Tod auf der Ostsee vorgetäuscht: Briefe belasten Angeklagten

Schon 15 Monate vor seinem selbst inszenierten Untergang im Motorboot auf der Ostsee hatte der Hauptangeklagte einen Millionenbetrug zu Lasten zahlreicher Lebensversicherungen detailliert durchgeplant. Das geht aus Briefen des Kielers (53) an seine Mutter (87) hervor, die am Dienstag im Kieler Landgericht bei der Fortsetzung des Prozesses um seinen vorgetäuschten Tod verlesen wurden. Demnach stand dem zur Tatzeit hoch verschuldeten Angeklagten im Sommer 2018 das Wasser finanziell bis zum Hals. „Die Lage ist beschissen“, schrieb er an seine ebenfalls angeklagte Mutter. „Legal kommen wir nicht mehr auf einen grünen Zweig“. Man brauche jetzt einen „Plan, der alle unsere Krisenherde unter einen Hut bringt“. Dafür sei Kreativität erforderlich. Angeklagter mit Verfassungsklage: In dem Schreiben an seine Mitwisserin („Hallöchen, liebe Mama“) kommt der Sohn von atmosphärischen Schilderungen eines Sommertrips nach Hannover mit Straßencafés („behaglich und angenehm“) und Shopping schnell auf seine desolate finanzielle Situation. Dass er mangels Kreditwürdigkeit „nicht mal billiges Internet buchen“ könne, gehört dabei noch zu den Geringfügigkeiten. Offen schreibt der arbeitslose Akademiker von unweigerlich näher rückenden Strafverfahren um Steuerdelikte, verbotenes Glücksspiel, Betrug und Falschaussage vor Gericht. Um seinen „Kopf aus der Schlinge zu ziehen“, habe er sogar eine Verfassungsklage auf den Weg gebracht – vergebens. Die Abfuhr der Justiz erhöhte nur die fünfstelligen Verfahrenskosten. Lesen Sie auch Tod auf der Ostsee vorgetäuscht: Indizien erregten früh Verdacht der Polizei Fingierter Tod auf der Ostsee sollte Trio Millionen bringen – Prozess in Kiel gestartet Vorgetäuschte Todesfälle beschäftigen immer wieder die Gerichte Paar lebte von Hartz IV und Wohngeld: Auch ohne den erwarteten Kostendruck war der Haushalt der Kieler Eheleute auf Kante genäht. Wie der Angeklagte der Mutter vorrechnet, blieb bei 460 Euro Hartz IV plus 420 Euro Wohngeld kaum noch Geld für die nächste Heizölbestellung. Um das „Zeitalter Hiob“ zu beenden, entwirft der Angeklagte nun eine herbstliche Havarie auf See. Zur Täuschung von Behörden und Versicherungen müsse diese wie eine unglückliche Verkettung von Umständen wirken, schreibt er weiter. Er denke an zwölf bis 15 Versicherungen, deren Auszahlungen auf Schweizer Girokonten zu erfolgen habe: „So bleiben wir unter dem Radar.“ Die erwartete Summe beziffert der Angeklagte schon damals auf 4,2 Millionen Euro. Die Hälfte müsse man anlegen und endlich das Haus sanieren, heißt es in dem Schreiben. Der Betrag entspricht annähernd dem zwei Jahre später erhobenen Anklagevorwurf. Leben in den USA geplant: Auch sonst scheint sich der Kieler später in vielen Details an den formulierten Tatplan zu halten, den die Ermittler bei einer Durchsuchung seines Elternhauses sicherstellten. Erwähnt wird auch der im Juli 2019 vollzogene Kauf eines gebrauchten Motorboots. Der Gutachter, der gestern über Manipulationen am Schiff berichten sollte, wird wegen Krankheit später geladen. 6500 Euro investierte der Angeklagte laut Kaufvertrag in das flache, 5,7 Meter lange Boot, mit dem er im Oktober oder November in See stechen wollte. Nach 20 Seemeilen wollte er im Schlauchboot mit Elektromotor das rettende Ufer erreichen. Danach stellte er sich auf eine längere Lebensphase in einem Unterschlupf ein. Später wollte der Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft in die USA auswandern. „Plausibel“ müsse die Ausführung wirken, schreibt er der Mutter. „Wer im Herbst über Bord geht, den gibt das Meer nicht mehr her.“ Wie zur Bestätigung schätzte gestern ein als Zeuge gehörter Polizeibeamter (33) die Überlebenszeit im zehn Grad kalten Wasser auf ein bis zwei Stunden. Festnahme auf Dachboden: Darüber hatte der Beamte auch die Ehefrau informiert, die ihren Mann erst nach drei Tagen als vermisst gemeldet hatte. Dabei wunderte sich der Zeuge, dass die Frau so gleichgültig auf die hoffnungslose Prognose reagierte. „Ich hätte mit mehr Emotionen gerechnet.“ Kurz nach seiner Festnahme auf dem Dachboden seines Elternhauses bezeichnete der Angeklagte sein Vorhaben als „hirnrissig“. Er bedauerte, seine hochbetagte Mutter und seine Ehefrau da reingezogen zu haben. Den Vorwurf eines ernsthaften Betrugsversuchs jedoch wies schon sein damaliger Verteidiger vor der Haftrichterin zurück: Ohne Vorlage einer Sterbeurkunde habe die Familie doch nicht die geringste Chance auf eine Auszahlung gehabt. Von Thomas Geyer