selten eine ruhige Minute: Theoretisch bestehe ein Anspruch auf acht Wochen Kurzzeitpflege. Dieser Zeitraum sei für sie aber unrealistisch, meint Nicole Kiesewetter. Auch der Kosten wegen. „Man kann für Kurzzeit-Pflege und Betreuung einmal im Jahr einen Zuschuss von 1612 Euro beantragen“, sagt sie. „Die Kosten liegen aber bei 160 Euro pro Tag. Unterbringung sowie Versicherungen gehen extra.“ So reiche das Geld nicht. Torge gehe für den Urlaub meist in ein Ferienlager, das speziell für Geschwister von behinderten Kindern geschaffen sei. Das sei relativ unproblematisch. Tronje aber habe den Drang, wegzulaufen. „Das gehört zu den Symptomen seiner Krankheit.“ Dies mache die Unterbringung zusätzlich schwierig. Selbst an ein verlängertes Wochenende sei nicht zu denken. Seit Torges Geburt vor elf Jahren habe sie nicht mehr ihrem Beruf nachgehen können, erzählt die gelernte Industriekauffrau. Wieso gibt es so wenig Plätze? Dass es so wenig Plätze gibt, könne damit zusammenhängen, dass es sich für die Einrichtungen nicht rechnet, diese ganzjährig vorzuhalten, erklärt Brigitte Teigeler von der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein. „Die Nachfrage schwankt saisonal.“ Und: „Vorhaltekosten werden nicht refinanziert – nur die tatsächliche Inanspruchnahme.“ Auch der Personalmangel könne eine Rolle spielen, glaubt Stefan Schwark vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest. Die Vorwerker Diakonie in Lübeck bestätigt, dass es problematisch sein könne, Kinder unterzubringen. Sie bietet 18 Plätze für behinderte Kinder in einer Wohngruppe, zudem eine Ferienbetreuung, an der pro Jahr 36 Kinder teilnehmen können. Der Betreuungsbedarf der Kinder sei jedoch sehr unterschiedlich, erklärt Unternehmenssprecher Hendrik Mulert. Vor allem bei der Wohngruppe könne es aufgrund besonderer medizinischer Bedürfnisse sein, „dass unsere Kapazitäten für diese Betreuung nicht ausreichen und wir entsprechend Anfragen absagen müssen.“ Ministerium fordert Hilfe vom Bund: Laut Kieler Gesundheitsministerium gibt es in Schleswig-Holstein aktuell 1658 Kurzzeitpflegeplätze. Nur elf davon sind laut Livschütz von den Pflegekassen speziell für Kinder und Jugendliche zugelassen. Sie befinden sich in Schenefeld (Kreis Steinburg) und Geesthacht (Kreis Herzogtum Lauenburg). Darüber hinaus gebe es örtliche Angebote in Wohngemeinschaften, die jeder googeln könne. „Inwieweit dort freie Plätze vorhanden sind, ist vor Ort zu erfragen.“ Im übrigen fordere das Gesundheitsministerium vom Bund bessere Rahmenbedingungen. Nicole Kiesewetter nützt das bislang wenig. Selten hat sie eine ruhige Minute. Während sie ihre Situation schildert, hört sie ein Rumpeln im Stockwerk über ihr, wo die Kinder spielen und hält erschrocken inne. „Da denkt man gleich, es ist wieder was und möchte am liebsten hinlaufen.“ Torge kommt herunter und zeigt ihr einen Test, außerdem hat er sein Hausaufgabenheft in der Hand. Tronje ist ihm gefolgt und spielt nun gleichzeitig mit seinem „Diensthandy“. „Guck mal, Mama, ich mach Fotos.“ Die Mutter schüttelt den Kopf. Manchmal sehne sie sich einfach nur nach einem ruhigen Wochenende. „Das gibt es bei uns nicht.“ Lesen Sie auch: Kurzzeitpflege in Schleswig-Holstein: Jetzt soll das Land neue Plätze zahlen Kommentar: Kurzzeitpflege – Das sind die echten Probleme Kurzzeitpflege: Jamaika will in Berlin Druck machen Von Marcus Stöcklin

Kind mit Behinderung - Keine Chance auf Kurzzeit-Pflege: Das sind die Folgen für diese Familie aus Eutin