Langsame Corona-Hilfen: Verärgerung in SH wird immer größer

Der Frust über zu langsam fließende Corona-Wirtschaftshilfen ist eh schon groß, nun wurden die Abschlagszahlungen auch noch wegen Betrugsverdachts gestoppt. Das sei vor allem als Vorsichtsmaßnahme zu verstehen, „in Kürze“ sollten sie wieder aufgenommen werden, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Es bestehe „in einigen Fällen der Verdacht, dass unrechtmäßig staatliche Hilfsgelder erschlichen wurden“. Die Bearbeitung und Auszahlung der Überbrückungshilfe II sowie der November- und Dezemberhilfen im regulären Verfahren durch Bewilligungsstellen der Länder erfolge weiter. Kieler Experte Felbermayr spricht von Staatsversagen: Die Wirtschaftshilfen fließen generell viel zu langsam, und die Lasten der Krise sind sehr ungleich verteilt, kritisiert Professor Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Man muss hier wirklich von Staatsversagen oder Verwaltungsversagen sprechen. Es ist ja nicht so, dass wir erst seit ein paar Tagen im Lockdown sind. Eigentlich müsste man denken, dass die Verwaltung nach einem Jahr Routine hat. Das scheint nicht der Fall zu sein“, sagte er dem NDR. Die Verantwortung dafür liege beim Bund, Felbermayr sieht aber dennoch auch die Länder in der Pflicht. „Man kann zum Beispiel über Bundesratsinitiativen politischen Druck ausüben, insofern muss man die Länder auch in die Verantwortung nehmen“, sagt der Wirtschaftsexperte. Buchholz: „Der Druck der Länder hat bisher wenig gebracht“: Genau das sei passiert, entgegnet Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP): „Wir haben Druck gemacht, alle 16 Bundesländer haben das getan.“ Allerdings habe das bei den November- und Dezemberhilfen und auch bei der Überbrückungshilfe „wenig gebracht“. Die Überbrückungshilfe III sei erst seit Mitte Februar im Antragsverfahren. Der vorübergehende Stopp der Ausgleichszahlungen hat Buchholz überrascht. „Ich hätte mir eine sehr viel fokussiertere Antwort des Bundesministeriums gewünscht“, sagte der FDP-Politiker. Bisher keine Hinweise auf Betrugsfälle in Schleswig-Holstein: Die Menschen seien dringend auf die Abschlagszahlungen angewiesen. Buchholz betonte jedoch, dass in Schleswig-Holstein 97,5 Prozent der Antragssteller Abschlagszahlungen erhalten hätten: „Daher ist das Problem bei uns gering.“ Er habe bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass es auch in Schleswig-Holstein Betrugsversuche gegeben hat. Kieler Minister findet Antragsstellung unnötig kompliziert: Felbermayrs Vorwurf des Staatsversagens findet Buchholz „etwas zu hoch ins Regal gegriffen“. Der Kieler Minister ist allerdings auch der Meinung, dass das Verfahren mit bis zu 70-seitigen Formularen „teilweise wahnsinnig und unnötig kompliziert ist“. Der Missbrauch von Hilfen hätte seiner Meinung nach möglicherweise verhindert werden können, „wenn die Finanzverwaltung mit der Abwicklung der Hilfen beauftragt worden wäre“. Denn dort lägen zum Beispiel die Identitäten, die Steuer-IDs und Steuernummern vor und hätten nicht aufwendig abgefragt werden müssen. IHK zu Lübeck: Jede weitere Verzögerung ist fatal: Auch die IHK zu Lübeck kritisiert die schleppende Auszahlung der Corona-Hilfen, „aber angesichts der Tatsache, dass zig Milliarden in die deutsche Wirtschaft gepumpt werden, kann man nicht von einem Staatsversagen sprechen“, betont IHK-Sprecher Can Özren. Es sei eine Frage der Organisation, und da gebe es durchaus Verbesserungsbedarf. Viele Unternehmen warten sehr lange auf die Hilfen, andere fallen ganz durchs Raster. Daher fordere die IHK schon seit langem, dass die Auszahlung beschleunigt werden und „intelligentere Methoden der Verteilung“ gefunden werden müssen. Die Hilfen seien zu bürokratisch und die Regelwerke in Teilen zu undurchsichtig, bemängelt Lars Schöning, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Lübeck. „Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ein aus unserer Sicht sehr zielführendes Konzept eingebracht. Dieses sieht vor, die Hilfe an den Betriebserträgen auszurichten, nicht an den Umsätzen der Vergleichsmonate“, erklärt Schöning. Fakt sei, dass den Unternehmen langsam aber sicher die Luft ausgehe. Jede weitere Verzögerung der Auszahlung sei daher fatal. „Wir hoffen daher inständig, dass die Abschlagszahlungen möglichst schnell wieder aufgenommen werden“, sagt Özren. „Schlag ins Gesicht aller Ehrlichen“: Laut Stefan Kooths, Konjunkturchef beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel, ist das von seinem Institut entwickelte Konzept nicht nur gerechter, sondern auch weniger missbrauchsanfällig, „da nur die Gewinne geltend gemacht werden können, die bereits beim Finanzamt angegeben wurden“. Der Stopp der Abschlagszahlungen dokumentiere die Praxisferne des Verfahrens und sei ein „Schlag ins Gesicht aller Ehrlichen“. Die Wartezeit werde nochmals verlängert und könnte zur Folge haben, „dass noch mehr Unternehmen die Corona-Krise nicht überleben“. Dehoga: „Stopp der Zahlungen ist absolut nicht nachvollziehbar“: „Der Stopp der Auszahlungen kommt zur Unzeit“, kritisiert auch Stefan Scholtis, Hauptgeschäftsführer vom Dehoga Schleswig-Holstein. Die Maßnahme des Bundeswirtschaftsministeriums sei „auch aus rechtsstaatlichen Gründen absolut nicht nachvollziehbar, da damit alle Betriebe bestraft werden, die sich völlig korrekt verhalten haben“. Handwerkskammer hofft auf schnelle Aufhebung des Zahlungsstopps: „Die zügige Auszahlung finanzieller Hilfen ist für betroffene Unternehmen von hoher Dringlichkeit“, betont die Handwerkskammer Lübeck. Da der Bund aber bereits angekündigt habe, dass die Hilfen in Kürze wieder zur Verfügung stehen, geht die Handwerkskammer davon aus, „dass die Abschlagszahlungen schnell wieder aufgenommen werden“, sagte Sprecherin Anja Schomakers. Von Grit Petersen