Lübecker Patientenbeauftragte: Impfstoffe haben den Goldstandard der Zulassung

Claudia Schmidtke war als Herzchirurgin am UKSH in Lübeck und ist seit 2014 im Herzzentrum Bad Segeberg tätig. Sie lebt in Lübeck. Frau Professor Schmidtke, Sie haben am 6. Januar 76 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Campus Lübeck des UKSH gegen Corona geimpft. War das eine PR-Aktion oder warum haben Sie zur Spritze gegriffen? Mir war es in dieser kritischen Anfangsphase wichtig, für das Impfen des Gesundheitspersonals zu werben. In einigen Teilen des Landes zeigen Umfragen diesbezüglich ja leider eine gewisse Zurückhaltung. Im Universitätsklinikum in Lübeck sieht das glücklicherweise anders aus, hier sind viele zur Impfung bereit. Ich konnte aus den persönlichen Gesprächen mit den Impflingen erfahren, wie reflektiert die Menschen mit dem Thema umgehen. Darüber hinaus konnte ich gleich am nächsten Tag dem Gesundheitsausschuss mit dem anwesenden Gesundheitsminister über die guten Abläufe vor Ort berichten. Und natürlich ist es für mich selbstverständlich, gerade auch in Krisenzeiten vor Ort mit anzupacken. Das habe ich an meiner alten langjährigen Wirkungsstätte ehrenamtlich getan. Es hilft, wenn Ärztinnen in der Politik die Praxis beobachten. Es ist also keine Eintagsfliege. Haben Sie sich selbst impfen lassen? Nein, leider nicht. Ich bin noch nicht an der Reihe. Aber wenn es soweit ist, werde ich mich natürlich impfen lassen. Wie sehen Sie die Impfsituation in Schleswig-Holstein? Übersteigt der Wunsch vieler Menschen, sich rasch impfen zu lassen, die tatsächliche Bereitstellung des Impfstoffs? Die Diskrepanz zwischen Impfangebot und Nachfrage in der Anfangsphase ist nicht nur in ganz Deutschland, sondern weltweit Realität – und so erwartet worden. Deshalb mussten wir ja die Reihenfolge priorisieren. Entscheidend ist, dass wir insgesamt ausreichend Impfstoff zur Verfügung haben werden. Schon die Bestellungen der beiden bisher zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna reichen dafür aus. Dazu werden möglicherweise bald AstraZeneca und Johnson&Johnson kommen. Dadurch, dass diese logistisch einfacher zu handhaben sind, werden die Hausärzte sie in ihre bewährten Impfstrukturen in den Praxen übernehmen können. Die Impfgeschwindigkeit in Deutschland liegt in den Top 20 der Länder der Welt. Auf der anderen Seite sage ich auch deutlich: Wie die Terminvergabe in vielen Bundesländern abläuft, ist suboptimal und hat zu vielen unnötigen Enttäuschungen geführt. Es ist gut, dass hier gerade in Schleswig-Holstein entscheidend nachgesteuert wurde. Am UKSH wird eine Impfquote von 80 bis 90 Prozent bei den Mitarbeitern erwartet. Dabei könnte man ansonsten fast den Eindruck haben, dass ausgerechnet in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen die Skepsis in Bezug auf das Impfen groß ist. Stimmt das? Ich glaube, dass die Impfbereitschaft in Deutschland grundsätzlich zu gering ist. Das haben wir auch den oft unwissenschaftlichen Debatten der letzten Jahre zu verdanken, bei dem zu viel unwidersprochen geblieben ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe großes Verständnis für kritische Zurückhaltung bei jeder Therapie, natürlich gilt das auch bei einem mRNA-Impfstoff, der zwar so noch nie zur Anwendung kam, allerdings auch nicht spontan erfunden wurde. Es gibt aber auch Vorbehalte wegen des Wirkungsmechanismus der neuen Vakzine? Das Konzept des Wirkungsmechanismus wurde bereits vor dreißig Jahren beschrieben und seither weiterentwickelt. Eines ist klar festzuhalten: Die uns in Deutschland zur Verfügung stehenden Impfstoffe haben den Goldstandard der Zulassung durchlaufen und sind mittlerweile bereits millionenfach verimpft worden ohne dass schwerwiegende Nebenwirkungen aufgetreten sind. Das ist ein sehr sicheres Verfahren. Und eines ist die Impfung zweifelsohne: Besser als die Krankheit. In anderen Ländern lassen sich Spitzenpolitiker, etwa Joe Biden, medienwirksam gegen SARS-CoV-2 impfen. Warum geschieht das in Deutschland nicht? Ich wünsche mir auch, dass mehr Persönlichkeiten gezeigt werden, die sich impfen lassen. Allerdings brauchen wir eine solche Form der Impfkampagne vor allem, wenn es darum geht, breite Bevölkerungsschichten für die Herbeiführung einer gesellschaftlichen Immunität zu erreichen. Lassen sich Kanzlerin, Bundespräsident und andere nicht vor laufenden Kameras impfen, weil das die Kritik provozieren könnte: „die da oben“ sind dran, aber wir müssen auf den Impfstoff warten? In der derzeitigen Phase der Impfmittelknappheit würden es sogar viele Politiker unanständig finden, sich mit dem knappen Impfstoff zunächst selbst zu versorgen. Die Frage stellt sich jedoch gar nicht, weil die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, der Leopoldina und des Ehtikrates die Grundlage für die Impfverordnung sind. Dort wird nur ein kleiner systemrelevanter Anteil der Politik in einer der Prioritätsklassen eingeordnet. Die Impfbereitschaft unter meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag ist grundsätzlich sehr groß. Welches sind die wichtigsten Fragen und Sorgen von Patienten, die im Zusammenhang mit Corona auf Ihrem Tisch als Patientenbeauftragte landen? Insbesondere in der Anfangsphase der Pandemie war es die Sorge, keine medizinische Behandlung zu erhalten. Anschließend erreichten mich Hilferufe aus den Kliniken, dass weniger Menschen die Notaufnahmen aufsuchen – sogar mit akuten Herzproblemen! Da war es wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass die Krankenhäuser doch weiterhin offen standen. Dafür machen wir schließlich die Maßnahmen: Die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems. Jetzt in der zweiten Phase machen mir vor allem Patienten mit überwundener Infektion sorgen. Viele – auch jüngere – Patienten kommen nicht wieder richtig fit, leiden zum Beispiel unter Schwäche, Atemnot. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern. Mit guter Forschung und adäquater Therapie. Auch inwiefern ein Zusammenhang mit dem chronischen Müdigkeits-/ Fatigue-Syndrom ME/CFS, das bereits vor der Pandemie eine sechsstellige Zahl von Betroffenen hatte, müssen wir erforschen. Wir haben wir hierzu bereits beim Haushaltsbeschluss einen Durchbruch bei der Finanzierung erreicht. Können Sie den Menschen Hoffnung machen, dass sie eventuell schon für den Oster- oder Pfingsturlaub – spätestens den Sommerurlaub – planen können? Glauben Sie mir: Nichts fällt mir schwerer, als immer noch sagen zu müssen, dass es zu früh für Voraussagen ist. Ganz sicher wird in diesem Jahr die Pandemiesituation mit fortschreitendem Impferfolg entschärft werden. Doch ist dafür Voraussetzung, wie viele sich impfen lassen und wann wie viel Impfstoff zur Verfügung steht – und nicht zuletzt, wie wir uns verhalten. Aber Sie fragen ja nach Hoffnung: Hoffnung habe ich auch, dass wir im Sommer viel Normalität zurückerlangen können. Von Reinhard Zweigler