Lübeck: Stadtrundgänge auf den Spuren von Stadtkritikerin Jane Jacobs

Unterschiedliche Menschen zusammenbringen, Geschichten über Nachbarschaften sichtbar machen und eine offene Diskussion über Stadt, Gesellschaft und Gemeinschaft fördern. Das kann man bei den Jane's Walks erleben. Acht verschiedene Ziele können Lübeck-Fans bei ihren Spaziergängen durch die Altstadt aufsuchen und dabei von der Fleischhauer- und Hüxstraße über die Obertrave bis fast ans Hansemuseum spazieren und interessante Einblicke in das Leben der Menschen der Stadt bekommen. War die Aktion eigentlich als geführte Aktion im Mai geplant, hat Corona daraus jeweils individuelle Spaziergänge gemacht. Mit Hilfe eines auf der Seite des Architekturforum Lübeck herunter ladbaren Flyers kann man nun die Stadt entdecken und die Geschichten der Bewohner nachlesen. Die ungewöhnlichen Stadtführungen gehen zurück auf die Journalistin, Autorin und Stadtkritikerin Jane Jacobs (1916-2006). Sie wurden 2006 in ihrem Andenken das erste Mal in Toronto durchgeführt. Mittlerweile nehmen Zehntausende Menschen in 250 Städten in 36 Länder auf allen Kontinenten am ersten Maiwochenende daran teil. Für Lübeck hat das Architekturforum Lübeck vier Spaziergänge ausgearbeitet. Interessenten finden auf der Seite www.architekturforum-luebeck.com Rundgänge durch die Innenstadt, St. Jürgen, St. Lorenz Nord und das Quartier rund um den Stadtpark. Feinkostmeile Fleischhauerstraße: Eine der Gastgeberinnen der Tour ist Nicola Petereit. Sie ist ein großer Fan der Fleischhauerstraße. „Hier ändert sich gerade so viel“, schwärmt die Architektin, die in der geschäftigen Rippenstraße lebt und arbeitet. „Bei der ersten Überlegung, was ich für den Jane's Walk zeigen wollte, ging die Tour von der Fleischhauerstraße bis zur Terrasse des Hansemuseums“, sagt sie. Doch das war zu lang. Nur 300 Wörter durfte der Text über ihre Station lang sein, so hatten es Anika Slawski und Inga Mueller-Haagen vom Architekturforum Lübeck festgelegt. Also kürzte Petereit kräftig und beschränkte sich auf die Besonderheiten der Fleischhauerstraße. „Es ist hier fast wie eine Feinkostmeile“, sagt sie über die neu entstandene Szene mit kleiner Bars, Eisdielen und Restaurants. Birgit Böhnke lebt und arbeitet genau eine Straße weiter, in der Hüxstraße. Sie hat in ihrer Beschreibung über die Klangkulisse ihrer Nachbarschaft geschrieben, über das Lachen, das aus der Cafébar herüberweht, der Musik aus den Häusern und dem Nachbarn, dem dies alles nicht gefiel. „Ich wollte das beschreiben, was uns täglich umgibt“, sagt die Buchhändlerin, die über dem Laden wohnt. Museum oder Wohnhaus: Doch auch die andere Seite der Stadt lädt zum Entdecken ein. Jens Lammel lebt schon fast sein ganzes Leben an der Obertrave. Das große gelbe Haus in dem er wohnt und in dem er seine Kindheit verbracht hat, hat schon so manches Hochwasser gesehen, schreibt er über bei seine Station. Wenn er mit seiner Frau vor dem Haus sitzt, werden sie oft angesprochen. „Wir werden meist gefragt, ob das Haus ein Museum ist oder ob hier Menschen leben“, sagt er schmunzelnd. Lothar Többen lebt ein paar Querstraßen weiter, in einem Altstadthaus im Schatten der Petrikirche. Normalerweise kommen hier oft Touristengruppen vorbei, beschreibt er seine Straße. Doch durch die Baustelle des Theaterfigurenmuseums ist die Straße gerade eine Sackgasse. „Das macht uns fast einsam.“ Die Idee der Jane’s Walks findet er gut. Als Architekt war ihm der Name Jane Jacobs bekannt. „So lernt man, was Orte und Lebensweisen der Menschen dort ausmachen“, sagt Többen. Von Majka Gerke