Kinder und Corona: Übergewicht, Angst, Traurigkeit sind mögliche Auswirkungen

„Was ist Dein allergrößter Wunsch zu Weihnachten?“, fragt eine Mutter aus Lübeck kürzlich ihren acht Jahre alten Sohn. Die große Lego-Polizeistation? Das coole schwarze Fahrrad aus dem Laden um die Ecke? „Dass Corona endlich vorbei ist“, lautet die überraschende Antwort des Grundschülers – Kinder haben es in der Corona-Krise besonders schwer. „Die Situation von Kindern ist während der gesamten Krise fatal und sehr belastend“, sagt Dr. Sebastian Groth, Kinderarzt und Sprecher des schleswig-holsteinischen Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte. „Allein, dass es im Alltag kaum mehr ein anderes Thema gibt als die Angst vor Corona in der Gesellschaft. Corona stellt eine Allgegenwart her, kein Kind kann dem entrinnen.“ Kinderarzt: „Situation für Kinder ist fatal und sehr belastend“: Und da spreche Groth noch nicht einmal von dem harten Lockdown, den die Landesregierung jüngst beschlossen hat und der auch starke Auswirkungen auf das Leben von Kindern haben wird – das bisherige Pandemie-Geschehen wirke sich schon deutlich auf die Kinderseele aus. „Übergewicht, Bewegungsmangel, längere Bildschirmzeiten: Das sind alles Aspekte, die verstärkt in Sprechstunden auftreten“, sagt Groth. „Zudem kommen Ängste und psychische Belastungen dazu – das ist viel öfter Thema als im vergangenen Jahr.“ Zwar habe Groth keine belastbaren Zahlen, sondern berichtet aus seiner alltäglichen Praxis – Kinderärzte in Niedersachsen haben allerdings ähnliche Erfahrungen gemacht. „Untersuchungen müssen in den nächsten Jahren erfolgen. An Corona verstorbene Patienten lassen sich Zählen, Infiziertenzahlen ebenfalls, freie Intensivbetten berechnen“, sagt Groth. „Die Langfristfolgen für die Kinder und auch Jugendlichen sind kaum abschätzbar – wir halten sie aber alle für gravierend.“ Recht auf Bildung: Kitaverband fordert Öffnungsstrategie für Kitas: Der deutsche Kitaverband sieht es ähnlich. „Die Phase der Kindheit ist kurz und wichtig. Die Kinder haben ein Recht auf den für sie so wertvollen Kontakt zu anderen Kindern“, sagt Verbandsvorsitzende Waltraud Weegmann. „Sie haben ein Recht auf Bildung, auf Entfaltung und auf Bewegungsfreiheit über ihre Wohnung hinaus – unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern. Kinder sind systemrelevant.“ Laut Weegmann könne man nun nicht wieder auf das System der Notbetreuung nur für Kinder von Eltern aus systemrelevanten Berufsgruppen zurückfallen. Dass Kitas geschlossen werden, sei zwar eine leicht umzusetzende Maßnahme, die aber einen vergleichsweise geringen Effekt auf das Infektionsgeschehen habe – dafür habe sie umso stärkere soziale, bildungsökonomische und wirtschaftliche Folgen für die Kinder und Eltern. „Die Träger sollten deshalb vor Ort entscheiden können, was möglich ist und was nicht. Die Ansteckungsgefahr geht in erster Linie von den Erwachsenen aus. Eine Reihe von Studien bestätigen die geringe Infektiosität der Kitakinder “, sagt Weegmann. Studie aus Hamburg: Kinder leiden stark unter Corona-Pandemie: Studien zur psychischen Belastung von Kindern während der Corona-Pandemie sind hingegen rar – dafür ist es noch zu früh. Erste Erkenntnisse dazu gibt es aus Hamburg. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) befragten im Mai und Juni über 1000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren und mehr als 1500 Eltern per Online-Fragebogen, das Ergebnis: 71 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Corona-Pandemie belastet. Zwei Drittel von ihnen geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an. Lesen Sie auch FFP2-Masken für Risikogruppen in Apotheken: Wer bekommt die Masken? Lockdown in Schleswig-Holstein: Diese Corona-Regeln gelten bis zum 10. Januar Pflegeberufekammer: Tests in Pflegeheimen schwer umzusetzen Vor Lockdown: Kunden stürmen Oldesloer Innenstadt für Weihnachtseinkauf „Die meisten Kinder und Jugendlichen fühlen sich belastet, machen sich vermehrt Sorgen, achten weniger auf ihre Gesundheit und beklagen häufiger Streit in der Familie“, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Studie. „Bei jedem zweiten Kind hat das Verhältnis zu seinen Freunden durch den mangelnden physischen Kontakt gelitten.“ Vor Corona sei dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall gewesen. „Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet. Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht“, sagt Prof. Ravens-Sieberer. Schnitzeljagd und sportliche Betätigung: So können Eltern ihre Kinder in der Krise unterstützen: Auch wenn Eltern natürlich schon genug Belastungen während der Corona-Pandemie ausgesetzt sind, gibt es einige Dinge, die sie tun können, um ihre Kinder in der Corona-Krise zu unterstützen. „Die Eltern machen und tun im Prinzip ja schon alles! Sie begleiten die Kinder intensiv beim Homeschooling und übernehmen das Erklären von Wissensinhalten“, sagt Dr. Sebastian Groth. Laut Groth sollten Eltern weiterhin das Kontaktverhalten ihrer Kinder mitplanen, damit Kontakte möglich sind, aber in der Zahl nicht überhand nehmen. „Sie sollten ihre Kinder mental stützen, indem sie ihnen zeigen, dass das Leben nicht nur aus Corona besteht und auch die meisten Menschen nicht im Leben bedroht sind“, sagt Groth. „Sportliche Betätigung gemeinsam mit den Kindern zu unternehmen, gerne draußen, ist auch sehr wichtig – etwa Wanderungen, Spaziergänge, Schnitzeljagden, Geo-Caching-Touren oder Ähnliches.“ Von Hannes Lintschnig