Schleswig-Holstein: Mehr Öffnungen mit Corona-Schnelltests?

Lockdown: Die Innenstädte sind leergefegt. Unter Geschäften, in der Gastronomie und bei Kultureinrichtungen droht eine Pleitewelle. Könnten die Städte mit mehr Schnelltests mehr Öffnungen wagen? Tübingens Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer preschte mit der Forderung vor. Kiels Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) unterstützt sie. Viele andere Politiker und Mediziner im Norden reagieren allerdings mit jeder Menge Skepsis. +++ Leitartikel: Mehr Mut bei der Pandemie-Bekämpfung, bitte +++ Schnelltest-Stationen in der Fußgängerzone: Palmer schlägt in einem Brief an die Kanzlerin vor, dass Städte, die eine Inzidenz von 35 unterschreiten, ihre Citys wieder öffnen dürfen. Und das soll so gehen: An den Zugängen zur Innenstadt und in den Fußgängerzonen werden Schnelltest-Stationen eingerichtet. „Einlass in Geschäfte, Restaurants und Kultureinrichtungen erhält nur, wer den an der Teststation ausgegebenen personalisierten ,Badge’ als Nachweis für einen negativen Test sichtbar mit sich führt“, schreibt Palmer, etwa auch als QR-Code auf dem Handy. Außerdem will er am Masken-Gebot, an Abstandsregeln und Personenzahlbegrenzungen festhalten und in den Läden einheitlich spezielle Zeitfenster einführen, in denen nur Angehörige von Risikogruppen einkaufen dürfen. FDP-Wirtschaftsminister begrüßt die Palmer-Ideen: Schleswig-Holsteins FDP-Wirtschaftsminister Bernd Buchholz steht diesen Vorschlägen positiv gegenüber. „Wenn die Tests zu einer schnelleren Öffnung des Einzelhandels beitragen können, bin ich dafür“, sagt Buchholz. Allerdings müsse vorher noch die Frage geklärt werden, wer diese Tests bezahlen solle. Lübecks SPD-Bürgermeister Jan Lindenau hingegen hält Palmers Vorstoß für kalten Kaffee. „Das ist jetzt nicht wirklich ein neuer Vorschlag“, sagt Lindenau. Ministerpräsident Daniel Günther habe ihn bei Vorlage seines Perspektivplans auch schon gemacht. In Lübeck setze man derweil lieber auf eine neue Handy-App zur Kontaktnachverfolgung. Denn eine Öffnungsstrategie könne nur mit einer optimierten Kontaktnachverfolgung einhergehen, sagt der Bürgermeister. Lindenau und die Landtags-CDU winken ab: „Kalter Kaffee“: Auch bei der Landtags-CDU winkt man ab. Man habe sich nun mal „für den vor kurzem vorgestellten Perspektivplan entschieden“, sagt deren Parlamentarischer Geschäftsführer Hans-Jörn Arp. Und den halte man für richtig, um auch dem Einzelhandel in den Städten realistische Aussichten für Öffnungen zu bieten. Lesen Sie auch Corona-Lockerungen: So läuft die Experten-Anhörung im Landtag von SH Prien: Lehrer und Erzieher in SH werden ab März geimpft Corona: Schleswig-Holsteiner zufrieden mit Gesundheitsversorgung Tatsächlich wollte Günther Läden und Restaurants sogar ab einer Inzidenz von 50 wieder öffnen lassen, Läden mit einem Kunden je zehn Quadratmeter, Restaurants mit halber Auslastung. Aber: Durchsetzen konnte der Ministerpräsident sich mit diesem Plan bei CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel und seinen Regierungschef-Kollegen nicht. Sie legten fest, dass es vor einer Inzidenz von 35 in einem Land gar keine weiteren Öffnungen geben darf. Und: Von Schnelltests war bei dieser Einigung überhaupt keine Rede. SPD: „Interessante Anregungen“: „In dem Schreiben von Herrn Palmer sind einige interessante Anregungen“, heißt es denn auch bei der SPD-Opposition im Landtag, namentlich der Nord-SPD-Chefin und Fraktionsvize Serpil Midyatli. Der Tübinger OB liege etwa richtig, wenn er die massive Ausweitung der Schnelltests fordere. „Schnelltests, niedrige Inzidenzen und schnelles Impfen sind der Schlüssel für weitere Öffnungen, und hier gibt es in Deutschland einen massiven Nachholbedarf“, sagt Midyatli. Probleme sieht allerdings auch sie in den Palmer-Forderungen. So sei eine Öffnung allein der Innenstädte wohl kaum durchsetzbar. Auch die Geschäfte auf der grünen Wiese müssten dann wieder öffnen dürfen. Außerdem sei ihr unklar, wer die „Badges“, die Palmer vorschlägt, dann kontrollieren solle, sagt die Nord-SPD-Chefin. Der Städteverband ist in Sorge um die Citys: Die Debatte über die Zukunft der Innenstädte müsse zudem breiter geführt werden. Der Ministerpräsident müsse dazu endlich zu einem Gipfel einladen. Außerdem sollte die Politik den Internethandel über Steuern teurer machen. Das fordert auch Palmer. So solle es für Onlinehändler einen dritten Mehrwertsteuersatz von 25 statt 19 Prozent geben. Beim Städteverband sehe man „mit großer Sorge die Auswirkungen der fortwirkenden Beschränkungen auf die Gewerbetreibenden, insbesondere für die Einzelhändler in den Innenstädten und Ortszentren“, sagt Geschäftsführer Marc Ziertmann. Man erwarte von Bund und Ländern, dass sie Bevölkerung, Wirtschaft, Vereinen und Verbänden eine verlässliche Perspektive für die nächsten Monate bietet. Und eine Test-Infrastruktur werde bei Öffnungsszenarien ein wichtiger Baustein sein. Kieler Virologe beurteilt Tests skeptisch: Generell skeptisch bleibt der Kieler Virologe Professor Helmut Fickenscher. „Für ein brauchbares Testkonzept fehlen weiterhin Antigen-Test-Systeme mit einfacher Handhabung für Speichel oder Gurgelwasser“, sagt der Mediziner. Und weiterhin sei auch völlig offen, „wann und ob entsprechende Teste mit akzeptabler Testqualität verfügbar werden“. Dass sich derzeit vielfach, etwa bei Lehrern und Erziehern, auf zwei Testungen pro Woche eingeschossen werde, findet Fickenscher befremdlich. Das sei „ein eigenartiger Kompromiss aus nicht gewährleisteter Sicherheit und Kostenbegrenzung“. Dass davon Lockerungen abhängig gemacht werden könnten, etwa die Zulassung zu Veranstaltungen, hält der Mediziner eindeutig für „nicht vertretbar“. Fickenscher: Lockerungen nur in kleinen Schritten: Das Grundprinzip der Pandemiebekämpfung bleibe in jedem Fall weiterhin die Einhaltung der Abstandsgebote und Hygieneregeln. „Teste können das unterstützen, aber nicht ersetzen“, sagt Fickenscher. „Daher sehe ich vorerst noch keinen sinnvollen Weg für die Gastronomie in geschlossenen Räumen.“ Lockerungen müssten zudem unbedingt in kleinen Schritten nacheinander erfolgen. Denn nur dann könnte ein womöglicher Wiederanstieg der Coronazahlen auch klar einer Ursache zugeordnet werden. Von Wolfram Hammer