Umbau beim NDR: „Nachtclub“ wandert ins Digitale

Der Norddeutsche Rundfunk ändert zum Ende des Jahres sein Programm. Weil er ab 2021 für die fast bundesweite ARD-Infonacht von 22 bis 6 Uhr verantwortlich ist, müssen Sendungen weichen. Das trifft den Jazz, der zu NDR Kultur wechselt. Und es trifft den „Nachtclub“ und die „Nightlounge“, die ihre UKW-Frequenz verlieren und künftig im Digitalprogramm NDR Blue und bei N-Joy zu finden sein werden. Aber die Umstellung erntet Kritik. Zahl der Sendungen deutlich reduziert: Es gibt Befürchtungen, dass die Programme im Digitalradio, wo die Sendungen bisher nur wiederholt wurden, auf einem Abstellgleis landen. Zumal es – „wie bei jeder Umstrukturierung“ – auch „finanzielle Veränderungen“ geben werde, wie der NDR auf Anfrage mitteilte. Ohnehin müsse der Sender in anderen Bereichen ebenfalls sparen. Für den „Nachtclub“ sei „die Zahl der Sendungen deutlich reduziert“ worden. Künftig werde er nur noch montags bis freitags von 20 bis 22 Uhr auf Sendung gehen. Beim Jazz wie im „Nachtclub“ würden aber „die bekannten Moderatorinnen und Moderatoren weiter zu hören sein“. Von Rock bis Ambient: Im „Nachtclub“ ist die ganze Breite an populärer Musik vertreten, von Rock bis Pop, von Jazz bis Blues, von Weltmusik und Indie bis Soul und Ambient. Es ist eine Form von Rundfunk, die immer seltener wird. Eine gefährdete Art. Und das in diesen Tagen, in denen das Radio hundert Jahre alt geworden ist. Der „Nachtclub“ ist ab 2021 montags bis freitags von 20 bis 22 Uhr im Digitalprogramm NDR Blue zu hören. Von 22 Uhr bis Mitternacht wird es dort „Nachtclub in Concert“ mit Liveaufnahmen geben und dann bis 6 Uhr die „Nachtclub Nightlounge“. Fortgeführt wird auch „Nachtclub ÜberPop“, wo mit Studiogästen popkulturelle Themen diskutiert werden. „Nachtclub Classics“ soll es laut NDR ebenfalls weiterhin geben. Neu hinzu kommen regelmäßige Formate mit Hip-Hop, House und Electro auf N-Joy, allerdings mit N-Joy-Moderatoren. Der Jazz wandert zu NDR Kultur. Dort soll es fünf Mal die Woche von 22.33 bis 23.30 Uhr eine erste Strecke geben und danach mit „Round Midnight“ bis Mitternacht eine zweite. N-Joy plant zudem mit der „Nachtclub“-Redaktion für das erste Quartal 2021 eine neue Spezialsendung mit dem Schwerpunkt auf junger Musik aus Deutschland. Es waren ein paar Reichspostbeamte, die auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen südlich von Berlin „Stille Nacht“ gespielt haben. Die erste Live-Übertragung. So fing das an. Inzwischen ist das Radio längst zum Lebensmittel geworden. Zum Überlebensmittel sogar: Wenn einem auch alles weggenommen wird, das Radio bleibt. Es ist wie Tisch, Stuhl, Bett und Waschmaschine in der Regel nicht pfändbar, heißt es bei der Schuldnerberatung. Es ist also eine wichtige Sache – eigentlich. Aber sie kommt in den Niederungen der Beliebigkeit zusehends unter die Räder. Sie wissen, wovon sie reden: Der „Nachtclub“ ist da eine wunderbare Ausnahme. Da sitzen Männer und Frauen am Mikrofon, denen wichtig ist, was sie tun, und die wissen, wovon sie reden. Moderatoren wie Matias Boem oder Ralf Dorschel, wie Uli Kniep und Thomas Haak. Ruben Jonas Schnell, ein Musikwissenschaftler, ist seit mehr als drei Jahrzehnten beim NDR und moderiert seit Ende der Neunzigerjahre den „Nachtclub“, immer in der Nacht zu Sonnabend. Und in der Nacht zu Sonntag folgt Paul Baskerville, den es mit Punk und Wave aus Manchester nach Hamburg geweht hat, hin zu einer eigenen Fanpage im Internet mittlerweile, und der noch etwas länger dabei ist. Sie haben nichts im Sinn mit der gnadenlosen guten Laune der Morningshows. Sie reden sich nicht um Kopf und Kragen zwischen zwei Jingles und drei Floskeln, die man sofort wieder vergessen hat und wohl auch sofort wieder vergessen soll. Beim „Nachtclub“ sind Leute am Mikrofon, die sich mit ihrer Musik beschäftigt haben. Das hört man, das spürt man, und das ist in Zeiten des Algorithmus als Programmdirektor fast eine verwegene Tat. Dabei ist es im Grunde ein einfaches Prinzip: Da sitzt jemand, spielt Musik und erzählt etwas dazu. Mehr ist es nicht. Aber dann hätte Hemingway auch nur Buchstaben aneinander gereiht und Maradona mit seinem linken Fuß gegen einen Ball getreten. Da muss also mehr im Spiel sein. Etwas, das auch jemand wie Zack hat. Jack und Zack im Gefängnis: Zack ist der Radio DJ, den Tom Waits in „Down by Law“ spielt. Er sitzt im Gefängnis, weil er eine fremde Leiche im Kofferraum hatte. Eine dumme Sache. Und sein Zellennachbar Jack findet irgendwann heraus, mit wem er es zu tun hat. Er kennt ihn vom Radio und geht ihm so lange auf die Nerven, bis Zack sich auf der Gefängnispritsche in die richtige Position bringt und mit einer Stimme wie rostige Nägel anhebt zu einer Kostprobe aus seiner „Lee ,Baby’ Sims Show“. „Wir haben neu tapeziert“: Da wird deutlich, dass einen Menschen im Radio eine ganze Weile begleiten können, durch den Alltag und durchs Leben. Sie gehören irgendwann dazu wie der Mond, der jede Nacht wieder am Himmel steht. Früher haben Nachrichtensprecher im Fernsehen Briefe bekommen, in denen stand: „Ist Ihnen aufgefallen: Wir haben neu tapeziert?“ So war es jüngst in der „Süddeutschen Zeitung“ zum Abschied von Jan Hofer zu lesen. Da haben die Leute gedacht: Wenn wir ihn sehen können, kann er uns ja wohl auch sehen, und manchmal haben sie dann gewinkt. Sie haben ihn hineingelassen in die gute Stube, er wurde Teil der Familie. NDR trauert um Moderator Klaus Wellershaus Moderator Peter Urban geht in Rente Hören Sie mal: Das Radio wird 100 John Peel war auch von dieser Sorte, der legendäre DJ der britischen BBC. Er hat alles gespielt und alles immer früher als die anderen. Als sie ihm bei Radio 1 Sendezeit wegnahmen, hat er sich mit einem Brief beim Chefredakteur beschwert. Einigen Stammhörern würde er jetzt schon Listen mit Empfehlungen schicken, weil die Zeit nicht reiche, um alles Wichtige zu spielen, schrieb er. Der Chefredakteur solle seine Sendungen „als eine Art Forschungslabor“ verstehen: „Laut und nicht immer wohlriechend, aber gelegentlich doch die eine oder andere Formel hervorbringend, die sich vermarkten lässt.“ Als John Peel 2004 starb, hielt die HMV-Kette eine Gedenkminute in ihren Plattenläden ab, und in allen Virgin-Stores wurde „Teenage Kicks“ gespielt, sein Lieblingssong von den Undertones. Er vergab sonst ein, zwei oder drei Sterne für Lieder, in seltenen Fällen vielleicht mal fünf. „Teenage Kicks“ erhielt 28, und er fand, sie waren alle berechtigt. „Das Beste ist, ein Fan zu bleiben, oder?“, sagte er. Fan sein, begeistert sein, das ist keine schlechte Basis für das, was man tut. Beim „Nachtclub“ sind sie Fan und begeistert. Und sie haben etwas zu sagen. Es wäre gut, man hörte ihnen zu. Von Peter Intelmann

Umbau beim NDR-Radio – „Nachtclub“ wandert ins Digitale