SH: Wie sich die Corona-Krise auf die Arbeit auswirkt

„Gerade die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig Tarifverträge sind“, sagt Berith Jordan, die Geschäftsführerin von Verdi im Bezirk Lübeck-Ostholstein. Denn in vielen kleinen Betrieben ohne Schutzregelungen für die Beschäftigten gingen Arbeitgeber dazu über, nach Gutdünken zu entscheiden. So gebe es Beispiele, dass private Pflegeeinrichtungen von Mitarbeitern verlangen, selbst mit einer Corona-Infektion zu arbeiten. „Das sind zum Glück Einzelfälle, aber sie zeigen, wie stark der Druck auf Arbeitnehmer geworden ist“, erklärt Jordan. Mit großer Sorge blicke sie auch auf die Situation im Einzelhandel, vor allem im Textilbereich könne es Insolvenzen geben. Keine Kurzarbeit im Stadtverkehr Lübeck: Im Stadtverkehr Lübeck hätten die erheblichen Einnahmeausfälle im vergangenen Jahr zu 90 Prozent durch die Nothilfen des Bundes ausgeglichen werden können, aber für 2021 fehle dieses Instrument. „Da sehen wir Probleme. Es gibt Handlungsbedarf, den kommunalen Rettungsschirm auszuweiten“, sagt die Verdi-Geschäftsführerin. Kurzarbeit gebe es im Stadtverkehr nicht, denn das hätte zur Konsequenz, dass der Fahrplan ausgedünnt werden müsse, was wiederum zu volleren Bussen in Corona-Zeiten führe. Jordan: „Das ist wie die Quadratur des Kreises.“ Lübecker Hafen hat bisher gut abgeschnitten: Der Lübecker Hafen sei mit nur minus zwei Prozent Umsatz „wirklich klasse“ durch die Krise gekommen. Für die Mitarbeiter habe Verdi Regelungen für die grundsätzliche Möglichkeit von Kurzarbeit ausgehandelt, die bisher aber nicht in Anspruch genommen worden sei. Sollte es zu Kurzarbeit kommen, fordert Verdi 1300 Euro als Mindestbetrag für die Beschäftigten, „denn wir haben die Befürchtung, dass Menschen trotz Kurzarbeit in finanzielle Schieflage geraten“. Neuer Betriebsrat bei Euroimmun: Einen Dank an die Mitarbeiter, die in der Krise die Produktion in den Betrieben aufrechterhalten, richtete Eckehard Sieg von der Gewerkschaft IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE). Seine Gewerkschaft kann in der Corona-Zeit auch Erfolge verbuchen. So habe man bei der Lübecker Firma Euroimmun erstmals einen Betriebsrat mit 17 Mitgliedern wählen können, demnächst gebe es die erste Betriebsversammlung, leider wegen Corona nur als Video-Veranstaltung. Euroimmun habe sich verändert, es sei nicht mehr der familiengeführte Betrieb, sondern sei jetzt eingeordnet in einen Konzernverbund, „und auch das geht am besten mit Mitbestimmung und Betriebsräten“, sagt Sieg. In einigen Betrieben sehe er, dass die Schwierigkeiten erst nach der Krise in vollem Umfang sichtbar werden. Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie: In der Metall und Elektrobranche gibt es ein zweigeteiltes Bild. Während es Unternehmen der Medizintechnik wie zum Beispiel Dräger gut gehe, hätten vor allem Autozulieferer Probleme, auf die sie mit Kurzarbeit reagiert hätten, sagt Henning Groskreutz, der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Lübeck-Wismar. Nach fast einem Jahr Corona könne man festhalten, dass die Betriebe „deutlich dazugelernt“ hätten, wie sie mit den Herausforderungen der Pandemie umgehen können. Die bevorstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie bezeichnete Groskreutz als „echte Herausforderung“. Am 1. März laufe die Friedenspflicht aus. Die Gespräche gestalteten sich schwierig, es gebe offenbar eine Erwartungshaltung der Arbeitgeber, Leistungen zu kürzen. Die Gewerkschaft fordere einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und frühzeitige Verhandlungen über Zukunftstarifverträge, um Standorte und Arbeitsplätze zu erhalten- „Und die Volkswirtschaft kommt nicht wieder in Gang, wenn die Menschen weniger Geld in der Kasse haben als vorher“, sagt der Gewerkschafter. Leiharbeit nur ein Übergangsinstrument: Leiharbeit könne nur ein Übergangsinstrument sein, um Spitzen in der Produktion abfedern zu können, nicht mehr, sagt Groskreutz. Es gebe nach Wahrnehmung der IG Metall aber auch keine Zunahme von Leiharbeit in der Pandemie. Berith Jordan von Verdi bestätigte das für das Gesundheitswesen. In diesem Bereich gebe es ohnehin gebe es ein generelles Problem, genügend Arbeitskräfte zu finden. GdP: „Das Unverständnis der Menschen wird größer“: Jörn Löwenstrom, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Lübeck, berichtete von den Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen bei Einsätzen im Zusammenhang mit den Corona-Bestimmungen. „Das Unverständnis der Menschen, wenn man sie auf Fehlverhalten aufmerksam macht, wird größer.“ Es gebe bisher keine tätlichen Angriffe oder Gewalt, von Zuständen wie in den Niederlanden sei hier nichts zu spüren. Aber die Grundstimmung verschlechtere sich spürbar. Die lange Zeit der Beschränkungen führe dazu, dass die Geduld sinke. Da fast alle Sonderlagen wie Fußballspiele oder Großdemonstrationen zurzeit wegfielen, machten die Polizistinnen und Polizisten eher weniger Überstunden im Vergleich zu früher, sagt Löwenstrom. . Ungeklärte Fragen zum Homeoffice: Das Thema Homeoffice beschäftigt alle Gewerkschaften, hier gebe es noch viele Fragezeichen und ungeklärte Situationen.. Beschäftigte stünden vor „großen Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Groskreutz. Auch die Gewerkschaften stünden in dieser Frage vor großen Aufgaben. „Ich glaube, wenn wir mobiles Arbeiten in Zukunft wollen, müssen wir gleichzeitig die Mitbestimmung stärken. Sonst könne es zu Demokratieverlust in den Betrieben kommen“, warnt Eckehard Sieg von der IG BCE. Lesen Sie auch Corona belastet Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein weiter Gewerkschaft Verdi in SH: Kritische Situation für Pflegekräfte Nach Corona-Ausbruch bei Sana Lübeck: Wer hilft den Krankenhäusern? Videokonferenz kann Präsenz nicht ersetzen: Einig waren sich alle, dass Homeoffice und Videokonferenzen auf Dauer nicht die Treffen in Präsenz ersetzen können – weder in den Betrieben noch in der Arbeit der Interessenvertretungen und Gewerkschaften. „Was die betriebliche Mitbestimmung und Interessenvertretung angeht, haben wir die Krise bisher gut gemeistert“, sagt Juliane Hoffmann, die DGB-Geschäftsführerin Schleswig-Holstein Südost. „Aber die persönliche Beziehung zueinander leidet und fehlt.“ Nicht alle können an Videokonferenzen teilnehmen, aus den unterschiedlichsten Gründen, sagt auch Berith Jordan von Verdi: „Das könnte zu weiterer Vereinzelung führen. Das ist ein Spaltungspotenzial, das wir mit Sorge betrachten.“ Die Teilhabe am öffentlichen Leben müsse gesichert werden, sagt Hoffmann: „Es ist wichtig, dass wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht vergessen.“ Von Christian Risch