Lübecker Intensivmedizinerin über Corona: "Wir sind gut vorbereitet"

Die Zahl der Corona-Infizierten steigt rasant und mit ihr die Angst, dass auch deutsche Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen könnten. Professorin Carla Nau (52), Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des UKSH, Campus Lübeck, ist jedoch zuversichtlich, dass dieses Schreckensszenario in der Hansestadt nicht eintreten wird. UKSH hat Kapazitäten erweitert und Personal intensiv geschult: „Wir haben die vergangenen Monate genutzt, um unser Personal intensiv zu schulen und Kapazitäten zu erweitern“, erklärt die Anästhesistin und Intensivmedizinerin. Mit dem regulären Personal können am UKSH Lübeck laut Nau 120 Patienten intensivmedizinisch betreut werden. „Sollte diese Bettenzahl irgendwann nicht mehr ausreichen, können wir die Kapazität in 14er-Schritten bis auf 183 erhöhen“, sagt Nau. Für diesen Fall wurden sogenannte Schattendienstpläne geschrieben. Das bedeutet, dass Personal aus anderen Bereichen abgezogen wird, das bereits umfassend für einen Einsatz auf der Intensivstation geschult wurde. „Die Versorgung für Menschen mit anderen schweren Erkrankungen wird trotzdem immer sichergestellt sein, auch wenn der Betrieb einzelner Bereiche dann reduziert werden muss“, betont Nau. Medizintechnisch seien sogar 203 Intensivbetten möglich, doch für diese 20 zusätzlichen Betten gebe es derzeit nicht das nötige Personal. Arbeit auf der Intensivstation ist physisch und psychisch sehr fordernd: Aktuell werden am UKSH Lübeck etwa 90 Patienten auf der Intensivstation behandelt, davon derzeit drei Covid-19-Infizierte. Nau lobt die hohe Bereitschaft der Klinik-Mitarbeiter, sich für einen Einsatz auf der Intensivstation fortbilden zu lassen. „Die Arbeit auf einer Intensivstation ist sehr fordernd, sowohl physisch als auch psychisch“, betont die 51-Jährige. Einige Covid-19-Patienten mit einem schweren Verlauf müssen beamtet werden. Diese Patienten sind dann nicht bei Bewusstsein. Sie müssen lückenlos überwacht und beispielsweise auch regelmäßig gelagert werden, zum Teil in Bauchlage. Das sei nicht nur körperlich anstrengend, sondern erfordere auch besondere Sorgfalt, weil die Patienten an lebenserhaltende Medizingeräte angeschlossen sind und dem Körper kein zusätzlicher Schaden zugefügt werden darf. Nau: „Nicht immer gewinnen wir den Kampf“: Auf der Intensivstation kümmert sich eine Pflegekraft um ein bis zwei Patienten, der Kontakt ist also sehr eng. Wer dort arbeitet, braucht laut Nau „viel Empathie und eine hohe Belastbarkeit“. Die Pflegekräfte müssen im Schichtdienst auch unter Stress präzise arbeiten, flexibel und psychisch sehr stabil sein, erklärt Nau. „Denn nicht immer gewinnen wir den Kampf um das Leben des Patienten“, sagt die Intensivmedizinerin. Das sei auch für erfahrene Mediziner und Pflegekräfte mitunter schwer auszuhalten. Marathon statt Kurzstreckenlauf: Auch wenn niemand vorhersagen könne, wie sich die Lage weiter entwickelt, sei eins seit langem klar: „Die Bewältigung der Pandemie ist kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon“, betont Nau. Die Ärztin ist daher froh, „dass wir viel Zeit für eine bestmögliche Vorbereitung hatten, denn diese beinhaltet eine riesige logistische Leistung“. Der Verlauf der Pandemie habe eine neue Dynamik entwickelt und diese werde sich erst zeitversetzt auf den Intensivstationen bemerkbar machen. Mediziner kennen die Erkrankung inzwischen besser: Verschärft werde die Situation dadurch, dass Covid-19-Patienten, die beatmet werden müssen, vergleichsweise lange auf die Beatmungsmaschine angewiesen sind, nämlich durchschnittlich 13 bis 15 Tage. Auch Patienten, die nicht mehr beatmet werden müssen, hätten noch einen langen Weg vor sich. „Der Patient muss das Atmen wieder trainieren wie einen Muskel, der lange nicht aktiv war.“ Das dauere erfahrungsgemäß doppelt so lange wie die Beatmung selbst. „Die Intensivstationen werden sich für einen längeren Zeitraum immer weiter füllen“, prognostiziert Nau. Sie bleibt dennoch optimistisch: „Wir sind sehr gut vorbereitet und kennen die Erkrankung jetzt besser.“ Übersicht für Schleswig-Holstein: Wie stark verbreitet sich die Corona-Erkrankung? Übersicht für Deutschland: Die Gesamtentwicklung, alle Hotspots und Reisewarnungen Diese beiden Artikel sind kostenlos für alle lesbar, die nachfolgenden regionalen Analysen sind LN-Plus-Lesern vorbehalten. Interaktive Karte: Wo sind die Corona-Hotspots in Schleswig-Holstein? Analyse: Gibt es mehr Corona-Infektionen, weil auch mehr getestet wird? Mehr aus Ihrer Region: Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Lübeck Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Ostholstein Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Segeberg Zahlen und Fakten zum Coronavirus im Kreis Herzogtum Lauenburg Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Stormarn „Niemand muss den Kampf alleine durchstehen“: Corona-Patienten werden laut Nau dann auf die Intensivstation verlegt, „wenn ihre Atmung unterstützt oder sie gar beatmet werden müssen“. Atemnot sei für den Betroffenen immer sehr bedrohlich und gehe oft mit Todesangst einher. „Es gibt aber Medikamente, die diese Panik lindern“, erklärt Nau. Sie verspricht: „Niemand muss diesen Kampf ohne den Beistand seiner Liebsten führen. Wir finden trotz der notwendigen strengen Besuchs- und Hygieneregeln Mittel und Wege, die Kontakt ermöglichen.“ Keine Engpässe am UKSH: Mut mache ihr, dass sich nur zu Beginn der Pandemie „ein paar wenige“ UKSH-Mitarbeiter bei der Arbeit infiziert hätten und das nun seither nicht mehr vorgekommen sei: „Unsere Schutzmechanismen greifen.“ Nau betont: „Das UKSH ist sicher – Menschen mit schweren Erkrankungen sollten nicht aus Angst vor Ansteckung zögern, sich vorzustellen.“ Schutzausrüstung sei in ausreichendem Maß vorhanden, relevante Engpässe befürchtet Nau nicht. Die habe es bisher zu keinem Zeitpunkt am UKSH gegeben, dennoch habe man Ersatzstrategien bei vielen Materialien entwickelt. „Allein der Gedanke, dass beispielsweise Beatmungsschläuche knapp werden könnten, war für deutsche Mediziner vor der Corona-Pandemie völlig fremd“. Appell: Diese Herausforderung ist nur gemeinsam zu meistern: Die 52-Jährige hat Verständnis dafür, dass für viele Menschen die Pandemie immer noch vergleichsweise abstrakt ist und die Auswirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen sehr belastend sind. Es müsse aber jedem bewusst sein, dass „auch Jugend nicht grundsätzlich vor einem schweren Verlauf schützt und dass wir bisher wenig Erkenntnisse über die Spätfolgen einer Corona-Infektion haben“. Sie appelliert daher eindringlich an alle, die Regeln einzuhalten: „Das Gebot der Stunde ist, gemeinschaftlich die Maßnahmen mitzutragen. Im Moment ist es nicht nur die Aufgabe von Medizinern, Leben zu schützen und zu retten, sondern es ist die Aufgabe von jedem einzelnen.“ Von Grit Petersen