Senioren empört: Pflegepersonal in SH vielfach nicht impfbereit

Die Impfbereitschaft des Pflegepersonals ist offenbar teils niedrig. Medienberichte geben für andere Bundesländer an, dass bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter von Pflegeheimen nicht bereit seien, sich impfen zu lassen. In Schleswig-Holstein scheint das zumindest im Bereich der ambulanten Pflegedienste ebenfalls ein Problem zu sein: „Die Impfbereitschaft liegt bei schätzungsweise 60 Prozent“, sagt Kai-Uwe Preuss, Hauptamtlicher Regionalvorstand der Johanniter Schleswig-Holstein Süd/Ost. Bei der Caritas ist es nach Angaben von Jörg Fiedler von der Caritas im Norden ähnlich: „Ich bin froh, wenn sich 50 Prozent des Pflegepersonals impfen lassen.“ „Fahrlässiges Verhalten“: Für Peter Schildwächter, Vorsitzender des Landesseniorenbeirates, ist das „ein Affront“. „Wenn gerade die Menschen, die uns Älteren helfen sollen, sich nicht impfen lassen, empfinden wir das als fahrlässig. Da sind wir dagegen.“ Dies sei die Meinung vieler Senioren, die er bereits zu dem Thema gehört habe. Die mangelnde Impfbereitschaft sei zu verurteilen. Auch Hans-Jürgen Casemir vom Bund der Ruheständler in Schwarzenbek ist empört. „Gerade das Personal sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Ich finde das nicht gut.“ Die Impfung könne schließlich nur nützen, nicht schaden. Seine Kollegin Bärbel Schudy aus Bargteheide hat ebenfalls kein Verständnis für die Impfmuffel. „Es wäre doch in ihrem eigenen Interesse, sich impfen zu lassen.“ Fraktionen setzen auf Verantwortungsbewusstsein: Eine Impfpflicht will andererseits derzeit niemand – und nun? Die Landtagsfraktionen setzen übereinstimmend auf Aufklärung. „Wir müssen werben, werben und noch mal werben“, fordert Birte Pauls, Gesundheitsexpertin der SPD-Landtagsfraktion. „Ich bin davon überzeugt, dass die kritische Haltung sich im Laufe Zeit ändern wird.“ Hans-Heinrich Neve von der CDU appelliert an die Pflegekräfte, es gehe nicht nur um Eigennutz, sondern „um die Verantwortung gegenüber den Menschen, die Ihre Hilfe benötigen“. Prinzip der Freiwilligkeit: Er sei selbst verblüfft, dass die Impfbereitschaft so niedrig sei, meint Kai-Uwe Preuss, zumal im Bereich der mobilen Impfteams und des Rettungsdienstes eine erfreulich hohe Impfbereitschaft bestehe. „Ich hätte mehr erwartet. Es ist nicht das, was wir uns wünschen.“ Insofern sei er der Ansicht, dass eine Impfpflicht „für bestimmte Berufsgruppen nicht verkehrt wäre“. In Mecklenburg gehe er von etwa 60 Prozent Impfbereitschaft aus, in Schleswig-Holstein sei es aber weniger. Die Tendenz sei steigend. Genaue Zahlen fehlen: Die Impfbereitschaft sei sogar von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich, sagt Kay Oldörp, Leiter der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Der Wunsch, das Personal möge sich impfen lassen, besteht aber überall. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) verweist beim Thema Impfbereitschaft auf die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH). Gesicherte Erkenntnisse oder Zahlen habe er jedoch auch nicht, sagt dessen Sprecher Nikolaus Schmidt. Auch bei der Vorwerker Diakonie wird die Impfbereitschaft der Mitarbeiter nicht erfasst. „Sie läge vielleicht bei 75 Prozent und mehr“, schätzt Sprecher Lutz Regenberg. Bei den Heimbewohnern seien es demgegenüber 80 bis 90 Prozent. Immunisierung fraglich: Ein möglicher Grund für fehlende Impfbereitschaft könnte die noch nicht komplett erforschte Wirksamkeit der Immunisierung sein. Hersteller Biontec schätzt sie für seinen Impfstoff auf 95 Prozent ein. Experten wie der Kieler Infektionsmediziner Prof. Dr. Helmut Fickenscher oder der Hausärzteverband Schleswig-Holstein weisen darauf hin, dass die Wirksamkeit bislang nicht sicher geklärt ist. Fickenscher: „Dazu weiß man vieles noch nicht.“ Erst im Frühling oder Sommer werde es neue Erkenntnisse geben. Deshalb halte er auch eine Impfpflicht für nicht sinnvoll. Lesen Sie auch Corona in Schleswig-Holstein und Lübeck: Aktuelle Zahlen am 06.01.2021 Termin für Corona-Impfung in SH: Schon wieder alle Plätze vergeben Corona-Ausbruch in Lübecker Pflegeheim: Ein Toter, zehn Erkrankte Kein Impfstoff für Mitarbeiter: Jan Dreckmann von der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein weiß, dass trotz der medizinischen Unwägbarkeiten die Impfbereitschaft des Personals an den Universitäts- und kommunalen Kliniken im Land – anders als beim ambulanten Pflegepersonal – bei 80 bis 90 Prozent liegt. „Viele rufen bei uns an und sagen: ,Wir wollen gerne geimpft werden.’“ Das Problem sei, dass es derzeit kaum Möglichkeiten gebe. Die Impfteams, die im Land unterwegs seien, hätten nur Impfstoff für die Bewohner. „In den Kliniken geht das, aber in der stationären Pflege müssen die Mitarbeiter privat aktiv werden und zum Impfzentrum gehen.“ Das Gleiche gelte für die Kollegen in der ambulanten Pflege und im betreuten Wohnen. Ein Missstand, den die Kammer für nicht tragbar hält. „Wir drängen hier auf Nachbesserung.“ bpa-Präsident Bernd Meurer vermisst ein Impfkonzept des Landes, das sowohl die Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste wie zu Hause lebende Pflegebedürftige berücksichtigt: „Pflegedienste haben ein enormes Interesse an dem Schutz und der Impfung ihrer Mitarbeiter und den pflegebedürftigen Menschen zu Hause.“ Von Marcus Stöcklin