SH: Soll die Corona-Impfpflicht für Pflegekräfte kommen?

Eine Corona-Impfpflicht für die breite Gesellschaft hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im November ausgeschlossen – und sein Wort darauf gegeben. Nun will der bayerische Ministerpräsident Markus Söder über die Impfpflicht für eine spezielle gesellschaftliche Gruppe diskutieren: die Pflegekräfte. Grund dafür sei die geringe Impfbereitschaft des Pflegepersonals in Alten- und Pflegeheimen. Im Norden stößt sein Vorschlag größtenteils auf Ablehnung. Garg hält Diskussion über Impfpflicht für Pflegekräfte für „absurd“: Etwa beim Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP). „Ich muss den Menschen erklären, dass derzeit nur für eine minimale Anzahl impfberechtigter Personen überhaupt Impfstoff zur Verfügung steht“, sagt Garg. Vor diesem Hintergrund zum jetzigen Zeitpunkt über eine Impfpflicht zu diskutieren, sei „absurd“. „Wie soll ich denn eine solche Pflicht erfüllen, wenn ich gar nicht genug Impfstoff zur Verfügung habe, weder in Schleswig-Holstein, noch in Bayern, noch sonst wo in der Bundesrepublik?“, sagte Garg. Er verwies darauf, dass sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern klar gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hätten. „Eine Woche später für eine besondere Personengruppe eine Impfpflicht zu diskutieren, finde ich höchst problematisch.“ Landesseniorenrat will Impfpflicht für Pflegekräfte: Anders sieht es der Landesseniorenrat. „Ich bin für eine Impfpflicht für Pflegekräfte“, sagt Peter Schildwächter, Vorsitzender des Landesseniorenrates Schleswig-Holstein, der die rund 660 000 Senioren im Land vertritt. „Und viele Senioren sehen das auch so. Sie haben natürlich Angst, wenn sich die Pflegekräfte nicht impfen lassen wollen.“ Es sei auch eine Frage der Berufsehre, als Pflegekraft größtmöglichen Schutz auszustrahlen, und: „In dieser besonderen Situation geht es auch um Solidarität“, sagt Schildwächter. Besonders in seiner Generation sei der Umgang mit Impfungen ein anderer. „Wir Älteren kennen ja noch die Pflicht zur Pockenschutzimpfung – das war auch kein Problem“, so Schildwächter. „Momentan gibt es nicht genug Impfstoff, es ist also Geduld gefragt. Und ich gehe nicht davon aus, dass es eine Mehrheit geben wird für die Impfpflicht von Pflegekräften.“ Wie viele Pflegekräfte verweigern die Impfung wirklich? Michael Selck hingegen hofft, dass die Impfpflicht für Pflegepersonal nicht kommen wird. Der Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein nennt Zahlen aus einer Blitzumfrage unter den rund 1500 Awo-Pflegekräften an 40 Standorten in Schleswig-Holstein. „Rund 80 Prozent sind zu einer Corona-Impfung bereit, 20 Prozent haben Bedenken“, sagt Selck. „Ich denke, dass es wichtiger wäre, wenn man den Pflegekräften bei der Impfung mehr entgegenkommen würde – das würde die Impfbereitschaft noch weiter erhöhen.“ Selck will, dass die mobilen Impfteams neben den Bewohnern der Alten- und Pflegeheime auch das Pflegepersonal impfen – schließlich sei es für Pflegepersonal im Moment ziemlich kompliziert und zeitaufwendig, sich impfen zu lassen. „Die Pflegekräfte sind stehen unter extremer Belastung – und das schon lange. Weitere Restriktionen wie eine Impfpflicht würden die Impfbereitschaft verringern. Wir brauchen genügend Impfdosen und die mobilen Teams, auch die ambulanten Dienste und betreutes Wohnen sollte berücksichtigt werden. Eine Debatte um Impfpflicht für Pflegekräfte führt am eigentlichen Problem vorbei!“ Lesen Sie auch Soll ich mich impfen lassen? Wovon die Impfbereitschaft gegen Corona abhängt Fake News zur Corona-Impfung: Twitter geht gehen Falschmeldungen vor Gerüchte um Corona-Impfpflicht – das sind die Fakten Pflegeberufekammer SH: „Aufklärung ist der richtige Weg“: Das sieht Patricia Drube, Präsidentin der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, ähnlich. Dass sich viele Pflegekräfte nicht impfen lassen wollen, kann sie nicht bestätigen. „Im Vergleich zur Bereitschaft zur Grippeimpfung ist die Covid-Impfbereitschaft nach unserer Wahrnehmung hoch. Derzeit bekommen wir die Rückmeldung, dass die Pflegenden, die sich impfen lassen wollen, keinen Termin bekommen“, sagt Drube. Statt eines Zwanges sei Aufklärung der richtige Weg. „Das Thema Impfen ist ein emotionales Thema, und derzeit werden insbesondere in den sozialen Medien Mythen und Halbwahrheiten verbreitet“, sagt Drube. „Die meisten Pflegenden wollen sich impfen lassen. Diejenigen, die noch zurückhaltend oder skeptisch sind, benötigen gute Informationsangebote“, so Drube weiter, die Söders Vorschlag nicht unterstützt. „Dieser Vorschlag ist falsch. Aufklärungsarbeit ist der richtige Weg. Aber jede pflegende Person hat das Recht, selbst über den Eingriff Impfung zu entscheiden.“ Pflegekräfte brauchen vereinfachten Zugang zu Impfungen: Julia Bousboa, Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Schleswig-Holstein, macht darauf aufmerksam, dass Einrichtungsleitungen vor riesigen Problemen stehen, wenn sich die Hälfte der Mitarbeitenden nicht impfen lassen will, aber: „Zum jetzigen Zeitpunkt finden wir es sinnvoller, anstatt über eine Impfpflicht über das zähe Anmeldeprozedere für Impfwillige zu sprechen – denn die, die bereit sind, sich impfen zu lassen, haben große Schwierigkeiten, einen Impftermin zu bekommen“, sagt Bousboa. Dass einige Pflegekräfte skeptisch sind, kann sie verstehen. „Die Impfstoffe, die bisher zur Verfügung stehen, sind MRNA-Impfstoffe, deren Wirkungsweise vollkommen neu ist. Dass es dagegen Vorbehalte und Ängste gibt, ist verständlich“, sagt Bousboa. „Deshalb gehört zu einer Impfstrategie auch immer eine umfassende Impfaufklärung.“ Von Hannes Lintschnig