Modellprojekt in SH: Apotheken sollen gegen Grippe impfen

In Schleswig-Holstein könnten damit bald mehr als 150 Apotheken die Grippeschutzimpfung anbieten, erklären AOK Nordwest und GEHE. Zur Modellregion gehören neben Lübeck auch die Städte Kiel, Flensburg, Schleswig, Rendsburg und Eckernförde und neben Ostholstein die Kreise Dithmarschen, Nordfriesland, Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde und Plön. Vorbereitungen laufen schon an: Die logistischen Vorbereitungen liefen bereits an. Dazu gehören die Beitrittserklärungen der Apotheken und die Qualifizierung der Apothekerinnen und Apotheker. GEHE bietet dazu über die eigene Akademie ein Schulungsangebot an. Die Schulungen sollen – abhängig von der Corona-Entwicklung – im Frühsommer beginnen. „Im ersten Durchlauf können bis zu 25 Apotheken gemeinsam geschult werden. Das Interesse ist groß, auch für die Regionen Lübeck und Ostholstein“, sagte AOK-Sprecher Jens Kuschel. Welche Apotheken genau mitmachen, lasse sich erst dann sagen. Ziel: Impfquote weiter steigern: „Mit dem Modellprojekt bieten wir als erste gesetzliche Krankenkasse in Schleswig-Holstein unseren Versicherten eine zusätzliche Möglichkeit, sich gegen die Virusgrippe Influenza impfen zu lassen“, sagt AOK-Vorstandsvorsitzender Tom Ackermann. „Wir freuen uns, dass die Impfungen künftig auch in vielen Apotheken möglich sind“, sagt der Vorsitzende der GEHE-Geschäftsführung, Andreas Thiede. Gemeinsames Ziel sei es, die Durchimpfquote der Bevölkerung in Schleswig-Holstein weiter zu steigern. Nach Angaben der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut seien nur 35 Prozent der Risikogruppe der über 60-Jährigen gegen Influenza geimpft. Das Projekt biete einen „echten Mehrwert“ für Patienten: sagt Aline Seifert, Vorsitzende der Geschäftsführung bei Alliance Healthcare Deutschland (AHD) und Mitglied der Geschäftsführung bei GEHE. Meinung unter Apothekern geteilt: Die Meinung in der Apothekerschaft über das Impfangebot sei allerdings „sehr geteilt“, sagt Frank Jaschkowski, der Geschäftsführer der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. Die gesetzliche Grundlage sei geschaffen worden, damit Apotheker auch impfen dürfen, aber die Kammer habe zunächst keine eigenen Projekte initiiert. „Wir stellen es ins eigene Ermessen jeder Apothekerin und jedes Apothekers, das zu machen. Wir haben als Kammer jedenfalls nichts dagegen“, sagt Jaschkowski. Lesen Sie auch Grippe: Impfen ist in Schleswig-Holstein bald wieder möglich Grippe-Impfung: Darum gibt es wochenlange Wartezeiten in SH Apothekerkammer schlägt Alarm: Zu wenig Grippe-Impfstoff in SH Hemmschwelle vor Impfungen sinkt: Was nicht übersehen werden sollte, sei, dass Patienten in Apotheken leichtere Zugang zu Impfungen hätten, weil ohne ein Arztgespräch die Hemmschwelle niedriger sei. „Wenn der Zugang zu Impfungen niedrigschwellig ist, steigt die Impfbereitschaft“, sagt Jaschkowski. Langfristig könne das zu einer etablierten Leistung von Apotheken werden. In anderen Ländern wie etwa der Schweiz und Großbritannien sei das Impfen schon gängige Praxis. Ärztekammer: Impfen ist eine ärztliche Aufgabe: „Impfen ist kein banaler Eingriff“, sagt dagegen Stephan Göhrmann von der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH). „Denn bei der Durchführung einer Impfung geht es um weitaus mehr als um die Injektion eines Impfstoffes. Für diesen medizinischen Eingriff am Menschen dürfen wichtige Aspekte – wie die Aufklärung, die Indikationsstellung oder Feststellung der Kontraindikation, aber auch das Überwachen des Patienten nach dem Impfen – nicht vergessen werden“, erklärt er. Impfen sei mit allen dazugehörigen Facetten eine ärztliche Aufgabe und stehe nicht zuletzt auch unter Arztvorbehalt. Gegen eine Impfung durch Apotheker spricht, dass diese keine Heilkunde ausüben dürfen. Kein personeller Engpass bei Ärzten: Die ÄKSH hält das Modellprojekt obendrein für unnötig. „In Schleswig-Holstein ist in der Regel jeder Arzt und jede Ärztin befähigt zu impfen. In der aktuellen Grippesaison konnten problemlos alle verfügbaren Impfdosen in den Praxen und weiteren medizinischen Einrichtungen verimpft werden“, sagt Göhrmann. Ein Engpass sei hier einzig und allein bei der Impfstoffmenge festzustellen gewesen. Personelle Kapazitätsmängel bestünden keine, auch nicht während der aktuellen Impfsituation gegen Covid-19. Denn für die Impfungen in den Impfzentren stünden Hunderte von freiwilligen Ärztinnen und Ärzten im Ruhestand bereit, die ihre aktiven Kolleginnen und Kollegen jederzeit unterstützen können. Verstärkte Aufklärung nötig: Der richtige Ansatz ist, die Impfquote zu steigern. „Damit die Bereitschaft, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, steigt, müssen die Menschen verstärkt aufgeklärt und von den Vorteilen der Grippeimpfung überzeugt werden. Hier sind wir alle, auch die Ärztinnen und Ärzte sowie die Apothekerinnen und Apotheker und die Krankenkassen, gleichermaßen gefragt“, erklärt der Sprecher der Ärztekammer. Neues Gesetz seit einem Jahr: Grippeschutzimpfungen auch in Apotheken durchzuführen, macht das zum 1. März 2020 in Kraft getretene Masernschutzgesetz möglich, das Bundesgesundheitsminister Jens Spahn initiiert hatte. Das Modellvorhaben läuft über einen Zeitraum von drei vollständigen Grippesaisons und wird nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards begleitet und ausgewertet. Von Christian Risch