SH: Familien haben die Nase voll vom Homeschooling

Karla freut sich: Seit Kurzem erlaubt eine Lehrerin ihren Neuntklässlern an der Lübecker Gemeinschaftsschule, gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten. „Wir müssen angeben, wer unser Partner war, dann dürfen wir auch gleiche Ergebnisse abgeben“, erzählt die 14-Jährige. Ihr geht es nicht darum, abzuschreiben: „Wir beschäftigen uns viel intensiver mit den Themen, weil wir auch mal diskutieren“, erzählt sie. Ansonsten gebe es leider wenig Austausch. „Ich vermisse das Zusammensein“, sagt das Mädchen. Verlängerung: Homeschooling als Belastungsprobe: Das Mädchen ist wie die meisten anderen Schüler in Schleswig-Holstein immer noch im Distanzunterricht. Laut der aktuellen Beschlüsse von Bund und Ländern können zumindest Grundschüler ab dem 22. Februar wieder die Schule besuchen. Jedoch nur in den Kreisen und Städten, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz deutlich unter 100 liegt. Für die Klassen ab Stufe fünf heißt es weiter: Homeschooling. Was anfangs manchem noch aufregend erschien, ist längst zur Belastungsprobe geworden. Statt Unterricht nur umfangreichere Hausaufgaben: In Karlas Klasse finden fast keine Videokonferenzen mehr statt. Das findet sie schade. „Da haben die Lehrer mehr erklärt, dazu Bilder und Dateien eingeblendet, Aufgaben konnten viel ausführlicher bearbeitet werden“, erzählt sie. Zwischendurch wurden Schüler dazu geschaltet für mündliche Aufgaben und konnten Fragen stellen, „wie in der Schule“. Karla wohnt mit Kaninchen, Zwerghamster, Meerschweinchen, Hund und ihrem Vater Rainer Mundt in Labenz. „Warum heißt das Homeschooling?“, fragt er. Es seien im Grunde umfangreiche Hausaufgaben, die Kinder erarbeiteten sich allein neue Themen. „Unterricht zu Hause, wie es der Name eigentlich sagt, findet nicht statt“, sagt der 58-Jährige. Vater vermisst „vernünftige technische Lösung“: Den Lehrern will er das nicht ankreiden. „Die sind selbst belastet, vor denen ziehe ich eher den Hut“, stellt der allein erziehende Vater klar. Er mache den Vorwurf der Politik. „Wie kann es sein, dass noch immer kein einheitliches und funktionierendes Unterrichtsprogramm da ist, dass drei, vier verschiedene Videoportale benutzt werden?“ Die Digitalisierung sei „verpennt worden“, das zeige sich jetzt in der Krise, sagt der Ingenieur. Laut Karla ist die Schul-Technik nicht nur unzuverlässig, sondern oft auch unübersichtlich. „Man findet die wichtigen Sachen nicht so leicht.“ Lesen Sie auch Öffnung von Schule und Kita: So gehen SH, MV, Hamburg und Niedersachsen vor Unterricht per Video: Lübecker Schulen bereiten sich auf zweiten Lockdown vor Lockdown-Verlängerung bis 7. März: Das gilt jetzt in SH für Schule, Friseur, Einzelhandel Es fehlt den Tagen an Struktur: „Meine Tochter ist zum Glück sehr selbstständig, ich muss sie kaum unterstützen“, erzählt Mundt. Aber Schüler seien nun mal keine Studenten, hätten das ganz selbstständige Lernen noch nicht gelernt, die Organisation und Disziplin. „Karlas Tage haben keinen festen Rhythmus. Sie kann ja jeden Tag ausschlafen“, sagt ihr Vater. Es sei schwierig, eine solche Struktur vorzugeben, vor allem wenn man arbeiten müsse. „Eltern sind nun mal keine Lehrer.“ Für ihn steht fest: „Kinder brauchen Schule.“ Schwer, sich noch selbst zu motivieren: Karla fällt es schwer, sich immer noch selbst zu motivieren. Tipps zum Lernen selbst hätten sie kaum bekommen. „Uns wurde nur geraten, die Sachen möglichst gleich zu erledigen“, erzählt die 14-Jährige. „Aber das hat auch nicht viel gebracht, weil es nicht immer so einfach umzusetzen ist.“ Anderthalb bis zwei Stunden pro Tag ist Karla mit Schule beschäftigt. Freundinnen von anderen Schulen berichteten anderes. „Zwei von ihnen haben viel zu tun, fast wie die normalen Stunden, und viele Konferenzen.“ „Ich komme mir wie ein Lehrer vor“: Auch bei Familie Callar aus Lübeck sorgt das Homeschooling für Frust. Vater Alis Betrieb ist wegen Corona geschlossen. „Das ist fast ein Glück, weil ich mir gerade wie ein Lehrer vorkomme“, sagt er. Sein Sohn ist elf Jahre alt und geht in die 6. Klasse eines Lübecker Gymnasiums. Drei bis vier Stunden widmet sich der Junge täglich seinen Aufgaben. Nicht nur die oft überlastete Lernplattform macht Schwierigkeiten. Mal öffneten sich Seiten nicht, mal funktioniere das Hochladen von Dateien nicht. „Dann schicke ich es zur Sicherheit noch mal per Mail.“ Sonst drohe leicht eine Sechs für nicht erbrachte Hausaufgaben. Fehlende technische Ausstattung, schlechtes Internet: Er weiß von anderen Familien, gerade mit Migrationshintergrund, dass sie noch viel mehr Probleme haben – mit Installationen oder bestimmten Dateiformaten, fehlender technischer Ausstattung und schlechtem Internet. „Das ist zusätzlicher Stress für alle“, sagt der 46-Jährige. Er sieht die elterliche Hilfe ohnehin kritisch: „Was bringt es, wenn die Kinder es dann in der Schule nicht allein können?“ Der Gymnasiast sitzt derweil in seinem Zimmer – Mathestunde. „Da hört er jetzt eine Stunde nur zu“, bedauert sein Vater. Feste Tage und Zeiten – Fehlanzeige: Er lobt die vielen engagierten Lehrer, bemängelt aber auch die vielen verschiedenen Methoden, Abgaberegeln und Anforderungen. „Wir sollen immer wieder neue, teils kostenpflichtige Apps benutzen, sowas muss doch besser abgestimmt sein.“ Feste Tage und Zeiten für die Fächer – bislang Fehlanzeige. „Die Kinder können sich auf nichts einstellen“, sagt er. Einmal sei eine Mail noch nach 21 Uhr gekommen – Betreff: Videokonferenz am nächsten Morgen um 7.45 Uhr. Lehrer können nicht mehr sofort helfen: Auch für Liam aus Steinrade sind die technischen Probleme die größte Herausforderung. „Zum Beispiel wenn ich etwas nicht mitbekomme, weil ich nicht ins System komme oder Aufgaben in einen falschen Ordner packte“, erzählt der 11-Jährige. Außerdem könnten die Lehrer nicht sofort helfen und Fragen beantworten. Er hat ungefähr ein mal pro Tag eine Videokonferenz. „Wir müssen zumindest kurz unsere Kamera einschalten, damit die Lehrer sehen, dass wir da sind“, berichtet der Junge, der das Gymnasium in Lübeck besucht. „Ich glaube, manche benutzen die technischen Probleme auch als Ausrede.“ Es sei sogar schon vorgekommen, dass Mitschüler die Links weitergegeben hätten, und dann sei minutenlang laute Musik zu hören gewesen, ehe man mit dem Unterricht habe beginnen können. Anfangs seien die Videokonferenzen nicht so wichtig gewesen. Da habe das Zuhausebleiben noch Spaß gemacht, Aufgaben gab es kaum. „Aber inzwischen treffen wir ja sonst fast keinen mehr“, sagt Liam. Seiner Mutter Magdalena Kempcke tut es leid, ihre Kinder so isoliert zu erleben. „Wir lernen nicht mal die Hälfte“: Tochter Sophia ist jetzt in der gymnasialen Oberstufe. Neue Klasse, neue Lehrer. „Wir kennen uns gar nicht, es gibt also auch noch keinen Klassenzusammenhalt“, erzählt die 16-Jährige. Sie bedauere auch deshalb, dass es so wenig Videokonferenzen gebe. Ihr Fazit: „Wir lernen nicht mal die Hälfte von dem, was wir in der Schule lernen würden.“ Sie hat die meisten Fächer nur einmal pro Woche, bekommt meist normale Hausaufgaben, in manchen Fächern gar keine Aufgaben. Nach zwei, drei Stunden ist ihr Schultag beendet. „Wir kommen kaum voran.“ Am Anfang habe auch sie die schulfreie Zeit genossen. „Inzwischen ist mein Zimmer dauerhaft aufgeräumt. Es ist nur noch langweilig“, sagt sie. Dass dieser Zustand durch den verlängerten Lockdown nun noch andauern wird, freue niemanden in ihrer Klasse. Von Nina Gottschalk